Karl Nolle, MdL

Junge Welt, 09.05.2001

Der Koch soll regieren den Staat

Sachsen ist empört, doch weshalb?
 
DRESDEN. Es ist schon etwas verwunderlich, daß bislang noch niemand »Wandlitz« gerufen hat. Waren doch bei den historischen Vorgängen vor elf Jahren verchromte Badarmaturen nebst Wasser heiß/kalt als ein Verstoß gegen die Beschlüsse von Helsinki deklariert worden. Und der Videorecorder in des Ministers Hand galt als ein Verbrechen gegen die Menschheit.

Die Wiederholung derlei Geschichte in Sachsen macht sich derzeit an einigen möglicherweise unbezahlten Mietrechnungen sowie der großzügigen Auslegung bei der privaten Nutzung dienstlichen Personals und Fahrzeugen durch die Biedenkopfs fest.

Da wird seit einigen Wochen fast täglich als neu enthüllt, was so oder so ähnlich längst bekannt ist. Die Warmmiete für die Unterbringung der königlichen Familie im Gästehaus der Staatsregierung beträgt keine neun Mark pro Quadratmeter, worin ungewöhnlicherweise auch die Stromkosten sowie die anteilige Nutzung von Gärtner und Koch enthalten sind. Damit aber wenigstens der errechnete Mietzins in Übereinstimmung mit der Wohnraumgröße gebracht werden kann - Biedenkopf ist im Endeffekt sein eigener Vermieter -, wurde das Haus bisher mindestens siebenmal ausgemessen. Und wurde immer kleiner. Von den ursprünglich 216 sind es derzeit noch 130 Quadratmeter. Das Arbeitszimmer wurde begründungslos weggelassen, der Turm zum Dachboden umgeschrieben.

Derlei mag für Wohngeldbezieher und Ökosteuergeschädigte wie Sozialhilfeempfänger eine ärgerliche Mitteilung sein, aber ein Skandal? In zivilisierten Gegenden klärt man so etwas durch die Offenlegung der Bücher, Prüfung derselben durch Sachverständige. Der eventuell entstandene Schaden wird beglichen durch die Schuldigen.

Das bisher einzig politische Moment ist die Liaison zwischen Staat und Partei in Sachsen sowie das daraus resultierende mangelhafte Kontrollsystem, Presse und Opposition inklusive. Das wäre aber, hätte es sie bisher gestört, längst zu ändern gewesen. Weil es also wie in ähnlich gelagerten Fällen nicht wirklich zur großen Aufgeregtheit reicht, mußte alles auf den Kopf gestellt werden. Das ging bis dahin, daß ernsthaft erörtert wurde, ob denn der Koch die gute Augenwurst auf das private oder das dienstliche Backwerk der Familie gelegt habe.

Ein Reporter trieb dieser Tage einen Augenzeugen aus dem Hessischen auf, der bezeugen konnte, daß des Ministerpräsidenten Ehefrau mit Leibwächtern und einem dunklen Auto an der Ostsee gesehen wurde. Als wäre das nicht schlimm genug, hat sich die ältere Dame ihre Einkaufstüten von den Personenschützern tragen lassen. Das ist die Qualität dessen, was man hierorts für einen Skandal hält. In der veröffentlichten Meinung werden nicht einmal mehr Mindeststandards wenigstens an den Unterhaltungswert gelegt. Allenthalben sprießt das Ressentiment der Zukurzgekommenen. Es ist wohl der Ärger, all die Jahre bei Hofe nicht entsprechend Beachtung gefunden zu haben. Nun aber, da der König am Boden liegt, kann man mit der Meute leicht und ohne Angst bezüglich einer Gegenwehr zutreten. Da vergessen sie ihre karge Kinderstube, da degradieren die sonst so staats- und freistaatstragenden Medien den bürgerlichen Rechtsstaat zum Furz. Da kennen sie keine Unschuldsvermutung mehr, da verzerren sich ihre Züge zur Kenntlichkeit. Nicht, daß man sich im Hause des Ministerpräsidenten privat einen Koch auf Allgemeinkosten hält, dem der klandestine Postleninist Biedenkopf erklärt, wie der Staat zu regieren sei, empört sie wirklich, sondern daß sie nicht der Koch sein dürfen.

In dieser Situation, das Sommerloch steht noch bevor, hört man die bislang einzigen Stimmen der Vernunft aus einer nicht unbedingt vermuteten Richtung. Ronald Weckesser, der haushaltspolitische Sprecher der PDS-Fraktion, legte Anfang der Woche eine »Analytische Lesehilfe« vor. Diese bezieht sich auf einen in der Vorwoche bekanntgegebenen Bericht der Staatskanzlei zum Gästehaus in der Schevenstraße. Ein Dokument, welches, unpaginiert und ohne Inhaltsverzeichnis, teilweise selbst »für einen juristischen Laien grottenschlecht« sei, so Weckesser. Assistiert von der Wohnungspolitikerin Christine Ostrowski, die die eingangs angedeuteten Mietberechnungen flott auseinandernahm, kam der PDS- Haushalter gleich zu Beginn auf den Punkt, daß im Großen und Ganzen alles längst bekannt und die Öffentlichmachung im Zusammenhang mit der Wirrnis in der Landesunion zu sehen sei. Der Sachverhalt wurde, meinte Weckesser, »in der vergangenen Dekade bereits wiederholt thematisiert, aber bisher von der Öffentlichkeit nicht aufgegriffen«. Politisch sei es weniger die Brisanz der Fakten, welche das Aufsehen erregte, sondern die Vorgänge in der CDU selbst, in deren Kontext sie jetzt stünden.

Rücktritts- und ähnlichen in solchen Fällen üblichen Forderungen stehen die beiden PDS-Mandatsträger distanziert gegenüber. Denn noch weiß man gar nicht, was konkret zu untersuchen wäre, denn der von der Staatskanzlei vorgelegte Untersuchungsbericht trägt zur Klärung nicht bei.
(Jens-Uwe Richter/Gunnar Schubert)

Karl Nolle im Webseitentest
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