Sächsische Zeitung, 18.09.2000
Biedenkopf nun auch von CDU-Basis kritisiert
Druck auf den Ministerpräsidenten wächst
SACHSEN. Kohl-Absage, Paunsdorf-Affäre, Giesen-Skandal: Die Kritik am sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf reißt nicht ab. Am Wochenende wurde ein offener Brief der Leipziger CDU-Basis bekannt, in dem Biedenkopf schwere Vorwürfe gemacht werden, weil er eine Rede von Altkanzler Helmut Kohl auf der Feier zum zehnten Jahrestag der Deutschen Einheit am 3. Oktober in Dresden verhindert hat.
Ein solches "würdeloses Taktieren", so heißt es in dem Papier, würde keinesfalls die Meinung der Mitglieder der sächsischen Union widerspiegeln. Die Erstunterzeichner - darunter Leipzigs CDU-Stadträte Alexander Achminow und Ansbert Maciejewski, der CDU-Bürgermeister Peter Kaminski und der Wirtschaftsbeigeordnete Detlef Schubert - fordern den CDU-Landesvorstand sowie die CDU-Landtagsfraktion auf, das skandalöse Verhalten der Staatsregierung nicht länger zu tolerieren und in der Öffentlichkeit noch wesentlich deutlicher Kritik zu üben.
Medienschelte statt Entschuldigung
Mit dem Brief wird Sachsens Regierungschef innerhalb weniger Tage das zweite Mal dazu aufgefordert, sich öffentlich von seinem Verhalten zu distanzieren. Zuvor hatte bereits die SPD erklärt, Biedenkopf müsse sich unverzüglich beim sächsischen Datenschutzbeauftragten Thomas Giesen entschuldigen. Der Grund: Biedenkopf droht Giesen unverhohlen mit Konsequenzen, weil der die Arbeitsweise des inzwischen zurückgetretenen Ex-Justizministers Steffen Heitmann kritisiert hatte. Außerdem wurde dem Datenschützer vorgehalten, dass er mit seiner Familie nicht im Freistaat lebt. Biedenkopf hatte dies mit den Worten kommentiert, so etwas sei "beim Militär völlig undenkbar".
Bislang weigert sich Biedenkopf jedoch, seine Vorwürfe zurückzunehmen, im Gegenteil. In einem Zeitungsinterview erklärte er am Wochenende, die Kritik an Giesen sei in dieser Härte erforderlich gewesen und völlig berechtigt. Gleichzeitig rügte er erneut die Berichterstattung der Medien, die ihm klares Fehlverhalten attestiert hatten. "Ich arbeite hier für die Menschen und nicht für die Presse", wies Biedenkopf jegliche Kritik zurück.
SPD: 100 Millionen Mark Schaden in Paunsdorf
Der Druck auf Sachsens Ministerpräsidenten wird dennoch immer größer.
Die
SPD-Landtagsfraktion kündigte gestern an, Biedenkopf als Zeugen vor den Untersuchungsausschuss "Paunsdorf-Affäre" vorzuladen. Das Gremium ist kürzlich vom Landtag einberufen worden. Es soll Vorwürfe klären, wonach Kurt Biedenkopf angewiesen haben soll, einem befreundeten Unternehmer Vorzugsbedingungen bei der Vermietung eines Bürokomplexes in Leipzig-Paunsdorf einzuräumen. Den Freistaat könnte dadurch ein beträchtlicher Schaden entstanden sein. Die SPD-Fraktion spricht von rund 100 Millionen Mark.
Trotz der neuen Vorwürfe ist in den nächsten Tagen nicht damit zu rechnen, dass Kurt Biedenkopf persönlich dazu Stellung nimmt. In seiner Funktion als amtierender Bundesratspräsident ist Sachsens Regierungschef gestern nach Russland abgeflogen und wird erst am Freitag wieder in Deutschland erwartet.
(von Gunnar Saft)