Das Parlament - Nr. 21, 18.05.2001
Sachsen: Amigo-Miet-Traumschiff-Affären
Biedenkopf kämpft um die Macht
DRESDEN. Nachdem wochenlang neue Vorwürfe über Vorteilsnahmen unterschiedlichster Art gegen Sachsens Ministerpräsident laut geworden sind, ist Kurt Biedenkopf (CDU) jetzt in die Offensive gegangen. Er lasse sich nicht aus dem Amt drängen, lautet sein Credo. Bei den Anschuldigungen gehe es in Wahrheit nicht um Verfehlungen, sondern allein um Machtfragen. Tatsächlich geht es auch um Fragen der Machtausübung. In der sächsischen CDU gibt es im Grunde seit dem letzten Sieg bei der Landtagswahl im Herbst 1999 Bestrebungen, sich vom Übervater zu lösen. Mit der plötzlichen Entlassung von Finanzminister Georg Milbradt im Januar dieses Jahres sind die Konflikte offen ausgebrochen. Eine Gelegenheit, auf die die Opposition im Freistaat lange gewartet hatte. Im Landtag der absoluten CDU-Mehrheit hoffnungslos unterlegen, konnte sie mit politischen Initiativen nicht viel ausrichten. Die Beliebtheit der Biedenkopfs bei den Sachsen ließ SPD und PDS ihre eigene Ohnmacht noch deutlicher spüren.
Jahrelang hatte kaum jemand Anstoß daran genommen, dass Kurt Biedenkopf und seine Frau seit 1990 im Gästehaus des Freistaates logieren. Als bekannt wurde, dass der Landesrechnungshof das seit 1997 bestehende Mietverhältnis überprüft, hagelte es Krititk: Nur 1857 Mark Warmmiete für eine Wohnung in Dresdner Top-Lage am Elbhang - die Landtagsopposition war alarmiert. Als Nächstes kam heraus, dass die Biedenkopfs die Dienste des Hauspersonals in Anspruch nahmen, zum Teil auch für private Zwecke. Das passte perfekt in das von Biedenkopf-Gegnern gern gezeichnete Bild vom monarchischen Gehabe im Hofstaat von „König Kurt".
In der Staatskanzlei glaubte man zunächst, die Klärung der Sachverhalte dem Landesrechnungshof überlassen zu können. Der will seinen Bericht zur Mietsache Biedenkopf Ende Mai vorlegen. Das brachte die Opposition erst so richtig in Fahrt. Sie drängte auf Antworten und beklagte sich über die arrogante Art, mit der die Bitten von Parlamentariern um Auskunft abgebügelt wurden. In dem Dschungel aus ernsthaften Anfragen, Anschuldigungen und Albernheiten (PDS: „Hat Frau Biedenkopf ihr Kochbuch vielleicht gar nicht selbst geschrieben?") wurden die Krisenmanager in der Staatskanzlei zu Getriebenen.
Wer hat Ingrid gewählt?
Durch den Druck von Landtagsopposition und Presseveröffentlichungen fühlten sie sich genötigt, einen eigenen Bericht zu erstellen, der wiederum einen Rattenschwanz von parlamentarischen Anfragen nach sich zog. Die forschende Presse interessiert sich mittlerweile sogar dafür, ob Ingrid Biedenkopf einen Chauffeur der Fahrbereitschaft duzt, und ob man in Staatskanzlei und Ministerien Geld für ein Geburtstagsgeschenk für den Ministerpräsidenten gesammelt hat.
Bis zu Jahresbeginn hat niemand in Sachsen ernsthaft diese Frage gestellt.
Ob Straßentunnel nach ihr benannt wurden, ob sie das Recht hatte, Spendengelder in zweistelliger Millionenhöhe für vernachlässigte Kinder und Kranke zu sammeln, war nie Gegenstand von Diskussionen. Nur über Ingrid Biedenkopfs Methoden rümpften manche die Nase: der Opposition im Landtag war das staatlich alimentierte Büro der Landesmutter ein Dorn im Auge. Wozu braucht man sie als Ombudsfrau, wo es doch den Petitionsausschuss des Landtages gibt, hieß es. Das war manchem Staatsbediensteten Wasser auf die Mühlen, der unter Ingrid Biedenkopfs energischem Einsatz für die Zukurzgekommenen zu leiden hatte. Klagen über lästige Telefonanrufe, Einmischung in Behördenvorgänge, Druck auf den Beamtenapparat führten hinter vorgehaltener Hand selbst jene, die seit Jahren das Vertrauen des Ministerpräsidenten genießen. Nur ihrem Chef haben sie es wohl nicht gesagt. Dafür wird nun munter mit dem von CDU-Chef Hähle so titulierten „Verunglimpfungsbeauftragten" der SPD geplaudert. Und der notiert eifrig alles, was in das Bild von der Selbstherrlichkeit der Herrschenden passt.
Karl Nolle (SPD), der sich stets seiner Freundschaft mit Bundeskanzler Gerhard Schröder rühmt, gibt an, ständig aus dem Staatsapparat und der CDU mit Informationen über angebliche Verfehlungen Biedenkopfs versorgt zu werden. Nach einem erfolglosen Versuch, Oberbürgermeisterkandidat der SPD in Dresden zu werden und einer bislang unauffälligen Rolle als Experte für Wirtschaftsfragen in der Landtagsfraktion der SPD, konzentriert sich Nolle nun darauf, mit einer Unzahl von parlamentarischen Anfragen die ihm zugetragenen Gerüchte öffentlich zu machen. Der Druckereibesitzer, der aus Hannover nach Sachsen kam, ist überzeugt davon, den konsensbetonten Ostdeutschen auf diese Weise „westdeutsche Streitkultur" vorführen zu müssen. Wohl wissend, dass man Kurt Biedenkopf mit Angriffen auf seine Frau zur Weißglut bringen kann, setzt er genau dort den Hebel an. Die Unterstützung seines Fraktionsvorsitzenden für diese Vorgehensweise bekam Nolle allerdings erst mit tagelanger Verspätung. Zu einem Zeitpunkt nämlich, als die PDS längst von einem Untersuchungsausschuss redete. Als die Sozialdemokraten sich nach einiger Bedenkzeit auch dafür aussprachen, machte die PDS einen Rückzieher und betrachtete die Auseinandersetzung über den Ministerpräsidenten und seine Mietangelegenheiten mit einer Sondersitzung des Landtages und wiederholten Rücktrittsforderungen vorerst als, erledigt. Das weitere Vorgehen werde man erst nach Vorliegen des Rechnungshofberichtes beraten können, ließ sie nun verlauten.
Zwei Bedingungen habe er für sein Engagement in Sachsen gestellt, betont Kurt Biedenkopf immer wieder: Personalfragen sollten allein seine Sache sein und es dürfe keine Intrigen gegen ihn geben. In seiner letzten Legislaturperiode sollte vor allem die Erneuerung des Solidarpaktes auf den Weg gebracht werden; danach hätte er sich möglicherweise zurückgezogen. Doch die Partei wollte nicht warten. Sie war auch nicht eingeweiht in Biedenkopfs Pläne. Ob er einen Kronprinzen im Sinn hatte, den er in der CDU durchsetzen und noch in der laufenden Legislaturperiode ins Amt bringen wollte oder ob er mehrere potenzielle Nachfolger zum Schaulaufen antreten lassen wollte, war aus ihm nicht herauszubringen.
Murren in der CDU
Immer häufiger murrte die Fraktion, wollte bei den Haushaltsberatungen nicht mehr alles abnicken, was ihr aus der Staatskanzlei vorgegeben wurde. Finanzminister Georg Milbradt unterstützte das Begehren nach einer frühzeitigen Klärung der Führungsfrage und wurde deshalb im Januar aus dem Kabinett entfernt. Seither sind Partei und Fraktion außer Rand und Band. Im September soll der Landesparteitag der CDU den neuen Vorsitzenden wählen; dem amtierenden Biedenkopf-Intimus Fritz Hähle werden kaum Chancen für eine Wiederwahl eingeräumt. Georg Milbradt mischt beim laufenden Kommunalwahlkampf kräftig mit, hat sich aber noch nicht zu seinen Ambitionen auf den Parteivorsitz geäußert. Derweil machen sich in den hinteren Reihen einige Abgeordnete Hoffnung auf eine einflussreiche Position in der Nach-Biedenkopf-Ära. Aller sachsentümelnden Rhetorik zum Trotz würden sie auch einen Westdeutschen als Ministerpräsidenten in Kauf nehmen, wenn er nur Milbradt heißt und ihren Ambitionen Rechnung trägt.
Um den Druck aus dem Kessel zu nehmen, hat Biedenkopf sich nun doch zu Personalfragen geäußert. Jeder seiner sechs „jungen" Minister käme als Nachfolger in Betracht: Manfred Kolbe (Justiz), Steffen Flach (Umwelt), Thomas de Maizière (Finanzen), Stanislaw Tillich (Europa- und Bundesangelegenheiten), Matthias .Rößler (Kultus) und Staatskanzleichef Georg Brüggen. Man darf gespannt sein, wer von den Genannten im September beim Landesparteitag seinen Hut in den Ring wirft. Die CDU jedenfalls hat jetzt eine Weile an den Vorschlägen zu knabbern.
(Astrid Pawasser)