Hannoversche Allgemeine, HAZ, 03.05.2001
Das nahe Ende, einer großen Karriere
Immer neue Vorwürfe belasten Biedenkopf in Dresden - nun auch noch die „Putzfrauenaffäre"
Zur Treibjagd, sagt Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf, gehören immer zwei - einer der treibt, und einer, der sich antreiben lässt. Mit anderen Worten: Biedenkopf denkt überhaupt nicht daran, sich von anderen in Hektik versetzen oder zum Rücktritt drängen zu lassen. Freundlich lächelnd sieht man den 71-Jährigen in diesen Tagen. Ganz so, als sei gar nichts passiert.
Dabei geht es in der sächsischen Landespolitik drunter und drüber. Seit Wochen wirkt die im 12. Jahr allein regierende CDU verwirrt und orientierungslos.
Gleichzeitig sieht sich Biedenkopf heftigen Attacken der SPD-Opposition ausgesetzt. Er habe zu wenig Miete (1857 Mark monatlich) für seine Wohnung in Dresden gezahlt, das frühere Stasi-Gästehaus in der Schevenstraße im noblen Stadtteil Weißer Hirsch. Seit gestern liegt der umfangreiche interne Prüfbericht der Staatskanzlei vor und nun ist klar: Biedenkopf muss für die 155 Quadratmeter große Unterkunft zwar keine Miete nachzahlen, nach Berechnungen der Regierung hat er sogar 78 000 Mark zu viel überwiesen. Denn nicht 155 Quadratmeter, sondern nur 135 hätten berechnet werden dürfen, heißt es. Aber eine Entlastung ist das nur teilweise. Denn weil Biedenkopf das Personal des Gästehauses auch für sein Privatdomizil am Chiemsee einsetzte, steht nun möglicherweise eine Nachzahlung von 15 000 Mark ans Finanzamt bevor. Zudem bleibt der Vorwurf, Ingrid Biedenkopf habe die Fahrbereitschaft des Innenministeriums für nicht dienstliche Zwecke genutzt. Der Geruch, hier sei nicht alles mit rechten Dingen zugegangen, bleibt also am Ministerpräsidenten haften.
Die Zeiten haben sich gewandelt: Vor zehn Jahren war Biedenkopfs „Prominenten- Wohngemeinschaft" in der Schevenstraße ein leuchtendes Beispiel für den pragmatischen Geist der politischen Aufbauhelfer aus dem Westen. Minister und Staatssekretäre, die nur mit einem Koffer nach Sachsen gekommen waren, fanden im Gästehaus Unterschlupf, wurden von „Landesmutter" Ingrid Biedenkopf behütet, teilten sich Kühlschrank und Badezimmer. Nach einer Mietzahlung fragte damals keiner. Heute hält Biedenkopf zwar niemand Raffgier vor, aber immerhin „typisches Königsgehabe". Der Politiker sei abgehoben und ignoriere, dass ein Regierungschef eben in erster Linie Diener des Volkes sei und sich auch so zu benehmen habe. „Selbstherrlich" sei Biedenkopf bei der Nutzung seines Domizils vorgegangen, heißt es aus der SPD.
Solche Debatten wären für den Ministerpräsidenten halb so schlimm, wenn sich die sächsische CDU nicht ohnehin in einer schweren Krise befände.
Alles begann im Januar, als Biedenkopf ankündigte, Anfang 2003 aus dem Amt scheiden zu wollen. Wenige Tage später feuerte der Ministerpräsident den Favoriten für die Nachfolge, Finanzminister Georg Milbradt. Ein Aufschrei in
der Landes-CDU war die Folge. Biedenkopf musste einlenken, berief eine Kommission, die über die Personalfragen in Sachsens CDU beraten sollte. Doch deren Ergebnisse wurden auf Drängen Biedenkopfs immer weiter hinausgezögert. Nun
blickt alles auf den September: Dann wählt der CDU-Landesparteitag seinen Vorstand neu. Manches spricht dafür, dass Biedenkopfs Widersacher Milbradt zum CDU-Vorsitzenden gekürt wird - und damit die Favoritenrolle für das Ministerpräsidentenamt einnimmt.
„Im Gästehaus in der Schevenstraße ist alles mit rechten Dingen zugegangen“ Kurt Biedenkopf
Während Biedenkopf dies offenbar mit Macht verhindern möchte, bekommt das Denkmal des früher so gepriesenen „König Kurt" immer mehr Kratzer. Erst
Debatten über eine angebliche Bevorteilung eines mit dem Regierungschef befreundeten Bauunternehmers, die allerdings im Sande verliefen. Dann die quälende Ungewissheit über den weiteren Weg der Union, einschließlich widersprüchlicher Angaben Biedenkopfs, wann er denn abzudanken gedenke. Und nun
auch noch die Diskussionen über die Miete für seine Wohnung. Biedenkopf scheint von alledem unbeeindruckt, hat kürzlich einen Fernsehjournalisten durch das Gästehaus geführt und den Verdacht einer Begünstigung zurückgewiesen. Streng genommen trifft den Ministerpräsidenten auch weniger Schuld - 1994 hatte der Landesrechnungshof wohl schon einmal auf eine Klärung gedrängt, aber die Staatskanzlei und das Finanzministerium (Minister: Milbradt) verschlampten die Sache offenbar. Es heißt, Biedenkopf habe dann 1997 nachgefragt und zur Antwort
bekommen, es sei „alles in Ordnung".
So sieht die Sache nach einer CDU Intrige aus: Vielleicht wollen die Biedenkopf-Gegner den Regierungschef an seiner empfindlichsten Stelle treffen bei den Dingen, die seine Frau zu regeln pflegt, und dazu zählt das Gästehaus.
Vielleicht sind aber auch Milbradt-Gegner am Werke und möchten erreichen, dass mit Biedenkopf auch sein Rivale in den Strudel gerät. Auf jeden Fall bereitet sich Dresden auf weitere Enthüllungen vor. Der aus Hannover stammende und jetzt in Sachsen wohnende Druckereibesitzer
Karl Nolle
Nolle spricht bereits von Hubschrauberflügen und Dienstwagenfahrten für private Zwecke, für die der Ministerpräsident wohl nicht gezahlt habe. Diesem Vorwurf, den die Staatskanzlei als „entkräftet" ansieht, will Nolle nun intensiver nachgehen. Eine Anzeige wegen Steuerhinterziehung hat der Unternehmer schon erstattet.
„Die Kritik an Biedenkopf bleibt ein Dauerbrenner, bis er Konsequenzen zieht und geht." Karl Nolle
Wer treibt Nolle zu einer derartigen Verfolgungsjagd auf Biedenkopf? Woher hat er seine Quellen? Der Unternehmer sagt, „frühere Minister, hohe Beamte und Politiker" fühlten sich „nicht mehr an die Loyalität zu Biedenkopf gebunden" und würden ihm gegenüber auspacken. Nolle ist keine Nebenfigur in Dresden, sondern ein SPD-Landtagsabgeordneter, der im Fall eines SPD-Wahlsieges bei der Landtagswahl 1999 Wirtschaftsminister geworden wäre. Außerdem hat der 56-Jährige viele gute Kontakte in die SPD, bis hin zum Kanzler, den er aus hannoverschen Tagen kennt.
Dies hat in Dresden eine ganz andere Vermutung aufkommen lassen: Vielleicht wirkt die sächsische Opposition kräftig an dem mit, was Beobachter bislang vornehmlich für einen CDU-internen Grabenkrieg gehalten haben. Und nicht wenige in Sachsen halten es für wahrscheinlich, dass das Waschen schmutziger Wäsche dann doch viel früher als geplant zu Biedenkopfs Abgang führen könnte - vielleicht im Sommer, rechtzeitig vor dem CDU Landesparteitag. Dann hätte es Biedenkopf wohl noch selbst in der Hand, einen Nachfolger zu benennen und eine Rückkehr von Milbradt zur Macht zu verhindern. Nach Lage der Dinge käme in solch einem Fall einer von drei jungen Ministern für das höchste Regierungsamt in Frage - Matthias Rößler (Kultus), Stanislav Tillich (Europa) oder Steffen Flath (Landwirtschaft). Noch allerdings weist Biedenkopfs Umfeld solche Vermutungen strikt zurück.
(VON KLAUS WALLBAUM)