Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 24.06.2009
Datenschützer prüft Tillichs DDR-Akten
Die politische Vergangenheit von Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) wird jetzt ein Fall für den Datenschützer. Er habe einen Prüfvorgang eingeleitet, um den Umgang mit den Akten im Archiv Kamenz aufzuklären, sagte der Datenschutzbeauftragte Andreas Schurig gestern der SZ.
Insbesondere die Frage, wer wann welche Unterlagen an wen herausgegeben habe und ob die Aktenbestände vollständig seien, werde untersucht. Staatskanzlei und Kreisverwaltung Kamenz sind bereits aufgefordert worden, Stellungnahmen abzugeben. Sollte Schurig keine befriedigenden Antworten erhalten, will er sich vor Ort selbst ein Bild von der Lage machen, kündigte er an.
Enteignung nach Mauerfall
Tillich war von Frühjahr 1989 bis Anfang 1990 stellvertretender Vorsitzender des Rates des Kreises Kamenz. Das CDU-Mitglied war zuständig für Handel und Versorgung, hat aber noch in der Endphase der DDR Presseberichten zufolge auch in zwei Fällen Enteignungen mitgetragen. Regierungssprecher Peter Zimmermann bestreitet das nicht. Die Entscheidungen seien allerdings nicht in Tillichs Zuständigkeitsbereich gefallen, sagte er.
Eines dieser beiden Grundstücke wurde 1992 an den ursprünglichen Eigentümer zurückgegeben, weil, wie die Tageszeitung „Die Welt“ heute berichtet, die Umschreibung des Grundstücks in Volkseigentum selbst nach dem DDR-Baulandgesetz nicht den gesetzlichen Bestimmungen entsprach.
Fragwürdiger Umgang
Es gehörte dem Bericht zufolge einer Familie, die 1947 in den Westen geflohen war. Die DDR-Behörden brachten dort einen Kindergarten unter. Mit der späten Enteignung sollte offenbar verhindert werden, dass sich die Familie aus dem Westen ihr Eigentum zurückholen konnte.
Abgesehen von der Frage, wie Tillichs Rolle bei diesen Entscheidungen zu bewerten ist, wirft der aktuelle Umgang der Staatskanzlei mit dem Thema immer mehr Fragen auf. So hat sich die Staatskanzlei in Dresden vorige Woche vom Landratsamt umgehend darüber informieren lassen, dass ein Journalist im Kamenzer Archiv über Tillichs Vergangenheit recherchiert.
Dieses regierungstreue Verhalten ist zwar nicht rechtswidrig, zeigt aber die besonderen Beziehungen zwischen Kommunalverwaltung und Regierungszentrale. Die Begründung, auch die Stasi-Unterlagen-Behörde informiere Betroffene über Anträge auf Akteneinsicht, zieht hier nicht. In Fällen wie diesen gibt es keine Schutzklausel – zumal es sich hier um Sachakten und nicht um personenbezogene Akten handelt, wie der Präsident des Bundesarchivs Manfred Weber auf SZ-Anfrage bestätigte.
Die Staatskanzlei selbst schickte schon im vorigen Herbst einen eigenen Mitarbeiter nach Kamenz, um sich dort über das Vorleben ihres Ministerpräsidenten zu erkundigen. Mehrfach sei der Mann im Archiv gewesen, um alle Unterlagen auf den Namen Tillich hin zu filzen. „Ausgehändigt wurden ausschließlich Kopien. Die genaue Zahl der Kopien muss noch ermittelt werden“, sagte der Regierungssprecher gestern. Sollten Akten verschwunden sein, habe die Staatskanzlei damit nichts zu tun.
Der Mitarbeiter habe direkt in den Räumen des Archivs gesucht. Seit Dezember ist das Archiv wegen umfangreicher Bauarbeiten für die Öffentlichkeit geschlossen. Wer in das Archiv will, ist seitdem auf die Kooperation der Mitarbeiter angewiesen. Sie stellen Unterlagen zusammen und fertigen Kopien an. Erst im September soll die Sanierung abgeschlossen sein.
Debatte im Landtag?
Die Opposition forderte Tillich unterdessen auf, in seiner für heute geplanten Regierungserklärung auch zu den jüngsten Vorwürfen Stellung zu nehmen. „Das ist das Mindeste, was das Parlament erwarten darf“, sagte Linksfraktions-chef André Hahn. Grünen-Fraktionschefin Antje Hermenau bekräftigte ihre Forderung, dass die Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes Einblick in den von Tillich unter Verschluss gehaltenen Personalbogen erhalten solle. „Sie soll dann entscheiden, ob ein Mann mit dieser Biografie normalerweise ein solches öffentliches Amt hätte bekleiden dürfen.“
Dass sich Tillich heute zu den Vorwürfen im Landtag äußern wird, ist jedoch sehr unwahrscheinlich. „Dazu gibt es keinerlei Anlass“, sagte Zimmermann. Es gebe nichts, „was einer Einordung des Ministerpräsidenten bedürfe“, so der Regierungssprecher.
Von Karin Schlottmann, Gunnar Saft und Annette Binninger