Karl Nolle, MdL
DNN/LVZ, 29.05.2009
„Leipzig tut das Denkmal gut“
Staatskanzleichef Johannes Beermann über DDR-Vergangenheit, Koalitionsarbeit und Schuldenbremse
Frage: Täuscht der Eindruck, dass sich das Klima in der schwarz-roten Koalition
gerade in Bezug auf den Haushalt verschlechtert?
Beermann: Natürlich ist Wahlkampf. Natürlich ist der Haushalt etwas, über das man sich streiten kann. Nur: Wir haben rund 500 Millionen Euro weniger zur Verfügung. Der Finanzminister hat schon mal rund 400 Millionen Euro umgeschichtet. Die einzelnen Ministerien müssen also nur noch rund 100 Millionen Euro bringen. Das ist am unteren Rand dessen, was man schultern kann. Gleichzeitig haben wir die Auflage vom Bundesfinanzministerium, dass wir nicht an unseren Investitionen sparen können. Das ist wie in Familien. Da kommen auch die Kinder und sagen: „Papa, ich hätte gern mehr Geld“. Und wir müssen sagen: „In diesem Monat passt es gerade nicht.“ Das sind ganz normale Mechanismen.
Ist es Zufall, dass es die SPD-Ressorts Wirtschaft und Wissenschaft getroffen hat?
Es sind alle betroffen. Mein Ressort übrigens auch. Die SPD-Ministerien hatten es geschafft, in den Haushaltverhandlungen sehr große finanzielle Polster zu bekommen. Aber es trifft sie mit dem gleichen Schlüssel wie alle anderen auch. Die SPD-Minister haben nur am lautesten geklagt. Fakt ist, dass das Geld fehlt, weil die Steuern durch die Konjunkturkrise eingebrochen sind.
Die SPD ist nicht der Traumpartner der CDU nach der Landtagswahl?
Koalitionen sind Zweckgemeinschaften zum Wohle eines Landes. Und ich meine, dass diese Koalition in den vergangenen Jahren schon einiges bewegt hat. Es ist manchmal mühselig, weil man es mit einer SPD zu tun hat, die auch innerhalb ihrer Reihen unterschiedliche Stimmen hat. Aber Politik ist nun mal kein Wunschkonzert
Was wäre Ihnen nach der Wahl lieber: Eine schwache SPD oder eine zu starke FDP?
Es ist eher die Frage, wie man sich in einer Koalition untereinander verständigt. Ich hatte von der jetzigen Koalition den Eindruck, dass es auch menschlich gestimmt hat. Es gab immer Ansprechpartner, auch wenn es politisch manchmal hoch herging. Zum Schluss ist wichtig, wie Persönlichkeiten miteinander auskommen und wie man Programme angleicht, die eigentlich nicht kompatibel sind.
Der SPD-Abgeordnete Karl Nolle attackiert am liebsten den jeweils gerade amtierenden Ministerpräsidenten. Wie schwierig ist es, unter diesen Umständen in der Staatskanzlei die Fäden zusammenzuhalten?
Das ist in der Tat ungewöhnlich, um es mal vorsichtig zu formulieren. Dass jemand den Ministerpräsidenten, den er selbst mitgewählt hat, angreift wie die politische Axt im Walde. Ich empfinde es aber eher als lästig denn als belastend.
Sie sind seit rund einem Jahr in der Regierungsmannschaft. Waren die Angriffe auf den Ministerpräsidenten wegen seiner DDR-Vergangenheit die bisher größte Herausforderung?
Nein, die größte Herausforderung war in der Tat, die Zusammenarbeit zwischen den Koalitionspartnern und den Ministern zu organisieren. Es galt, sofort einen guten Doppelhaushalt aufzustellen, was gut geklappt hat und eine der größten Leistungen dieser Koalition ist.
Und die Angriffe auf Tillich?
Der Ministerpräsident hat auf dem CDU-Parteitag gesagt, dass er es überdrüssig ist, ständig den Westdeutschen erklären zu müssen, wie die DDR funktioniert hat. Das halte ich für wichtig. Denn die Fragen, die uns teilweise erreichen, zeugen von Unkenntnis. Wir werden in Haftung genommen für fehlende Geschichtskenntnis und Einordnungsvermögen.
Zum Beispiel?
Da muss man sich schon mal über Fragen schlau machen, wie: Was war der Rat des Kreises? Was hatte der CDU-Vertreter im Rat des Kreises für Möglichkeiten? Was war mit Handel und Versorgung in der DDR? Wie entstanden die Parteien nach 1945,nachdem die Gruppe Ulbricht generalstabsmäßig aus der Sowjetunion eingeflogen wurde?
Die Staatskanzlei hat aber auch eine juristische Niederlage einstecken müssen. Da ging es um Auskunft über den Personalfragebogen, den der Ministerpräsident ausgefüllt hat. Hätte man mit Tillichs Vergangenheit nicht von Anfang an offensiver umgehen müssen?
Die Frage ist doch: Gibt man Einblick in Personalakten oder nicht? Es geht ja nicht nur um Ministerpräsident Tillich. Zu Personalakten gehören ja auch Krankenakten und Beihilfen. Das Gericht hat in der Hauptsache gesagt, dass wir die Personalakten oder Teile davon nicht herausgeben müssen und lediglich verlangt, dass wir zwei Fragen genauer beantworten. Und das haben wir dann auch getan. Was die Frage nach einer Tätigkeit des Ministerpräsidenten für die Staatssicherheit betrifft, so ist diese wohl umfassend durch die negative Auskunft der Birthler-Behörde geklärt. Es ging ja auch nicht um eine Mitarbeit, sondern um die Art der Kontakte. Dieser Punkt ist geklärt. Die Frage im Fragebogen zielt nicht ab auf die Kontakte als solche, sondern auf eine Mitarbeit beim MfS (Ministerium für Staatssicherheit - d. Red.), also die Art der Kontakte ab. Hat jemand ausgeforscht, denunziert, Geld angenommen?
Rechnen Sie damit, dass das Thema noch einmal im Wahlkampf hoch kocht?
Es ist ein Teil der Realität, dass Ministerpräsident Tillich über 50 Jahre alt ist und den größten Teil seines Lebens in der DDR verbracht hat. Er hatte 1989, am Ende der DDR, eine Funktion. Das ist ein Stück seiner Biografie. Er hat sich dazu umfassend erklärt. Ich bin sicher, wer das System erlebt hat, bewertet das Leben aus den Erfahrungen der damaligen Zeit heraus.
Wird die Sachsen-CDU jetzt die Ost-West-Karte spielen, um SPD und Linken Stimmen abzujagen?
Die Ost-West-Karte nicht. Was ich aber den Umfragen entnehme, ist, dass über 80 Prozent der Bevölkerung stolz darauf sind, Sachsen zu sein. Das hat zur Konsequenz, dass man verschiedene Dinge ganz stark durch die sächsische Brille sehen muss. Ich glaube aber nicht, dass es Sinn machen würde, einen Wahlkampf zu führen, der auf einen künstlich konstruierten Ost-West-Konflikt setzt.
Steckt bei den Angriffen auf Tillich die Taktik der Linken dahinter: Block-CDU gleich SED?
Das macht Sinn, wenn man suggerieren will, es sei alles eins gewesen. Und, wenn man Rot-Rot vorbereiten will. Aber dann soll man es bitte offen sagen.
War die DDR ein Unrechtsstaat?
Ja! Als Jurist und Staatsrechtler fällt mir das leicht zu sagen. Denn ein Rechtsstaat hat bestimmte Elemente wie Gewaltenteilung oder unabhängige Gerichte. Allein die Tatsache, dass es in der DDR weniger als 1000 Juristen gab, zeigt, dass das Recht kein Instrument war. Es gab Direktiven, Propaganda und die willkürliche Verfolgung und Vernichtung von Menschen. Das darf man nicht vergessen. Die Frage, die sich dahinter verbirgt, ist, ob der Unrechtsstaat bedeutet, dass alle seiner Angehörigen darunter litten. Das war natürlich nicht so. Es gab Familien, Feiern und auch Stolz auf die Heimat.
Sollte die Birthlerbehörde aufgelöst und ins Bundesarchiv übernommen werden?
Gerade der Streit um die Vergangenheit des sächsischen Ministerpräsidenten, wo die Behörde 20 Jahre danach noch einmal tätig werden musste, zeigt, dass sie noch erforderlich ist. Am Fall Kurras wiederum wird klar, dass noch Defizite in der Aufarbeitung darüber bestehen, wie die Stasi im Westen gearbeitet hat. Deshalb muss die Birthlerbehörde weiterarbeiten.
Sollten die Abgeordneten des neuen Landtags wieder überprüft werden?
Da bin ich zurückhaltend, weil ich kein Mitglied des Landtags bin und keine Empfehlungen geben kann. Gegen die bewährte Praxis beispielsweise bei Ministern habe ich aber nichts. Mich hat das selbst dreimal betroffen und ich finde das in Ordnung.
In Leipzig gibt es die Debatte, ob man das Geschenk des Bundes, ein Einheits- und Freiheitsdenkmal zu bauen, annehmen soll. Viele Bürger wollen das aber gar nicht. Können Sie das verstehen?
Man muss – meine ich - erst mal herausfinden, woher der Widerstand kommt. Ich glaube, dass Leipzig das Denkmal gut tut. Leipzig ist die Stadt, die am meisten mit der friedlichen Revolution in Verbindung gebracht wird. Das ist ein Teil der Leipziger Geschichte, den Bundesregierung und Freistaat zum Anlass nehmen, um die Stadt dafür auszuzeichnen. Mit allen Lasten, die eine Auszeichnung mit sich bringt. Aber auch mit der Ermutigung und der Wertschätzung der Leute, die auf die Straße gegangen sind.
Was passiert, wenn ein Bürgerentscheid das ablehnt?
Ein Imageschaden ist dadurch nicht zu befürchten. Aber ich glaube, dass es dem Ansehen der Stadt nützen würde, wenn sie das Denkmal bekäme.
Berlin hat sich komplett blamiert. Kann der Freistaat etwas tun, damit das in Leipzig in geordneteren Bahnen verläuft?
Der Freistaat hält sich nicht raus, aber die Stadt muss selbst einen Ort benennen. Das die Stadt eine starke Bürgerschaft hat, hat sie oft gezeigt.
Hinkt Leipzig in der Entscheidungsfindung hinterher?
Ich glaube, dass da jetzt eine gewisse Dynamik drin ist. Man darf nicht hinter den Mut der Leute zurückfallen, die hier 1989 auf die Straße gegangen sind. Die Gefahr sehe ich im Moment auch nicht. Irgendwann muss man aber mal sagen: So wird es jetzt gemacht. Da hat Leipzig die Chance, von Berlin zu lernen.
Der Leipziger Oberbürgermeister wirft dem Freistaat vor, dass Gelder aus dem Konjunkturpaket II abzurufen viel zu kompliziert sei. Das Geld komme bei den Kommunen nicht an. Stimmt das?
Das ist für mich völlig unverständlich. Ich gehe davon aus, dass er es besser weiß. Wir sind mit den Bescheiden und über 70 Prozent der freigegebenen Mittel an der Spitze der Bundesländer. 1747 von 2373 Anträgen sind genehmigt. Über 360 Millionen Euro sind damit raus an die Kommunen. Die Vorgaben kommen übrigens vom Parteifreund des Leipziger Oberbürgermeisters, vom SPD- Bundesfinanzminister. Ich habe an der Spitze der Länder verhandelt. Wir hätten das gern viel einfacher und unbürokratischer gehabt. Jetzt bin ich gespannt, wie die Kommunen, wie auch Leipzig damit umgeht. Das Wasser ist da, die Pferde können saufen. Hoffentlich bekommt man jetzt auch den Trog voll.
Im Gegensatz zum Deutschlandfonds zielt ein Landesprogramm auf die Absicherung mittelständischer Unternehmen. Was hat es bisher bewirkt?
Der Mittelstand ist flexibler als die großen Konzerne. Gerade in Sachsen ist er gewohnt, sich erst mal selbst zu helfen. Hier ist die Angst vor Veränderung nicht so stark wie in anderen Bundesländern. Die Veränderungen der vergangenen 20 Jahre wurden erfolgreich gemeistert. Das hat das Selbstbewusstsein gestärkt. Wir wollten mit unserem Mittelstandsförderprogrammm Liquiditätsengpässe beseitigen. Für Unternehmen, deren Auftragsbücher voll waren, aber wo die Banken zögerten. Es gab in etwa 60 Anträge mit einem Gesamtvolumen von rund 80 Millionen Euro, davon wurden knapp 10 Millionen ausgereicht.
Die Schuldenbremse ist wieder in die Diskussion geraten. Was halten Sie von einer Aussetzung?
Sachsen ist davon nicht so betroffen, weil unser Haushalt in Ordnung ist. Wir haben eine Schuldenbremse vereinbart. Deshalb ist das für Sachsen kein politisches Thema.
Ich glaube, dass es wichtig ist, Maß zu halten in Zeiten, wo man versucht, mit staatlichen Geldern eine Konjunkturdelle zu überbrücken. Wir müssen aufpassen, dass wir unseren Kindern nicht zu viel aufbürden. Generationengerechtigkeit ist wichtig und sollte in der Verfassung auch ihren Niederschlag finden. Wahlkampf darf man nicht mit Geldausgeben verwechseln.
Was halten Sie von der DIW-Forderung, die Mehrwertsteuer auf 25 Prozent zu
erhöhen?
Das halte ich nicht für denkbar. Die Mehrwertsteuer ist für mich die ungerechteste Steuer, die es gibt, denn sie lässt das Prinzip der Leistungsfähigkeit völlig außer acht.
Im Gegensatz zur Einkommens- und Unternehmenssteuer. Die Mehrwertsteuer trifft auch Familien mit vier Kindern und den Hartz-IV-Empfänger genauso wie Unternehmer. Ich glaube nicht, dass das der Königsweg ist.
Sie sind auch Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten. Warum sollte man zur Europawahl gehen?
Weil Europa uns manchmal näher ist als wir glauben. Mit dem Vertrag von Lissabon sind wir ein ganzes Stück weitergekommen. Europa ist demokratischer und handlungsfähiger geworden. Nun braucht das Parlament auch die entsprechende Aufmerksamkeit.
Es gab vor der EU-Osterweiterung die Ängste, dass Polen und Tschechen den Sachsen Arbeit wegnehmen würden und dass die Kriminalität steigen könnte. Waren die Ängste berechtigt?
Umgedreht gab es in Polen die Angst, dass Westeuropäer kommen würden, um das letzte Stück Land aufzukaufen. Weder das eine noch das andere hat sich bewahrheitet. Das Gegenteil ist der Fall. Im Hochindustrieland Sachsen brauchen wir durch den demografischen Wandel dringend hochqualifizierte Fachkräfte – auch aus Polen und Tschechien. Deshalb sind wir gut beraten, über diese Frage noch einmal nachzudenken, bevor der Fachkräftemarkt zusammenbricht.
Gibt es noch Rettung für Qimonda?
Wir versuchen immer noch Investoren anzusprechen. Aber je weiter die Zeit fortschreitet, desto geringer werden die Chancen. Das ist der fundamentale Unterschied zu Opel: Es gibt keinen, der sich in dem Maße als Investor für Qimonda interessiert. Der Ministerpräsident hat gegenüber dem EU-Kommissionspräsidenten klargemacht, dass wir das einzigartige Cluster mit AMD und Infineon erhalten müssen. Dafür werden wir weiterhin kämpfen.
Eine Landesbeteiligung ist nicht denkbar?
Wenn ein Investor mit einem guten Konzept da ist, wird diese Frage am Schluss zu diskutieren sein. Aber man kann nicht über den Schlussstein sprechen, wenn noch das Fundament fehlt.
Was erwarten Sie vom Besuch des US-Präsidenten in Dresden?
Es wird eine Gelegenheit sein, dass die Welt wieder auf Sachsen blickt und dass man dem Präsidenten den Freistaat nahebringen kann. Wir haben eine ganze Reihe von US-amerikanischen Investoren und Unternehmen in der Region. Das ist schon sehr wichtig.
Interview: Bernd Hilder, Roland Herold, Olaf Majer