Karl Nolle, MdL
DNN/LVZ, 13.05.2009
Neuer Wirbel um Tillich-Biografie
Staatskanzlei präsentiert Details aus Personalakte / Kritik von Nolle und Linken
Dresden. Im Streit um die DDR-Biografie von Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) lenkt die Staatskanzlei ein. Gestern präsentierte Staatskanzleichef Johannes Beermann (CDU) Details aus einer Personalakte des Ministerpräsidenten. Damit versuchte er Vorwürfe zu entkräften, Tillich habe in einem Fragebogen falsch geantwortet. Hier allerdings gibt es Ungereimtheiten.
Der Stoff ist komplex, das Thema politisch vermintes Gelände: Wochenlang hat sich die Staatskanzlei geweigert, Auskünfte über Inhalte einer Personalakte des Ministerpräsidenten zu geben. Dabei geht es um Tillichs Rolle in der DDR, um Parteifunktionen, Kaderschulungen und – nicht zuletzt – um Kontakte zur Staatssicherheit. Eben diese Fragen müssen Minister in Sachsen schriftlich beantworten, bei Tillich war dies 1999 das erste Mal der Fall. Das Zögern des Regierungschefs jetzt aber sorgte in Dresden für einige Verwunderung. Nicht nur die Opposition argwöhnt seit Monaten, Tillich habe seine Vita geschönt.
Nachdem das Ganze bereits Gerichte beschäftigt hat, suchte die Regierungszentrale gestern die geregelte Offensive. Nein, lautete der Tenor von Staatskanzleiminister Beermann, die Regierungszentrale werde nicht länger mauern, sondern komme einem Beschluss des Verwaltungsgerichts Dresden nach. Das hatte Tillich im Streit mit dem Nachrichtenmagazin Spiegel in der vergangenen Woche zur Auskunft verpflichtet – allerdings nur in erster Instanz. Der Gang vors nächste Gericht wäre also möglich gewesen, was die Staatskanzlei aber ablehnt. „Wir haben kein Interesse, das als Prozesshansel weiter zu verfolgen“, sagte Beermann.
Dahinter steht der Versuch, Tillich wie der Union ein zähes juristisches Ringen im Wahlkampf zu ersparen. Doch der Teufel steckt im Detail. Denn das, was Beermann aus der Akte präsentierte, lässt einigen Raum für Interpretationen – mindestens. Im Zentrum stehen zwei Fragen. Bei der ersten geht es darum, ob Tillich vor November 1989 politische Mandate oder Funktionen innehatte. Hier habe der Regierungschef auf seine Funktion als Mitglied des Rates des Kreises Kamenz für Handel und Versorgung verwiesen, so Beermann. Auf die Frage selbst aber habe er „mit ,nein’ geantwortet“.
Das ist erklärungsbedürftig. So war Tillich nicht nur Mitglied des Rates des Kreises, sondern auch Abgeordneter der Block-CDU im Kreistag, und zwar ab Mai 1989 im Wahlkreis 12. Nach allgemeiner Sprachregelung gilt das als Mandat. Er hätte also mit „ja“ antworten müssen. Hinzu kommt, dass Tillichs rechte Hand gestern eine Version präsentierte, die nicht jenem Fragebogen für sächsische Minister entspricht, der dieser Zeitung vorliegt. In diesem Original ist nicht nach „herausgehobenen Funktionen“ gefragt, es geht vielmehr nur um „Funktionen“.
Diese Unschärfe setzt sich im zweiten Komplex fort. Tillich, erklärte Beermann gestern, habe auf die Frage nach dem Besuch einer Parteischule ebenfalls mit „nein“ geantwortet. Nun ist seit Monaten bekannt, dass der Regierungschef Anfang 1989 an einem Lehrgang an der DDR-Kaderschmiede für Staats- und Rechtswissenschaft in Potsdam-Babelsberg teilgenommen hat. Diese Schule aber firmiert laut Beermann nicht als Partei-, sondern als staatliche Einrichtung. Tillich habe sich also wahrheitsgemäß erklärt.
Doch auch hier weicht der Originalbogen von jener Variante ab, die Beermann gestern präsentierte. Denn in der dieser Zeitung vorliegenden Version wird nicht nur nach Kaderschmieden der Partei allein gefragt, sondern nach allen Einrichtungen jenseits von Schule oder Berufsschule – „zum Beispiel Parteischulen oder ähnlichem“. Die Staatskanzlei erklärte die Differenzen gestern Abend damit, dass im Laufe der 90er Jahre die Fragebögen überarbeitet worden seien.
Die Kritiker von Tillich mochte das wenig beruhigen, es hagelte umgehend Kritik. Die Staatskanzlei hantiere mit „Taschenspielertricks zur Desinformation“, ging SPD-Mann Karl Nolle in gewohnter Härte zur Sache. Und der Fraktionsvize der Linken, Klaus Tischendorf, forderte Tillich gar indirekt zum Rücktritt auf. Der Regierungschef habe nicht nur falsch geantwortet, sondern lasse womöglich „Fragebögen fälschen – damit kann er in Sachsen nicht Ministerpräsident bleiben“.
Von JÜRGEN KOCHINKE