Karl Nolle, MdL

SUPERillu.de, 08.03.2009

Mafia in Ostdeutschland: »Kein Interesse an einer Aufklärung«

Mafia-Experte Jürgen Roth
 
In Filmen wie "Mord ist mein Geschäft, Liebling" wird das Thema Mafia verulkt, doch in der Realität ist Schluss mit lustig: Im Interview mit SUPERillu erzählt Mafia-Experte Jürgen Roth über die Aktivitäten von Camorra & Co. in Ostdeutschland.

Herr Roth, Ihr letztes Buch „Anklage unerwünscht“ hat 2007 den so genannten Sachsen-Sumpf ausgelöst – ein Skandal um die vermeintliche Verwicklung von Politik, Justiz und Polizei. Damals forderten Sie politische Konsequenzen. Die gab es aber nicht. Ein Untersuchungsausschuss dazu läuft noch immer im sächsischen Landtag. Was wollen Sie mit Ihrem neuen Buch „Mafialand Deutschland“ bewirken?

Das neue Buch soll die Theorie aufbrechen, dass die bösen Kriminellen in Italien, Russland oder Albanien sitzen und es demzufolge keine Mafia in Deutschland gebe. Wir haben die gleichen mafiosen Strukturen in unserem Land wie beispielsweise in Sizilien oder Calabrien. Mit einem einem großen Unterschied: Es gibt in Deutschland nicht so viele Morde. Alles andere, abgesehen von den ethnischen und kulturellen Hintergründen der Mafia-Clans, ist in Deutschland identisch: Die Struktur von Klüngelei, Seilschaften, Korruption, Erpressung, Omerta wie die Abhängigkeit von Politikern zu dubiosen Geschäftsleuten. Besonders auffällig ist das in den neuen Bundesländern – vor allem in Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen.

Sie sind wegen des vorhergehenden Buches mehrfach angezeigt und angeklagt worden. Damit haben Sie wahrscheinlich sowieso genügend Erfahrung nach über 30 Jahren investigativer Recherche und Publikationen oder ist man in Sachsen doch anders mit Ihnen umgegangen als vorher?

Wegen des Buches "Anklage unerwünscht" sind meine Mitautoren und ich kein einziges Mal angeklagt worden. Ich hingegen wegen Äußerungen bei Diskussionsveranstaltungen und Blog-Beiträgen im Internet. Das was sich in Sachsen abspielt hat jedoch eine neue Qualität. Normalerweise wird gegen Journalisten, die angeblich falsches behauptet oder vermeintlich eine Person verleumdet haben, zivilrechtlich vorgegangen. In der Regel folgt eine Unterlassungserklärung und man behauptet es dann nicht mehr oder entschuldigt sich. Jeder kann Fehler machen. In Sachsen ist zum ersten Mal in meiner langjährigen Erfahrung sofort strafrechtlich reagiert worden – immerhin nicht nur gegen mich, sondern gegen insgesamt 17 Journalisten. Ich habe zwei Strafbefehle bekommen, die ich mit 4.500 Euro Geldstrafe hingenommen habe, weil mein Anwalt und ich der Meinung war, das wir bei einigen Teilen der sächsischen Justiz keine Chancen haben. In einem Prozess gegen mich in Chemnitz wurde das Verfahren auf Kosten der Staatskasse eingestellt.

Sind die Anklagen für Sie ein Beleg, dass Sie auf der richtigen Spur sind?

Es ist ein Beleg dafür, dass sich diejenigen, die in dem so genannten Sachsen-Sumpf Feder führend sind, getroffen gefühlt haben. Sie fühlen sich unschuldig und in jeder Hinsicht im Recht. Und vergessen Sie nicht, mehrmals musste der Sächsische Verfassungsgerichgshof die Rechte eines Untersuchungsausschusses zum “Sachsensumpf” gegen die Staatsregierung durchsetzen.

Musste jetzt zwangsläufig Sachsen in ihrem neuen Buch eine Rolle spielen?

Es war zwingend notwendig um aufzuarbeiten, was in Sachsen wirklich geschehen ist. Es tritt dort bis heute das Phänomen auf, dass ja auch gesagt wird, es gibt keine italienische Mafia in Sachsen, was schlichtweg unsinnig ist.

Bei Ihren Recherchen zum aktuellen Buch sind Sie auf Mafia-Strukturen in Ostdeutschland gestoßen, die durch ehemalige Stasi- und SED-Seilschaften etabliert worden sein sollen. Das klingt für viele nach einer großen Verschwörung. Wie sieht diese kriminelle Realität zum Beispiel in Erfurt, Dresden, Leipzig und Rostock aus?

Es gibt die mafiose Kultur von ehemaligen Stasi- und SED-Seilschaften, die sich, analog zu den Strukturen in Italien durch Erpressung und Raub, Volksvermögen angeeignet haben, also Firmen aufgekauft und Betriebe kaputt gemacht haben, weil sie an die Immobilen und Gewerbeflächen ran wollten. Dann konnte unter anderem Geld aus Italien, das aus Drogen, Schutzgelderpressungen und Entführungen generiert worden ist, in den neuen Bundesländern investiert werden. Anfang der 90er Jahre begann das schon und es gibt Zahlen italienischer Staatsanwälte über Geldsummen in Höhe von 60 Milliarden DM. In der Zeit kamen auch Mafia-Familien, die sich in Westdeutschland etabliert hatten, nach Ostdeutschland. Die Sacra Corona Unita, die apulische Mafia, ging an die Ostseeküste, während die Ndrangheta und die Cosa Nostra Thüringen und Sachsen bevorzugten. Dann kam die Camorra dazu, die in Sachsen-Anhalt stark ist. Die ersten Ndrangheta-Familien Romeo und Nitra kamen zuerst aus logistischen Gründen nach Erfurt und expandierten danach in Richtung Wismar und Leizpig. In Thüringen wurde, nach Nordrhein-Westfalen, der zweite Schwerpunkt bestimmter Ndranghata-Clans aufgebaut.

Welche Quellen haben Sie dazu?

Die Informationen der italienischen Anti-Mafia-Kommission, Aussagen von Staatsanwälten aus Calabrien und ausführliche Analyseberichte des Bundeskriminalamtes. Der letzte BKA-Bericht dazu stammt von November 2008. Der liegt natürlich auch den Landeskriminalämtern vor. Wenn das LKA Sachsen, Thüringen oder Mecklenburg-Vorpommern sagen, wir haben hier keine Mafia, dann fragt man sich, was will man damit erreichen. Und was soll Ihrer Meinung nach erreicht werden? In Thüringen ist es ganz klar, da hat die Ndrangheta auch gesellschaftlichen und politischen Einfluss.

In welchen Bereichen?

In Teile der Stadtverwaltung, anders ist das Wegsehen und Akzeptieren nicht zu erklären. Wozu? Für Immobiliengeschäfte und um gesellschaftlich anerkannt zu werden.

Wie ist das möglich?

Durch Unwissenheit und Unfähigkeit der Kommunalpolitiker und eine hohe Unprofessionalität bei der Polizeiführung in Thüringen beispielsweise. Die Polizeiführung hat offensichtlich kein Interesse an lückenloser Aufklärung der Mafiaaktivitäten. Tatsache ist, dass der ehemalige Oberbürgermeister von Erfurt einen bekannten Mann der Ndrangheta, der aus Nordrhein-Westfalen nach Erfurt kam und die ersten italienischen Restaurants in der Stadt eröffnet hat, bis zum heutigen Tag freundlich verbunden scheint. Dieser Mann, der nach Erkenntnissen des BKA und des Thüringer Innenministeriums, der Ndrangheta sehr nahe steht, soll, behauptet das BKA, ein Fest des CDU-Kreisverbands mitorganisiert haben. Das nimmt in Erfurt keiner zu Kenntnis. Warum? Weil sie als freundliche, liebenswerte Investoren und Restaurantbesitzer in schicken Anzügen auftreten und weil nicht gesehen wird, dass es sich um Familienmitglieder der italienischen Ndrangheta aus San Luca handelt. Anscheinend begreift man in Erfurt nicht, was es heißt Mitglied eines Ndrangheta-Clans zu sein.

Wussten die Mafiosi dass sie in Ostdeutschland leichtes Spiel haben werden?

Sie sind sehr gezielt dorthin gegangen, weil sie wussten, da ist der Staatsapparat noch sehr schwach und es besteht kein nachhaltiges Interesse an Aufklärung. Die Polizisten aus Thüringen und Sachsen sollten einmal nach Berlin gehen, sich anschauen, wie man dort die Mafia bekämpft und die Ratschläge, die sie dort erhalten, endlich in die Praxis umsetzen.

Seit den Mafiamorden von Duisburg im August 2007 ist auch der deutschen Öffentlichkeit der Name Ndrangheta ein Begriff. Aber für viele klingt das immer noch wie in einem Film. Wie merkt der Otto-Normal-Bürger mafiose Strukturen in seinem Alltag?

Er merkt erst einmal gar nichts. Er bekommt gutes Essen auf der einen Seite, aber auf der anderen Seite werden Kommunalpolitiker bedroht, wenn sie sich zum Beispiel gegen Investorenpläne stellen, hinter denen die italienische Mafia steht. Dazu liegen mir zum Beispiel Akten von abgeschlossenen Ermittlungen an der Ostseeküste vor, welche mindestens zehn Fälle u. a. von Geldwäsche und Schutzgelderpressung beweisen, aber keiner bis heute zur Rechenschaft gezogen wurde. Da wurde und wird viel Geld in Restaurants, Hotels und Häfen investiert. In Prerow zum Beispiel gibt es einen Abgeordneten im Stadtrat, der sagt, dass hier Landschaft des Profits wegen zerstört wird und der deshalb von Sizilianern bzw. deren Strohleute, die dort ansässig sind, massiv bedroht wird. Es hat sogar einen Mordanschlag auf ihn gegeben. In so einem Fall bekommt der Bürger schon mit, dass große wirtschaftliche Interessen im Raum stehen. Unternehmer spüren die Mafia eher, in dem sie sehen, dass sehr hohe, für den Markt unübliche Preise für Immobilien geboten werden. Damit schaltet die Mafia de facto den freien Wettbewerb aus. Ereignisse wie in Duisburg, wo Blut fließt, sind in Deutschland glücklicherweise noch die Ausnahme. Denn das schadet ja den Geschäften.

Müssen Sie trotzdem selbst auch Angst haben?

Nein. Was kann ein kleiner Buchautor schon ausrichten. Das was man machen kann, ist verleumden und die bittere Realität ausblenden.

Sie scheuen sich also nicht in Ihrem Buch, Namen zu nennen?

Nein. Soweit ich das juristisch verantworten kann, nenne ich Namen. Zum Beispiel Richard Rotmann, der unter seinem Geburtsnamen Riccardo Marian Fanchini viel berühmter ist. Weil er bis zu seiner Verhaftung (Anfang Oktober 2007 in London, zu der die Berliner Polizei einiges beigetragen hatte, d. Red.) tonnenweise Kokain aus Südamerika nach Europa brachte und damit einer der ganz großen Drogenhändler war und engste Verbindungen zu Spitzen der russischen Mafia hatte und gleichzeitig mit der Camorra zusammenarbeitete. Er hatte, als Besitzer eines deutschen Passes, einen Wohnsitz auch in Berlin und feierte am 18. April 2006 im Luxushotel Grand Hyatt am Potsdamer Platz seinen 50. Geburtstag. Seine Frau und sein Kind leben immer noch in Berlin. Fanchini selbst sitzt jetzt in New York im Knast und kommt dort wahrscheinlich auch nicht mehr heraus. Zu den Geburtstagsgästen dieses hochkarätigen Dealers zählte nach Polizeiangaben und polnischen Pressemeldungen unter anderem der große Oligarch, Viktor Wechselberg. Meine Nachfragen bei ihm, ob das stimmt, hat er nie beantwortet. Diese Verbindung von russischer und italienischer Mafia ist spezifisch für Berlin und existiert seit etwa fünf Jahren.

Auch die Russen-Mafia ist Thema in Ihrem Buch. Berlin gilt als ein Drehkreuz der Russenkriminalität zwischen Ost und West. 2007 ermittelte hier das Landeskriminalamt gegen zehn Gruppierungen aus der früheren Sowjetunion ermittelt, es gab fast 100 Verdächtige. Was sind Ihre Erkenntnisse in diesem Bereich?

Finanzkriminalität und Wirtschaftskriminalität ist das große Geschäft der Russenmafia. Man kann allerdings bei der so genannten Russenmafia nicht immer so genau unterscheiden, wer von den Beteiligten gehört zu staatlichen Entscheidungsträgern und was sind nur die puren Kriminellen. Das ist häufig miteinander verwoben. Das heißt auch, der Kriminelle, der vor fünf Jahren im illegalen Bereich tätig war, kann heute im ganz legalen Geschäftsbereich aktiv sein und umgekehrt. Ich gehe im Buch auf die Einflussreichen und Mächtigen ein, also die im Energie- und Ölgeschäft tätig sind. Es gibt übrigens eine aufschlussreiche Analyse des Schweizer Bundesamtes der Polizei darüber, dass die kriminellen Strukturen eng mit dem russischen Geheimdienst FSB kooperieren. Demnach benutzt der FSB teilweise diese Strukturen für seine Zwecke. Berlin ist dabei im Zentrum, weil hier einerseits die politische Macht ist und andererseits die deutsche Metropole ein guter logistischer Standort ist.

Wer liefert Ihnen abseits offizieller Stellen die Informationen dazu?

Es gibt drei Gruppen von Informanten. Polizisten, Ermittler und Abteilungsleiter und Staatsanwälte, Betroffene und die Mafiosi selbst, weil sie ein Selbstdarstellungsbedürfnis haben oder beteuern nichts mit all dem zu tun zu haben. Sie sprechen immer wieder von dem Einfluss auf Politik und Wirtschaft. Wie kommt es Ihrer Meinung nach zum Erstkontakt zwischen Mafia und einflussreichen Personen unserer Gesellschaft? Ganz einfach. Im Wesentlichen läuft es über die Bussi-Bussi-Gesellschaft. Man wird eingeladen, man freundet sich an, gewinnt Vertrauen, wird unter Umständen erpressbar – wenn zum Beispiel die Politiker Kokain nehmen oder sich bei Prostituierten vergnügen – dann hat man schon die Verbindung zur Politik. Wenn es in der Wirtschaft um Milliardenbeträge geht, ist wirtschaftliche Macht auch immer politische Macht. Wir hatten ja Vereinigungs- und Regierungskriminalität Anfang der 90er Jahre. Es wurden Milliarden-Beträge von deutschen Unternehmern verschoben. Da ist nur der geringste Teil aufgeklärt worden und die italienische Mafia konnte hier sogar noch lernen, wie man abzockt. Betriebe sind aufgekauft und Leute in die Arbeitslosigkeit geschickt worden. Das war der Qualitätssprung für die italienische Mafia von West- nach Ostdeutschland und dann weiter in EU-Beitrittsstaaten wie Polen, Rumänien oder Ungarn.

Wo wird Mafia-Geld in Deutschland angelegt?

Hauptsächlich in Immobilien, Glücksspiel, strategische Industrie zum Beispiel in Tochtergesellschaften im Energie und Rohstoffbereich, Speditionsfirmen, Groß- und Einzelhandel und im Baubereich. Wer sind die Täter? Man nennt sie die Diebe im Gesetz. Das sind kriminelle Anführer, die haben ihre Herrschaft einst in den Gulags aufgebaut. Drei Organisationen, die ihren Ursprung in der ehemaligen UDSSR haben, werden in den Antimafiaberichten des italienischen Parlaments wie deutscher Ermittlungsbehörden konkret benannt: Solnzevskaja, Ismailovskaja und dieTambovskaja. Diese sind von Moskau oder St. Petersburg aus gesteuert und haben auch in Berlin ihre Residenten. Die neuen Kriminellen sind jedoch die Businessmen. Sie agieren isolierter und individueller und haben aber gleichzeitig das Sagen in diesen drei großen Organisationen.

Spielt das in den Medien mit Stasi-Seilschaften in Zusammenhang gebrachte Unternehmen Gazprom Germania bei Ihren Recherchen eine Rolle?

Gazprom Germania spielt, wie Gazprom überhaupt, eine entscheidende Rolle, wenn es um Verbindung des russischen Nachrichtendienstes mit legalen wie weniger legalen Strukturen geht. Ich gehe deshalb auch auf die Stasi-Vergangenheit von Gazprom-Führungskräften in Deutschland ein, die von ihrer Vergangenheit heute, verständlicherweise, nichts mehr wissen wollen. Es gab auch Tote durch die Russenmafia. Mindestens 15 Menschen wurden in Berlin in diesem Zusammenhang in den 90er Jahren getötet.

Wie viel Macht haben diese Kriminellen wirklich?

Gefährlich für den normalen Bürger sind sie deshalb, weil sie in der Lage sind, Industriezweige aufzukaufen und mit ihrem Kapital in Deutschland zu agieren. Das bedeutet, sie investieren Geld in einem deutschen Unternehmen mit einem bestimmten Ziel, zur Profitmaximierung oder zur Geldwäsche und verfügen letztlich über ein enormes Erpressungspotential. Die Leittragenden sind immer die Arbeitnehmer, weil es in der Regel dann so ist, dass genau in diesen Betrieben Lohndumping betrieben wird, gewerkschaftliche Rechte keinerlei Rolle mehr spielen. Man darf halt, trotz aller Liebe zu Russland, eines nicht vergessen, die Leute sind geprägt durch eine Kultur der Rechtlosigkeit und Korruption in Russland bis zum heutigen Tag. Und mir kann niemand erzählen, dass sich dadurch etwas ändert, weil sie nun im Westen agieren.

Wie beurteilen Sie dann den Besuch von Wladimir Putin auf dem SemperOpernball im Januar 2009 in Dresden?

Daran erkennt man auf jeden Fall das Fehlen jeglicher ethischer Normen der gesellschaftlichen Elite. Ein anderes Beispiel für das Fehlen dieser ethischer Normen liefert eine deutsche Großbank, bei der sich einer der reichsten Männer Russlands als potentieller Kunde meldet, der eine bewegte kriminelle Karriere hat und bekanntermaßen für die Solnzevskaja hunderte Millionen Dollar verwaltet hatte. Die Beschwerde-Abteilung der Bank sagt, den wollen wir nicht als Kunden haben, aufgrund seiner kriminellen Verbindungen. Der Vorstand sagt aber, das ist uns vollkommen egal, wir wollen seine Milliarden. Und dieser Oligarch ist nun tatsächlich Kunde. Das zeigt die gefährliche Verfilzung. Fakt ist, hier geht es natürlich auch um dreckiges Geld, das jederzeit entzogen werden kann und die Bank steht dann ziemlich belämmert da. Wenn das bekannt würde wäre der Imageschaden für die Bank enorm. Ich habe dazu entsprechende Aussagen von Bankmitarbeitern und Dokumente, die diesen Fall belegen. Und vergessen Sie nicht, dass aufgrund der Kreditkrise die Mafia am meisten profitiert, weil sie über genügend Kapital verfügt und problemlos Kredite geben kann.

Wer genau hat diesen Kriminellen aus Russland und Italien in den Neuen Bundesländern den Boden bereitet?

Unter anderem höchst einflussreiche Funktionäre in der SED oder Stasi. Wie in Mecklenburg-Vorpommern in einer kleinen Stadt. Das ist geradezu typisch. Da ist ein Kommunalpolitiker und ein ehemaliger Stasi-Spitzel Vater von zwei Söhnen, der eine ist Polizeibeamter der andere hat eine Sicherheitsfirma. Sie haben also sowohl Kapital wie Erpressungsmaterial zur Verfügung. Begünstigt wird das durch ein bestimmtes politisches Bewusstsein in der Bevölkerung wie Politikverdrossenheit, Ängstlichkeit, fehlende Zivilcourage. Und ein solches Verhalten finden sie bis heute in vielen Regionen, von Rostock bis Erfurt.

Sie nannten ein Beispiel aus Prerow. Was ist da passiert?

Der Bürgermeister, ein Immobilienkaufmann aus Hamburg, ist mittlerweile ein reicher Mann. Er hatte Sizilianer mitgebracht und die üben, nach Aussagen von Bürgern, anscheinend Druck auf einige missliebige Politiker aus. Deshalb herrscht dort große Angst. Der bedrohte Stadtrat ist kein Spinner, sondern ein kluger Politiker. Weil er Angst hatte wollte er sich mit mir nicht in seinem Büro treffen, sondern an einem neutralen Ort. Ein anderer Stadtverordneter trat zurück, weil auch seine Familie unter Druck gesetzt wurde. Das System ist also irgendwie identisch mit Verhältnissen wie in Sizilien oder Kalabrien.

Sie haben sicher auch die Ex-Stasis mit Ihren Recherchen konfrontiert. Was sagen die dazu?

Stasileute reagieren in Gesprächen mit mir selbstgerecht, da gibt es kein Problembewusstsein. Sie erzählen lieber, wie sie die Unruhestifter mit altbewährten Mitteln durch Rufmord und Zersetzung nieder gemacht haben. Am wenigsten öffentlich ist das in Brandenburg, aber am intensivsten. Die Macht der alten Seilschaften zeigt sich in diesem Bundesland, gerade in der Uckermark, wirklich extrem.

Wie verlief die Entwicklung nach der Wende aus Ihrer Sicht?

Nach der Wende kamen nicht nur engagierte, sondern leider auch viele unfähige Verwaltungsleute aus dem Westen. Ein Zentrum der alten Seilschaften ist Strausberg. Am Beispiel eines ehemaligen Landrates, der in den Ruin getrieben wurde, lässt sich das dokumentieren. Da haben die alten Strukturen eine ganz entscheidende Rolle gespielt. Der damalige Landrat Friedhelm Zapf hatte versucht die Machenschaften aufzudecken und zu bekämpfen, wo es um Rückübertragungen von Eigentum ging. Der ist von den alten Seilschaften gnadenlos gemobbt worden, leider auch mit Hilfe einer eher unwilligen Justiz. Die Leute, die sein engagiertes Wirken massiv bekämpft hatten, sind heute gesellschaftlich anerkannt oder natürlich beruflich aufgestiegen. Derjenige, der die Vorfälle in den neunziger Jahren hätte aufklären können, aber genau das Gegenteil tat, erzählte mir Friedhelm Zapf, ist heute Landtagspräsident. Das ist in meinen Augen eines von vielen Beispielen für die mafiose Kultur am Beispiel Brandenburg. Und das ist der Biotop für die Mafia. Hier fühlt sie sich besonders wohl, blüht und gedeiht.

Jürgen Roth präsentiert »Mafialand Deutschland« am:
06.03.2009 in Erfurt
12.03.2009 in Leipzig
31.03.2009 in Dresden
01.04.2009 in Halle
02.04.2009 in Cottbus
26.03.2009 in Heinsberg

Von Mirco Robus