Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 27.01.2009

Die Hexe auf dem Scheiterhaufen

 
Zwei junge LKA-Beamte begleiten die Zeugin in Saal A 600. Eine Vorsichtsmaßnahme des Landtags, nachdem vor zwei Wochen anonyme Drohungen beim Untersuchungsausschuss eingegangen waren. Simone Henneck (49) ist eine großgewachsene, blonde Frau. Sie trägt schwarze Hose, schwarzes Shirt, lange Ohrringe. Die frühere Staatsanwältin und ehemalige Regierungsdirektorin im sächsischen Landesamt für Verfassungsschutz ist die wichtigste Zeugin im sogenannten Sachsensumpf-Untersuchungsausschuss. Seit Beginn der Affäre um angebliche Verbindungen zwischen Justiz, Immobilienbranche und Rotlichtmilieu vor anderthalb Jahren ist sie nicht in der Öffentlichkeit aufgetaucht.

Vier Stunden Verteidigung

Sie legt ihren schwarzen Aktenkoffer auf den Tisch und holt ihre vorbereitete Rede heraus. Seit etwa einem Jahr weigert sich die ehemalige Referatsleiterin der Abteilung „Organisierte Kriminalität“ unter Berufung auf ihren schlechten Gesundheitszustand, bei der Staatsanwaltschaft als Zeugin auszusagen. Im Untersuchungsausschuss spricht sie dagegen allein im öffentlichen Teil vier Stunden. Es ist vor allem eine Verteidigungsrede der „Simone H.“, wie sie sich selbst nennt. Sie könne von sich nur in der dritten Person erzählen, bei allem, „was mir angetan wurde“, erklärt sie dem Ausschuss. Henneck betont beim Sprechen jede Silbe, sie formuliert hin und wieder sehr pathetisch.

In ihrer Erklärung geht es nicht um die Beobachtung der Organisierten Kriminalität. Wie die Dossiers über angebliche kriminelle Netzwerke entstanden sind, sagt sie in der öffentlichen Sitzung nicht. Neu ist nur ihre Äußerung über die sogenannte Brand-Rede von Innenminister Albrecht Buttolo (CDU). Im Mai 2007 hatte Buttolo im Landtag behauptet, die mafiösen Netzwerke seien bereit, jederzeit zurückzuschlagen. Der Minister hatte sich später mit dem Hinweis auf die Informationen von Simone Henneck für seine Panik-Rede entschuldigt. Henneck sagte gestern, es sei ihr bis heute schleierhaft, warum Buttolo damals ein so dramatisches Szenario entworfen habe. Auf den Verfassungsschutz könne er sich dabei nicht berufen.

Henneck spricht in ihrer Rede ausführlich über sich selbst. Sie habe keinerlei Fehler gemacht, weder Akten manipuliert noch unkontrolliert gearbeitet. Sie erhebt zugleich schwere Beschuldigungen gegen ihre Vorgesetzten beim Landesamt, gegen die Justiz, gegen das Innenministerium. Henneck ist seit Juli 2007 krankgeschrieben und vom Dienst suspendiert. Die Verfassungsschutzbehörde wirft ihr vor, aus uralten Gerüchten und Behauptungen dubioser Quellen kriminelle Netzwerke konstruiert zu haben. Die Justiz hat die Ermittlungen gegen angeblich korrupte Juristen inzwischen eingestellt. Henneck selbst sieht sich dagegen als unerschrockene Ermittlerin, die sich auch von prominenten Tätern nicht abschrecken lässt.

„Eine Ausgestoßene“

Henneck beschrieb ihre aktuelle persönliche Situation gestern so: Sie leide an den Folgen einer Hirnhautentzündung und ständigen „Retraumatisierungen“ durch die disziplinar- und strafrechtlichen Ermittlungen gegen sich. Schon Anrufe von Staatsanwälten oder Vorgesetzten führten zu Nervenzusammenbrüchen. Sie sieht sich als „Opfer der Staatsräson“, „als Hexe Simone H.“, die auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden sollte. „Simone H. bleibt von nun an ganz allein. Sie ist eine Ausgestoßene“, schildert sie theatralisch ihre Gefühle nach der Suspendierung.

Verantwortlich für ihre ruinierte Gesundheit sei der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz, Reinhard Boos. Er habe ihr das Disziplinarverfahren verkündet, während sie bereits schwer erkrankt auf dem Weg ins Krankenhaus gewesen sei. Ihre Anzeige wegen Körperverletzung im Amt sei aber im Sande verlaufen.
Von Karin Schlottmann