Sächsische Zeitung Online, 17.05.2001
Der Ministerpräsident lacht und schweigt
Alles schon gesagt, alles schon gehört
DRESDEN. Der ganze Spuk dauerte genau zweieinhalb Stunden. Eigentlich hätten auch zweieinhalb Minuten gereicht. Denn es wurde nichts gesagt, was man nicht vorher schon gehört hatte. Und das Ergebnis stand auch schon vorher fest: keine Aufforderung zum Rücktritt, vom Rücktritt ganz zu schweigen.
Schweigen - das war auch die einzige Reaktion jenes Mannes, um den sich an dem Nachmittag alles drehte. Kurt Biedenkopf ließ reden, zuerst seinen CDU-Fraktionsvorsitzenden Fritz Hähle, dann seinen Staatskanzleichef Georg Brüggen. Kurt Biedenkopf hörte auch der Opposition zu - dem SPD-Fraktionschef Thomas Jurk mit offensichtlichem Interesse, dem PDS-Fraktionsführer Peter Porsch weniger offensichtlich. Während Porsch vom zerfallenden System Biedenkopf, von monarchischer Hofhaltung und verlorener Regierungsfähigkeit sprach, hatte der Ministerpräsident scheinbar alle Hände voll zu tun. Er las Papier, ordnete es auf Stapeln, sortierte es in Folien, machte sich Notizen. Das Signal war klar: Die PDS ist Luft für mich. Doch dann verlor er doch die Beherrschung. Als nämlich Porsch von der Modelleisenbahn im Gästehaus Schevenstraße erzählte, auf der mehrere Züge gleichzeitig fahren, gesteuert von vier oder fünf Trafos, und die von niemandem bedient werden dürfe, außer von Biedenkopf selbst. Herzlich lachte da der Regierungschef, ein befreiendes Lachen, und aus dem Saal rief es "Helau! Helau!" CDU-Chef Hähle revanchierte sich später mit dem Witz von den Jägern, die nur Jagd auf fünfbeinige Hasen machen, aber die Beine erst nach dem Schuss zählen.
Nein, spaßig war der Nachmittag im Landtag nicht. Die CDU-Abgeordneten hatten, selbst wenn manche des Ministerpräsidenten überdrüssig sind, keine Lust, sich von der PDS vorführen zu lassen. Die PDS-Abgeordneten wollten sich nicht kleinlicher als kleinlich zeigen und nutzten die Gunst der Stunde zu einer Generalabrechnung mit der CDU-Politik. Und die SPD-Abgeordneten mussten klar machen, dass sie zwar auch für Biedenkopfs Rücktritt sind, aber ansonsten mit der PDS nichts gemein haben.
So war schließlich alles wie immer, und alles blieb beim Alten. Anders war vielleicht nur das große Interesse. Unten im Saal blieben lediglich vier Plätze frei, oben drängelten sich Journalisten, Kameraleute, Besucher und Sicherheitsleute. Das erlebt man im Landtag nun wirklich nicht alle Tage. Wahrscheinlich schon heute nicht mehr, zur nächsten ordentlichen Sitzung.
Aus der Debatte
Fritz Hähle (CDU): Den Rücktritt des Ministerpräsidenten mit diesem Antrag herbeiführen zu wollen, ist ein untauglicher Versuch - ein unwirksamer ohnehin. Spricht man mit den Leuten, ist bald zu merken, dass die meisten ganz andere Sorgen haben. Wir haben es seit längerem mit einer Übermoralisierung des Politischen zu tun. Nicht die Religion bestimmt die Moral, sondern die Moral wird zur Religion.
Peter Porsch (PDS): Wenn ein Ministerpräsident nur mehr im Fernsehen spricht und nicht mehr vor dem Parlament, so ist er im Grund schon zurückgetreten. Wir fordern den Rücktritt wegen seiner missglückten Politik, wegen seiner Ignoranz gegenüber den Problemen des Landes. Noch nie waren die Insolvenzzahlen in Sachsen so hoch wie im April dieses Jahres, die Abwanderung junger Menschen steigt.
Thomas Jurk (SPD): Die Ära Biedenkopf ist vorbei. Er hinterlässt eine zerrüttete und demoralisierte Partei. Der Aufbauhelfer vom Typ Biedenkopf hat sich überlebt, auch der "huldvolle" landesväterliche Stil ist ein Auslaufmodell. Treten Sie zurück, Herr Biedenkopf, weil wir uns eine weitere Lähmung des politischen Lebens nicht leisten können.
(Steffen Klameth)