Karl Nolle, MdL

welt-online.de, 2. Juli 2009, 19:40 Uhr, 03.07.2009

Sachsens Ministerpräsident - Kurz vor dem Gerichtsentscheid gesteht Tillich

Damit hat er sich allerdings keinen Gefallen getan, sondern seine Partei in ein Dilemma gestürzt.
 
Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) sieht sich mit dem Vorwurf konfrontiert, seine Karriere beruhe gleich auf mehreren wahrheitswidrigen Angaben. Jetzt hat er eine Art Beichte abgelegt. Damit hat er sich allerdings keinen Gefallen getan, sondern seine Partei in ein Dilemma gestürzt.

Als Anstellungsbetrug definieren Juristen das Erschleichen einer Beschäftigung durch die Vorspiegelung falscher Tatsachen. Ausgerechnet ein Spitzenpolitiker der CDU sieht sich jetzt mit dem Vorwurf konfrontiert, seine Karriere beruhe auf gleich mehreren wahrheitswidrigen Angaben. An diesem Mittwoch hat Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich ein lange gehütetes Geheimnis preisgegeben und eine Art Beichte abgelegt – unmittelbar vor einer zu erwartenden Niederlage vor Gericht.

Tillichs Vergangenheit bringt CDU in Erklärungsnot Allerdings hat sich der Dresdner Regent mit dem Geständnis keinen Gefallen getan. Vielmehr stürzt er damit die Partei vor der Landtagswahl Ende August in ein Dilemma – und heizt erneut die Debatte über seine Glaubwürdigkeit an. Als Mitglied der DDR-CDU hatte Tillich dem SED-Regime bis 1990 als Staatsfunktionär gedient. Über Details musste der Sorbe 1999 mit der Ernennung zum Minister Rechenschaft ablegen – in einem dienstlichen Erklärungsbogen mit zehn Fragen. Am Ende des Formulars steht: „Eine unvollständige oder unwahre Beantwortung“ führe im Regelfall „zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses“. Wegen falscher Angaben hat der Freistaat Sachsen Tausende Mitarbeiter entlassen.

Würden für Tillich die gleichen Regeln wie für alle Beamten gelten, müsste er wohl entlassen werden. Denn er hat, wie er nun einräumte, in der Erklärung die heikle Frage nach dienstlichen Kontakten mit der Stasi verneint. Demgegenüber hatte Tillich im November vergangenen Jahres zwei Treffen mit dem DDR-Geheimdienst eingeräumt. Hintergrund: Seinerzeit war der Politiker kurz nach seiner Ernennung zum Ministerpräsidenten wegen sich widersprechender und nachweislich falscher Angaben über seine DDR-Vita in mehreren nach der Wende vorgelegten Biografien unter Druck geraten. Nach diesem Eingeständnis wollte die Öffentlichkeit erfahren, ob Sachsens höchster politischer Repräsentant die Stasi-Kontakte auch wahrheitsgemäß in seiner Erklärung angegeben hatte.

Was folgte – und das macht die Affäre zusätzlich brisant –, waren mutmaßliche Rechtsverstöße von Tillichs Staatskanzlei. Sie beantwortete Kleine Anfragen des SPD-Landtagsabgeordneten Karl Nolle zur Biografie des Ministerpräsidenten höchst ungenügend. Demnächst entscheidet das Sächsische Verfassungsgericht, ob die Verfassung gebrochen wurde. Auch Anfragen von Journalisten wurden nicht so behandelt, wie es das Sächsische Pressegesetz vorschreibt. Der „Spiegel“ zog vor das Verwaltungsgericht Dresden, das die Regierungszentrale zur Auskunft verpflichtete.

Als selbst danach erbetene Antworten ausblieben, bemühte diese Zeitung ebenfalls das Gericht. In dem Rechtsstreit verneinten Tillichs Anwälte noch am 22. Juni einen Auskunftsanspruch der Presse zu den Stasi-Kontakten des Regierungschefs. Jetzt erfolgte die Kehrtwende. Allerdings behauptet Tillich nun, er habe die Stasi-Frage „völlig korrekt“ verneint. Schließlich habe er nicht mit dem Geheimdienst zusammengearbeitet.

Diese Interpretation hält Christoph Jestedt, Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Dresden, für falsch. „Er hätte die dienstlichen Kontakte mit den Stasi-Leuten natürlich angeben müssen“, sagte der mit dem Rechtsstreit nicht befasste, aber mit der Materie vertraute Jurist „Spiegel online“. Tillich könne den Fragen nicht „plötzlich einen anderen Sinn unterstellen“. Der Stasi-Experte Hubertus Knabe sagte dem MDR, die Maßstäbe, die an andere angelegt würden, müssten „auch und gerade für den ersten Mann im Staate gelten“.

Zusätzlich in die Defensive gerät Tillich dadurch, dass er 1999 drei weitere wahrheitswidrige, irreführende oder unvollständige Angaben gemacht hat. So verneinte er die Frage, ob er zu DDR-Zeiten in eine Kadernomenklaturfunktion berufen worden sei. Laut Verwaltungsvorschrift hätte er mit Ja antworten müssen. Auch verschwieg Tillich, dass er im Kreistag saß. Dann bezeichnete er sich als Mitglied des Rates Kamenz – tatsächlich war er ab Frühjahr 1989 Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates.

Die Fraktionschefin der Grünen im sächsischen Landtag, Antje Hermenau, warf Tillich eine Beschädigung des Amtes des Ministerpräsidenten vor. Selbst von der Linkspartei gibt es Vorhaltungen. Vizefraktionschef Klaus Tischendorf: „Jeder andere Beschäftigte des öffentlichen Dienstes in Sachsen wäre dafür hochkant rausgeflogen.“
von Uwe Müller