Freie Presse, 09.05.2001
Durchhalte-Willen
Biedenkopf ließ alte Klasse aufblitzen, erreichte aber nur Aufschub
DRESDEN. Die Motive seien ihm schleierhaft, stellte sich Kurt Biedenkopf dumm. Bewundert hätten die Medien damals die Minister-Kommune in der Schevenstraße, diese einmalige von Wende und Aufbruch inspirierte Mannschaft, die ein Stück sächsischen Erneuerungsgeist schrieb. Warum man heute von einer „schwarzen Kasse" berichte, wo doch Ingrid, sein geliebter „Feldwebel", nur Bier-Rechnungen bei Ministern mit schlechter Zahlungsmoral eingetrieben habe, warum zwei Millionen Mark Spenden für die Frauenkirche und 200.000 Mark für Multiple-Sklerose-Kranke anlässlich ihres 70. Geburtstages weniger zählen als unzulässiges Einkaufstütentragen durch Body Guards?
Natürlich kennt Biedenkopf die Regeln von Täter und Opfer und er weiß auch, an welchen Schwachstellen gebohrt werden muss, um ein Boot in Schlagseite zu bringen. Mit Milbradt fing alles an. Die Geister, die Sachsens Premier mit der Entlassung des Finanzministers rief, wurde er nicht mehr los. Dankbarkeit und würdevoller Respekt zählten fortan nicht mehr. Höfisches Gehabe, vom Volk als Teil des Königtums bewundert und von Insidern zehn Jahre tuschelnd kolportiert, richtete sich nun als Vorwurf vor allem gegen Ingrid Biedenkopf. Die Schevenstraße mit niedrigen Mieten, Dienstpersonal zum Inklusivpreis und Verwandten-Logis ohne Zahlungsbeleg nahm Formen eines Politskandals an, der die bereits gespaltene CDU lähmte und die Regierung zu paralysieren drohte.
Spät griff Kurt Biedenkopf persönlich ins Ruder. Der Auftritt vor der Presse verriet etwas von alter Klasse. Er habe nie Entscheidungen getroffen, die ihn selbst betreffen, zahle viel Geld, um von lästigen Steuerarbeiten befreit zu werden und auch jetzt im Zweifelsfalle lieber mehr als zu wenig. Biedenkopf, der Vor-, der Querdenker, der lieber Welt- als Sachsen-Politik gestalten würde: Ihm nimmt man ab, dass er den Bescheiden seines Ex-Freundes Georg Milbradt vertraute und dann seine Ruhe haben wollte. Den Eindruck, dem heutigen Rivalen den schwarzen Peter zuschieben zu wollen, vermied er tunlichst. Mag doch Günther Meyer, der aktuelle Freund, die Schuld auf sich laden. Über die Schevenstraße, das machte der Ministerpräsident klar, wird er nicht stürzen. Noch hat die CDU, noch hat das Land keinen Besseren. Aber die Zeit, einen Nachfolger zu nominieren, drängt. Denn die Idylle, in der sich Ingrid und Kurt Biedenkopf eingerichtet hatten, ist zerstört.
(Hubert Kemper)