Karl Nolle, MdL

stern-online, 19.04.2001

Wann geht Geenich Gurd?

Also Engelchen, sagt er, wie meist, wenn er mit ihr redet, ich glaube, da möchten uns einige fertig machen.
 
Also Engelchen, sagt er, wie meist, wenn er mit ihr redet, ich glaube, da möchten uns einige fertig machen. Üble Typen, die mir das Regieren in Sachsen vorzeitig vermiesen wollen. Ja, ja, Kurt Hans, antwortet darauf Engelchen bebend, eine Schmach ist es, ganz und gar schändlich, was uns dieser Tage politische Intriganten und perfide Schreiberlinge antun. Müssen wir uns das gefallen lassen? Haben wir das nötig? Wir, die zehn Jahre unseres Lebens für Sachsen und den Aufbau Ost geopfert haben! Und bekümmert gleitet ihr Blick aus dem Wohnzimmer des Hauses im Dresdner Nobelviertel "Weißer Hirsch" den Elbhang hinab. Der Strom, der dort gelassen gegen die Altstadt drückt, kann sie heute nicht beruhigen. Die sollen sich mal in Acht nehmen, grollt Kurt Hans. Sonst sage ich denen: Macht euren Dreck alleene, so wie einst Sachsenkönig Friedrich August III. Glauben die im Ernst, sie dürften über meine Nachfolge nachdenken und die Erbfolge regeln? So weit kommt‘s noch!

So, oder zumindest so ähnlich, könnte dieser Tage das Kaffeegespräch zwischen Kurt H. Biedenkopf, seines Zeichens sächsischer Ministerpräsident, und seiner Gattin Ingrid, genannt die Lamu, was für Landesmutter steht, verlaufen sein. Wir wissen sicher, dass mit Meissener Porzellan eingedeckt war (doch davon später). Wir nehmen an, dass Eierschecken, eine sächsische Kuchenspezialität, serviert wurden und warm für sie, er bevorzugt sie kalt. Und wir sind wiederum ganz gewiss, dass des Regierenden Apfelbäckchen zu dieser Stunde glühten. Dies tun sie immer, wenn er sich ärgert. Nur vermuten können wir, dies aber mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass Engelchen der Analyse des Ministerpräsidenten nicht widersprochen hat. Schließlich ist sie seit mehr als 20 Jahren ihm angetraut und hat längst das Prinzip Biedenkopf verinnerlicht: Der liebe Gott weiß alles, Kurt Hans weiß alles besser.

Mal abgesehen davon: Geht es um Kurt Hans, wie sie ihn beharrlich nennt, kennt sie sowieso nur Anbetung. "Ich finde ihn großartig, und ich bewundere ihn!" Und wird, obwohl an sich ein Herz von Frau, zur Tigerin, wenn er angeriffen wird - dann "könnte ich die alle umbringen". Kurt Hans wiederum würdigt gern, was er an "Liebes" hat, wie er Engelchen zuweilen noch kost. Wo stand die beste Schlagzeile des Jahres 2000? Klar doch, im Juni in der "FAZ": "Wann Biedenkopf aufhört, bestimmt seine Frau." Ist es bald so weit? Steht bevor, was "Bild" bänglich in die Frage kleidet: "Schmeißt Biedenkopf hin?" Man mag nichts mehr ausschließen, seit selbst die zuvor gerühmte und üblicherweise intimen Recherchen bis zum Kragenknöpfchen abgeneigte Tante "FAZ" lüsterne Fragen druckt. Zum Beispiel: "Wer bezahlt den Gärtner?" Tatsache jedenfalls ist: Es rumort in, wie der Sachse sagt, Geenich Gurds Reich. Und zwar gewaltig: Zu absolutistisch regiere der König, mokieren sich die Untertanen. "Unsere Sachsen", wie die Lamu die Landesbevölkerung zu nennen beliebt, begehren zu Teilen auf, auch wenn sie das Regierende Ministerpräsidentenpaar zuletzt mit 56,9 Prozent ("Eine wundervolle Mehrheit", so Engelchen) in die Staatskanzlei gewählt haben. Wo gibt‘s denn noch solche Mehrheiten in Deutschland?

Nicht mal in Bayern. Na bitte: Der Ministerpräsident ist damit der für 386 000 Mark restaurierten goldenen Krone doch würdig, die seinen Dienstsitz ziert. Oder soll alles nicht mehr zählen, was bisher gewichtig war? Dass Kurt Hans 1990 einen guten Job als Anwalt in Düsseldorf samt Jahreseinkommen von mindestens einer Million Mark im Stich ließ. Für schlappe 35 Prozent des Gehalts eines West-Ministerpräsidenten zog er damals ins ungelobte Ossiland. Engelchen musste ihr luxuriöses Penthouse in Bad Godesberg aufgeben, und in der Villa in Übersee am Chiemsee kann sie jetzt nur noch im Urlaub entspannen. Und nun so was: Ex-Innenminister Heinz Eggert tönt, man werde den Biedenkopfs einen roten Teppich bis zum Chiemsee ausrollen, falls er sich dorthin zurückziehen möchte. So einen, ärgert sich Ingrid noch heute, hat sie mal öffentlich abgebusselt, bis dem die Luft wegblieb - 1992, als Eggert kurzzeitig stellvertretender CDU-Bundesvorsitzender werden durfte.

Was bitte ist des Trubels Kern? Dass Kurt Hans den Georg Milbradt nach zehn erfolgreichen Jahren als Finanzminister aus dem Kabinett gekegelt hat, ihn seither nicht mehr duzt und einen "miserablen Politiker" nennt? Hätte er nur viel früher auf sie gehört. Sie hat den brummeligen Sauerländer nie gemocht. Trägt das Handy am Gürtel, einfach prollig. Trinkt Bier aus der Flasche. Sein Bauch hängt schon überm Gürtel. Nix bella figura wie Europaminister Stanislaw Tillich. So einen weltgewandten Charmeur wünschte sie sich als Nachfolger für Kurt Hans.

Nicht aber den Prolo Milbradt, der keinem Schnaps draußen bei den CDU-Kreisverbänden aus dem Wege geht. So einer soll Ministerpräsident werden? Der nie die Strichliste am Kühlschrank korrekt geführt hat, mit der sie den Bierkonsum kontrollierte, als Anfang der neunziger Jahre das halbe Kabinett in der berühmten Regierungs-WG hauste? Keine Klasse, der Mann. Zieht Bratkartoffeln ihrem Streuselkuchen vor. Und erst seine Klamotten. Kein Schnitt, nirgendwo Bügelfalte. Wenn die Biedenkopf-Dynastie schon irgendwann mal enden muss, sollte der Nachfolger was hermachen in den großen Schuhen ihres globalen Hans Kurt. Oder etwa nicht? Es ist ja was dran an der Behauptung, dass in Sachsen die "Ingrid-Theorie" gilt: Entscheidet der Ministerpräsident rätselhaft, steckt seine Frau dahinter.

Die sächsische Staatsregierung besteht im Kern aus zwei Personen: ihr und ihm. Mit ihr diskutiert er die Landespolitik. Sie ist stets seiner Meinung. Aber so, dass er weiß, was er zu denken hat. Sie benutzen gemeinsame Autogrammkarten. "König Kurt und Königin Ingrid", jubeln die People-Magazine. Ihre Heldinnen in der Geschichte sind Frauen, die hinter großen Männern stehen. Ingrid und Kurt Hans - das ist wie Messalina und Claudius. Es trifft selbstredend auch zu, was der Biedenkopf-Biograf Alexander Wendt schreibt: "Sie ist, obwohl in der Verfassung nicht vorgesehen, eine Frau von bemerkenswerter Interventionslust im Lande." Will heißen: Die tut was. Unterhält ein Bürgerbüro, an das sich jeder Sachse mit seinen Sorgen wenden darf. Heizung kaputt? Die Lamu lässt sie richten.

Schirmherrin gesucht? Die Lamu ziert sich nicht. 300 Briefe im Monat erreichen sie in ihrem Persönlichen Büro in der Staatskanzlei. Da kümmert sie sich. Ruft Minister an, scheucht Staatssekretäre, bestellt Abteilungsleiter ein. "In Ordnung bringen", heißt es dann. "Kümmern Sie sich mal." Dann flutscht es. Und jetzt kommt die FDP daher - ein Prozent und irgendwas Stimmen - und mault, das Büro samt zwei Bediensteten koste in dieser Legislaturperiode 1,2 Millionen. Ob denn der Freistaat wieder ein Kurfürstentum sei?

Und was soll das Genörgel über ihre Leibwächter? Klar, aus Gründen der Sicherheit braucht sie keine. Alle lieben die Lamu. Sie hat sie nur, weil Kurt Hans erklärt hat, ohne Personenschutz für Engelchen könne er nicht in Ruhe für Sachsen arbeiten. Da spurte der Polizeipräsident. Aber nützlich sind sie schon. Im Dienstwagen der Bodyguards kann sie sich shoppen fahren lassen, das spart das Taxi. Setzt es in der Fußgängerzone ein Strafmandat wegen Falschparkens, reicht sie das fix an den Landespolizeipräsidenten weiter. Brav schleppen ihr die Muskelmänner die Tüten hinterher. Das sei im Ernstfall, so soll der freche Eggert gelästert haben, gefährlich: Die hätten ja keine Hand frei fürs Ziehen der Knarre.

Aber darf denn nicht, wer sich so aufopfert für den Freistaat wie Engelchen und Kurt Hans, ein paar Privilegien haben? Zum Beispiel die ganzjährige Bewachung des Privathauses am Chiemsee durch die sächsische Polizei. Zum Beispiel, dass ihr Dresdner Koch sie auch im Urlaub verwöhnt. Zum Beispiel das Meissener Porzellan im Domizil der Biedenkopfs. Das soll der Chef der Manufaktur persönlich im Koffer angeschleppt und damit angeblich seine wg. Stasi-Mitarbeit drohende Entlassung durch das Finanzministerium abgewendet haben. Zum Beispiel die Billigwarmmiete von 1857 Mark für die 155-Quadratmeter-Wohnung im Gästehaus der Landesregierung, wobei Gärtner, Koch und Putzfrau praktischerweise für Biedenkopfs inklusive sind. Nur SPD-Puristen können hier unangenehme Fragen stellen. Ob denn der Koch die Kartoffelsuppe, die Ingrid B. vergangene Woche aus Anlass ihres Siebzigsten ausschöpfen ließ, als Privatmann angerührt hat oder als Freistaats-Bediensteter? Weshalb eigentlich die Familie B. erst seit 1997 überhaupt Miete zahle? Und ob zutreffe, dass dies nur geschehe, weil der Steuerberater darauf aufmerksam gemacht hat, dass Familie B. sich damit steuerlich besser stelle als durch die Anrechnung eines geldwerten Vorteils fürs mietfreie Wohnen? Oder ob die Familie B. im Sinne des Ministergesetzes überhaupt eine Dienstwohnung in Dresden beanspruchen darf, da sie in Sachsen nirgendwo mit Erstwohnsitz gemeldet ist? Fragen, die Majestätsbeleidigung darstellen. Leider gibt es den Straftatbestand nicht mehr in Sachsen. Sie würden aber nicht mehr gestellt, wenn Königliche Hoheit die Mutter aller Fragen beantworten würde: "Wie bekommt man den Altbauern dazu, sich endgültig aufs Altenteil zurückzuziehen?" Kurt H. Biedenkopf kennt diese Frage genau. Er selbst hat sie einst Helmut Kohl gestellt.
(Hans Peter Schütz)

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