Karl Nolle, MdL
spiegel.online.de, 24.04.2009
Anklage gegen einen unbequemen Aufklärer
Sächsicher SPD-Mann Nolle
An der Demontage von Biedenkopf war er genauso beteiligt wie am Sturz Milbradts, und auch dem jetzigen CDU-Ministerpräsidenten Tillich setzt der sächsische SPD-Mann Karl Nolle zu. Doch nun steht er unter Betrugsverdacht - die Staatsanwaltschaft ermittelt. Eine Racheaktion?
Berlin/Dresden - Einen Sinn fürs Skurrile sagen Karl Nolle Freunde wie Gegner nach. "Sonate für Blockflöten und Schalmeien" heißt das Werk, mit dem er - nach mehreren Verzögerungen - nächste Woche auf den Markt kommen wollte. Aber der neue Nolle ist kein Leckerbissen der volkstümlichen Blasmusik, sondern eine harte politische Anklageschrift: Der SPD-Landtagsabgeordnete rechnet darin mit den Karrieren führender sächsischer CDU-Politiker zu DDR-Zeiten ab.
Prominentestes Beispiel: Ministerpräsident Stanislaw Tillich. Der musste auch wegen Nolles Recherchen bereits seinen im Internet veröffentlichen Lebenslauf korrigieren.
Doch nun hat der Sozialdemokrat die Veröffentlichung seiner Blockflöten-Arien abermals verschoben. O-Ton Nolle: "Ich brauche Zeit für meine Verteidigungsschlacht." Der SPD-Mann, 64, steht plötzlich selbst unter Druck: Die Dresdner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Druckereibesitzer.
Man habe ein "Ermittlungsverfahren wegen Subventionsbetrugs gem. § 264 Abs.1 Nr.1 StGB eingeleitet", schreibt die Staatsanwaltschaft in einer Mitteilung. Dabei werde untersucht, "ob Herr Nolle als Geschäftsführer der Druckhaus Dresden GmbH möglicherweise bei der Beantragung von Investitionszulagen für die Jahre 2005 und 2007 unzutreffende Angaben gemacht hat". Im Kern geht es nach Informationen von SPIEGEL ONLINE um Fördermittel für eine Druckmaschine und eine Halle.
Die Aufnahme der Ermittlungen und deren Zeitpunkt - "das kann nur ein Racheakt sein, eine Retourkutsche", ist aus der sächsischen SPD zu hören. Antje Hermenau, Chefin der Grünen im sächsischen Landtag, sagt es offen: "Ich halte das nicht für einen Zufall."
Tom und Jerry in der Politik
Nolle und die sächsische CDU - das ist wie das Verhältnis der Zeichentrickfiguren Tom und Jerry in der Politik. Erst arbeitete sich der gebürtige Niedersachse, seit 1999 Mitglied des Landtags in Dresden, an Kurt Biedenkopf ab. Dass der CDU-Ministerpräsident 2002 nach mehreren Affären abdanken musste, daran war Nolle maßgeblich beteiligt. Mit Georg Milbradt, Nachfolger Biedenkopfs als sächsischer Regierungschef, ging Nolle ebenso wenig zimperlich um.
Im Untersuchungsausschuss zur Pleite der Sachsen LB setzte er Milbradt schwer zu, wenige Monate später trat der Ministerpräsident zurück. Nolle stammt aus einer Familie unbequemer Sozialdemokraten, war führender Juso, flog wegen rot-grüner Appelle 1986 aus der SPD. Ein streitbarer Geist, aber auch geschäftstüchtig: Schon Ende 1989 siedelte er nach Dresden über und kaufte später eine Druckerei von der Treuhand.
Dreckschleuder, Selbstdarsteller, Rufmörder. So reden sächsische Christdemokraten über den selbsternannten Chef-Aufklärer der Landespolitik. Nolle hatte damit bisher keine Probleme - vielmehr schmeichelte ihm seine Rolle als CDU-Feind Nr. 1. Dass seine SPD mit der von ihm bekämpften Partei eine Koalition in Dresden bildet, kümmerte Nolle dabei wenig. Jetzt stellt sich Martin Dulig, Fraktionschef der SPD, vor seinen Abgeordneten. "Da kann nichts dran sein", sagt er zu den Ermittlungen. "Einer, der so hohe moralische Maßstäbe an andere anlegt wie er, tut das auch bei sich selbst."
Er sei unschuldig und die Vorwürfe haltlos - mehr will Nolle im Moment nicht zu den Vorwürfen sagen. Diese "entbehren jeder Grundlage und hätten durch ein kurzes Telefonat geklärt werden können", heißt es in einem Schreiben seiner Anwälte an Landtagspräsident Erich Iltgen, das SPIEGEL ONLINE vorliegt.
Und: "Offenkundig wurden die bereits länger zurückliegenden Vorgänge aus politischen Motiven recherchiert und gegenüber der Staatsanwaltschaft zur Anzeige gebracht."
Landtagspräsident Iltgen ist es, der nun über die Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Nolle zu befinden hat. Erst am Donnerstagmorgen erreichte ihn seinem Sprecher zufolge der entsprechende Antrag der Staatsanwaltschaft, 48 Stunden hat der CDU-Mann für seine Entscheidung Zeit.
Was Nolle und seine Anwälte allerdings mindestens genauso ärgert wie das Ermittlungsverfahren an sich, ist die Geschichte seiner Veröffentlichung. Denn Nolle hatte das Schreiben der Staatsanwaltschaft noch nicht in seinem Briefkasten, da wusste die in Chemnitz erscheinende "Freie Presse" davon - und berichtete darüber in der Mittwochausgabe unter dem Titel "Ermittlungen gegen Nolle wegen Betrugs".
Wie kam die Information in die Chemnitzer Redaktion?
Staatsanwaltschaft wehrt sich gegen Vorwürfe
"Von uns nicht", sagt Christian Avenarius, Sprecher der Dresdner Ermittlungsbehörde. "Die Staatsanwaltschaft verwahrt sich in diesem Zusammenhang auch nachdrücklich gegen die Unterstellung, einzelne Medien vorab von der beabsichtigten Verfahrenseinleitung unterrichtet zu haben", heißt es in seiner Mitteilung. Und dann folgt der bemerkenswerte Satz: "Diese eindeutige Verletzung der Persönlichkeitsrechte des Abgeordneten haben andere zu verantworten."
Vielleicht aus dem Präsidialbüro des Landtags? "Die Geheimhaltung im sächsischen Landtag hat in den vergangenen Jahren jedenfalls sehr zu wünschen übrig gelassen", sagt Avenarius.
Tatsächlich wusste das Präsidialbüro wohl schon vor Donnerstagvormittag über die Sache Nolle Bescheid: Bereits am Montag wurde der entsprechende Brief der Staatsanwaltschaft ohne die notwendige Unterschrift des verantwortlichen Ermittlers verschickt. Nachdem man diesen Fehler bemerkt hatte, verlangte die Ermittlungsbehörde das Schreiben zurück - und versandte es samt Signatur erneut.
Aber es gibt noch eine andere Fährte: Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE wurde, neben der "Freien Presse", wenigstens einem weiteren sächsischen Journalisten die Nolle-Geschichte angeboten - von einem hohen Regierungsbeamten.
Klar ist: Der CDU um Landeschef Tillich kommt die öffentliche Debatte um die Ermittlungen gegen Nolle wenige Monate vor der Landtagswahl am 30. August sehr gelegen. Befragen kann man den Regierungschef dazu im Moment nicht - Tillich ist weit weg von Dresden, er reist in diesen Tagen mit einer Wirtschaftsdelegation durch Russland und andere ehemalige Sowjet-Staaten. Und in der Staatskanzlei will sich auf Anfrage niemand zu dem Vorgang äußern.
Ein bisschen dürfte sich Karl Nolle an das Frühjahr 2002 erinnert fühlen. Damals, Biedenkopf war gerade abgetreten, musste Nolle eine dreiwöchige Steuersonderprüfung über sich ergehen lassen.
Fündig wurden die Fahnder nicht.
Von Florian Gathmann und Steffen Winter