Deutschlandfunk, Interview am Morgen um 8:10 Uhr, 17.05.2001
"Ich bin kein Opfer einer Kampagne"
Frank Capellan im Gespräch mit Kurt Biedenkopf (CDU), Ministerpräsident in Sachsen
Capellan: Kurt Biedenkopf gilt als einer der populärsten Ministerpräsidenten in Deutschland. "Das ist einer, der hat das Land voran gebracht", so das Urteil vieler Menschen. Allerdings wissen wir, das Bild wird inzwischen gehörig getrübt. Er habe zu wenig Miete gezahlt, er habe Dienstpersonal für private Zwecke eingesetzt und sich von einem befreundeten Bauunternehmer einen Luxusurlaub spendieren lassen. Das sind Vorwürfe, die den König in einem anderen Licht erscheinen lassen. Gestern wurde im Landtag in Dresden über seinen Rücktritt gestritten. Den nämlich hatte die PDS gefordert. Doch Christdemokrat Kurt Biedenkopf, er hat die Rückendeckung seiner Partei, er will weiter Ministerpräsident von Sachsen bleiben. Mit ihm sind wir nun verbunden. Guten Morgen Herr Biedenkopf!
Biedenkopf: Guten Morgen.
Capellan: Herr Biedenkopf, "Biedenkopf sieht sich als Opfer einer Kampagne des Kanzlers". So titelt die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" heute Morgen. Ist das korrekt?
Biedenkopf: Es kann ja sein, dass die "FAZ" so titelt, aber das bedeutet nicht, dass der Biedenkopf sich so sieht.
Capellan: Wie sehen Sie sich denn?
Biedenkopf: Ich sehe mich als Ministerpräsident des Freistaates Sachsen, als CDU-Mann und als jemand, der eine gute Politik unterstützt und eine schlechte bekämpft.
Capellan: Also nicht als Opfer einer Kampagne?
Biedenkopf: Ich bin doch kein Opfer einer Kampagne, natürlich nicht!
Capellan: Aber da gibt es ja Leute, die das sagen. Ihr Fraktionschef Fritz Hähle sagt zum Beispiel, dahinter steckt der Kanzler.
Biedenkopf: Ich bitte Sie, es geht doch darum, was ich sage, wenn Sie mich fragen. Fritz Hähle hat mich außerdem nicht als Opfer bezeichnet, sondern er hat darauf hingewiesen, wie im übrigen auch andere keineswegs nur aus Sachsen, dass diese ganze Auseinandersetzung natürlich auch vor dem Hintergrund der kommenden Wahlen zu sehen ist. Das ist das Normale. Das kann vielen Politikern passieren und ist mir jetzt auch passiert.
Capellan: Das heißt aber nicht, dass Sie glauben, dass dort die Fäden aktiv bei der Bundes-SPD gezogen werden könnten?
Biedenkopf: Es bestehen schon Zusammenhänge zwischen der hiesigen Landtagsfraktion und der Bundespartei.
Capellan: Welche Hinweise haben Sie dafür?
Biedenkopf: Es gibt eine ganze Reihe von Indizien, die öffentlich zu diskutieren nicht sinnvoll ist.
Capellan: Würden Sie von Intrigen sprechen?
Biedenkopf: Nein, von politischem Kampf würde ich sprechen.
Capellan: Und der wird wirklich aus Berlin angezettelt?
Biedenkopf: Ich weiß nicht, da müssen Sie die Berliner fragen. Das kann ich Ihnen nicht sagen.
Capellan: Ich wollte Sie nach Ihrem Eindruck fragen.
Biedenkopf: Mein Eindruck ist, dass es einen Zusammenhang gibt und dass sich das auch immer wieder zeigt, aber das steht nicht im Mittelpunkt. Im Mittelpunkt steht die Auseinandersetzung um die Frage, wie im Jahre 2002 in Sachsen abgestimmt wird. Das ist für die Regierung ebenso wichtig wie für die CDU/CSU.
Capellan: Herr Biedenkopf, wenn ein Ministerpräsident mit einem wichtigen einflussreichen Bauunternehmer befreundet ist - da haben wir ja nichts gegen -, er lässt sich einladen, birgt das die Gefahr von Abhängigkeit?
Biedenkopf: Ich finde es sehr nett, dass Sie gesagt haben, da haben wir ja nichts dagegen. Das ist ja schon ein Urteil. Man muss die Sprache ja mal ein bisschen genau sehen. Der Mann, von dem hier die Rede ist, ist ein Freund, der 25 Jahre lang mein Freund ist. Er ist auch kein Bauunternehmer, denn er baut überhaupt nicht, sondern er hat Hotels, er hat Wohnungen bauen lassen, er hat hier in Dresden ein großes Entwicklungsprojekt gemacht, worum ich ihn ausdrücklich gebeten habe. Er hat Hunderte von Millionen investiert, was unserem Land gut getan hat. Seine Frau ist die Patentante mehrerer unserer Enkel. Wir haben ihn in Monaco besucht und mehrere Tage auf einem Schiff gewohnt, was im Hafen liegt, und sind dann wieder nach Hause gefahren. Wenn jemand glaubt, dass der Ministerpräsident des Freistaates Sachsen durch fünf Übernachtungen bei seinem besten Freund politisch beeinflusst wird, dann kann ich nur sagen muss er von sich auf andere schließen.
Capellan: Das haben ja auch viele Parteifreunde von Ihnen gesagt. Die meinen, diese ganzen Vorwürfe sind im Grunde lächerlich. Aber eines bleibt hängen: die Art und Weise, wie der Kurt Biedenkopf seinen Finanzminister Georg Milbradt entlassen hat, die hat das Klima auch in den eigenen Reihen vergiftet. Herr Biedenkopf, dieser Ansicht ist zum Beispiel Ihr früherer Umweltminister Arnold Vaatz.
Biedenkopf: Arnold Vaatz ist ja gar nicht mehr hier. Arnold Vaatz kann das auch nicht beurteilen und ich habe auch nicht die Absicht, über Meinungen zu diskutieren, die Arnold Vaatz geäußert hat.
Capellan: Das ist aber schade!
Biedenkopf: Ja, das ist auch schade, aber das ist nicht mein Gesprächspartner.
Capellan: Aber lassen Sie uns trotzdem kurz hören, was er gestern im Deutschlandfunk gesagt hat:
Vaatz: Ich glaube, er hat eine gravierende Fehlentscheidung getroffen, indem er denjenigen, dessen Hilfe er am meisten in Anspruch genommen hat in den letzten zehn Jahren, aus dem Kabinett gefeuert hat, ohne das jemals zu begründen. Ich glaube nicht, dass es in letzter Zeit noch ein Beispiel gibt, wo von einem Vorgesetzten ein politisches Lebenswerk so brutal versucht worden ist zu zerstören, wie das Biedenkopf mit seinem wichtigsten Mann gemacht hat. Er muss in dieser Angelegenheit sich mal überlegen, was er jetzt zur Integration der sächsischen CDU beitragen kann, die durch seine Fehlhandlung in eine ganz schwierige Lage gebracht worden ist. Auch die Selbstverteidigung des Ministerpräsidenten finde ich kommt in der Öffentlichkeit überhaupt nicht an, dass er sich praktisch hinstellt nach dem Motto, Mami hätte mir doch sagen müssen, dass ich den Einkaufskorb zurückgeben muss, die Schuld ausschließlich bei anderen sucht, bei sich selber überhaupt nicht.
Capellan: Herr Biedenkopf, haben auch Sie Fehler gemacht?
Biedenkopf: Wissen Sie, das was Sie mir gerade vorgespielt haben, das verurteilt sich selbst. Ich habe nicht die Absicht, das zu kommentieren.
Capellan: Warum verurteilt sich das?
Biedenkopf: Ich habe nicht die Absicht, das zu kommentieren.
Capellan: Aber das ist doch die Aussage eines Parteifreundes?
Biedenkopf: Ich habe nicht die Absicht, das zu kommentieren. Herr Vaatz hat kein einziges Mal mit mir gesprochen. Herr Vaatz hat mir alles das, was er eben gesagt hat, nie persönlich gesagt. Sie können doch nicht von mir erwarten, dass ich jetzt mit Herrn Vaatz über Ihren Sender einen Dialog beginne. Auch die Formulierung, die er gebraucht hat in Bezug auf den Einkaufskorb, ist doch keine seriöse Formulierung, jedenfalls keine, die ich von einem Mann erwarte, der Mitglied des deutschen Bundestages ist und in meinem Kabinett lange Jahre mitgearbeitet hat und dann gerne in den Bundestag gehen wollte. Der Ministerpräsident hat in Sachsen das Recht, Minister zu berufen und zu entlassen.
Capellan: Also die Entscheidung war richtig, Georg Milbradt zu entlassen?
Biedenkopf: Ja selbstverständlich war sie richtig. Sonst hätte ich sie nicht getroffen. Ich habe tagelang darüber nachgedacht. Ich habe mich mit meinem Kabinett beraten. Ich habe mich mit anderen beraten. Ich habe die Entscheidung vor der Fraktion begründet. Alles das was der Herr Vaatz hier sagt ist unwahr.
Capellan: Haben Sie durch diese Entlassung eine Spaltung Ihrer Partei in Kauf genommen?
Biedenkopf: Nein, ich habe keine Spaltung in Kauf genommen.
Capellan: Aber die haben Sie jetzt?
Biedenkopf: Ich habe mit meiner Partei verabredet, als ich nach Sachsen kam, dass ich das Recht habe, Minister zu berufen und zu entlassen, und die Partei hat diese Verabredung auch in diesem Falle respektiert. Es ging doch gar nicht um die Entlassung oder Nicht-Entlassung des Ministers, sondern es ging um die Frage, wie in Sachsen diese Legislaturperiode gestaltet werden soll und wie die Nachfolgefragen geklärt werden sollen. Da waren wir unüberbrückbar verschiedener Meinung. Wenn man unüberbrückbar verschiedene Meinungen im Kabinett hat, muss man eine Entscheidung treffen, und das habe ich getan.
Capellan: Werden Sie die Nachfolgefrage Ihrer Partei überlassen oder sich weiter einschalten?
Biedenkopf: Das wird sich im Laufe der Zeit herausstellen. Es ist jetzt keine Veranlassung, das öffentlich zu erörtern.
Capellan: Warum haben Sie dann Anfang der Woche einige Minister genannt, die als mögliche Nachfolger für Sie in Frage kämen?
Biedenkopf: Weil ich gesagt habe, das sind alles gute Leute im Kabinett, die könnten das machen. Das ist doch eine schöne Botschaft, wenn man sechs oder noch mehr Minister im Kabinett hat, von denen man glaubt, dass sie eine Nachfolge übernehmen können. Ich wünschte mir, wir hätten bei der CDU diese Nachfolgefragen auch so geklärt.
Capellan: Herr Biedenkopf, eine andere Frage. Sie waren ja nicht gerade ein Freund von Helmut Kohl. Jetzt sagen viele, dass Sie im Grunde dieselben Fehler machen wie der Altkanzler kurz vor seinem Abgang. Die sagen, der Biedenkopf ist starrsinnig, der ist uneinsichtig, der beschimpft die Medien, gibt sich wie ein Monarch. Wie reagieren Sie auf solche Anschuldigungen?
Biedenkopf: Ich höre sie mir an.
Capellan: Mehr nicht?
Biedenkopf: Nein. Was soll ich denn sagen, wenn jemand sagt, ich würde mich monarchisch benehmen. Ich finde all diese Dinge sehr interessant. All die Leute, die das schreiben, machen sich nicht die Mühe, mal in Sachsen die Menschen zu fragen. Ich bin hier von der sächsischen Bevölkerung mit 57 Prozent Mehrheit für fünf Jahre gewählt worden.
Capellan: Die Leute stehen auch hinter Ihnen, glauben Sie?
Biedenkopf: Aber sicher, jedenfalls so weit ich das erkennen kann. Wenn ich zu Veranstaltungen gehe, wenn ich Menschen treffe, ich habe noch nie so viel Solidarität erfahren im Land, seitdem ich hier bin, wie in den letzten vier Wochen.
Capellan: Wann wollen Sie aufhören?
Biedenkopf: Wenn ich den Zeitpunkt für gekommen halte.
Capellan: Werden Sie die Legislaturperiode noch beenden?
Biedenkopf: Das habe ich bereits beantwortet.
Capellan: Also werden Sie?
Biedenkopf: Nein. Ich habe gesagt, dass ich für einen ordnungsgemäßen Übergang sorgen will, und das werde ich auch tun, aller öffentlicher Debatte zum Trotz.
Capellan: Der Abgang könnte also schon vorher kommen?
Biedenkopf: Das ist kein Abgang, sondern das ist eine Weitergabe einer Aufgabe von jemand, der dann vielleicht 72 oder 73 Jahre alt ist. Es gibt sicher wenig Leute, die ihr siebentes Lebensjahrzehnt unter Preisgabe eines hohen Einkommens einem Land widmen, und ich gehöre zu denen, die das machen. Ich muss Ihnen sagen, ich habe die Medien nicht beschimpft, sondern ich habe festgestellt, dass in einer Weise über Verdächtigungen gesprochen wird als seien es Tatsachen, dass niemand auch nur gefragt hat. Mich hat kein einziger Journalist, der über mich geschrieben hat, vorher gefragt.
Capellan: Gut. Wir haben Sie jetzt gefragt, Herr Biedenkopf.
Biedenkopf: Ja, Sie haben mich gefragt, nachdem alles vorbei war, und Sie haben mich auch in einer Weise gefragt, die weniger auf Aufklärung als auf eine Situation ausgerichtet war, in der ich mich verteidigen muss. Das ist etwas völlig anderes.
Capellan: Herr Biedenkopf, das müssen wir so stehen lassen. Ich danke Ihnen! - Kurt Biedenkopf war das, CDU-Ministerpräsident von Sachsen.