die Tageszeitung, 09.05.2001
Die Stimme der Kritik
Villa Ingrid
DRESDEN. Um es ganz direkt zu sagen: Mütter sind so. Wir waschen und kochen und putzen und bügeln und und fahren auch nicht selbst Auto. Weil wir Frauen sind, mit dem besonderen Gen in den Adern. Sie wissen schon, dieses spezielle Gen, das immerfort Fürsorge produziert. Manche Frauen kommen einfach nicht raus aus dieser ständigen Sorgebereitschaft. Bei mir jedenfalls ist es so.
Als Kurt vor fast zehn Jahren Chef von Sachsen wurde, fand ich in meine natürliche Rolle zurück. Es verursachte mir keine Hitzewallung mehr, dass die Kinder aus dem Haus waren. Kurt brachte einfach drei von seinen Ministerfreunden mit ins Haus. Die quartierte ich dann ein und nahm noch fünf Staatssekretäre hinzu. Das war eine schöne Zeit.
Villa Ingrid nannten einige unser Haus. Ich bot ihnen ein schönes Heim, mit Rundum-Service. Jeder, der spät nachts von der Arbeit kam, konnte sich noch etwas in der Küche brutzeln lassen. Das Bad war immer tipptopp und die Hemdkragen gestärkt. Personal hatten wir ja genügend im Haus - all die ABM-Stellen mussten ja ausgefüllt werden. Natürlich habe ich den Ministern und Staatssekretären Haushaltsgeld und Servicegebühren berechnet. Die Haushaltskasse führte ich.
Es ist alles so lange her. Ja, vielleicht gabs da mal einen Überschuss in der Kasse. Mag sein. Gut, ich bin mal von dem Geld zum Friseur gegangen und hab der Putzfrau ein Trinkgeld zugesteckt. Und das soll jetzt alles falsch gewesen sein? Wissen Sie, wie Sie mich damals genannt haben? Die Nancy Reagan von Dresden. Diese Verehrung ist Ihnen heute schnuppe?!
Da stecken doch bestimmte Interessen dahinter. Aber ich habe mir nicht vorzuwerfen. Ich bin Mutter. Landesmutter. Ich ziehe Kinder und Minister groß. Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen. Nehmen Sie die Finger vom Tisch. Ich hab die Platte schon poliert.
(ANNETTE ROGALLA)