DNN/LVZ, 20.06.2001
"Mischung aus Bestechung und Amigo-Wirtschaft"
Interne Akten zum Behördenzentrum Grimma aufgetaucht
DRESDEN. Der Stahlschrank in der ersten Etage des sächsischen Landtags ist seit Wochen ein Politikum. Rund 30 Aktenordner schlummern hier, prall gefüllt mit internem Material der Leipziger Staatsanwaltschaft. Doch einsehen darf sie niemand zurzeit, sie sind geheime Verschlusssache. Rund 150 Blatt aus dem Stahlschrank tauchten dennoch auf - ein unfreiwilliges Lehrstück in dubiosem Verwaltungshandeln.
Es geht um das Behördenzentrum Grimma, ein Investorenmodell wie in Paunsdorf bei Leipzig. Und wie dort hat der Freistaat den Bürokomplex über Jahre angemietet, zu Preisen zwischen 20 und 27 Mark pro Quadratmeter - weit über Normalniveau. Insider gehen deshalb von einem Schaden in Millionenhöhe aus. Nutznießer des Deals aus dem Jahr '94 war der Investor Peter Schlesiger, angeschoben wurde es von Beamten und der hohen Politik.
Die Akten aus dem Stahlschrank belegen genau das: Beide Seiten haben warnende Hinweise ignoriert, am Ende mischte sich gar Landesmutter Ingrid Biedenkopf ein. Da war zum Beispiel der interne Bericht der Oberfinanzdirektion Chemnitz: "Nur für den Dienstgebrauch!" schrieben die Prüfer aufs Deckblatt, dahinter verbergen sich 77 Seiten Klartext zu Paunsdorf und Grimma. Ergebnis: Verträge wurden freihändig ausgehandelt, Flächenangaben variierten beliebig. Bedarfsnachweise, Ausschreibungen, Wirtschaftlichkeitsberechnungen - alles Fehlanzeige. Vernichtend ist die abschließende Bewertung: "Sämtliche an eine Anmietung zu stellenden Anforderungen wurden missachtet."
Brisant aber ist der Prüfbericht aus einem anderen Grund: Er datiert vom 4. Januar 1996. Kurz danach, am 17. Januar, schaltete sich Ingrid Biedenkopf ein. Grund war ein Bittbrief von Investor Schlesiger, der die Landesmutter "als Vermittlerin" hofierte. Begründung: Behörden würden das Projekt blockieren. Danach ging es Schlag auf Schlag. Am 19. Februar notierte Finanzstaatssekretär Karl-Heinz Carl handschriftlich, er habe den Oberfinanzpräsidenten gebeten, "in der Angelegenheit eine einvernehmliche Lösung zu befördern".
So geschah es. Für das Landeskriminalamt (LKA) - "Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität" - war der Fall dennoch eine Ermittlung wert. Von "Pflichtverletzungen von Amtsträgern" bis hin zum "Verdacht der Bestechlichkeit" reichten die Vorwürfe. Geschehen aber ist nichts. Das Finanzministerium, klagen die LKA-Ermittler in einem internen Schreiben vom 2. Oktober 1998, habe sich geweigert, Akten zur Verfügung zu stellen, die Staatsanwaltschaft habe das Verfahren an sich gezogen. Am 5. Juni 1998 wurden die Ermittlungen eingestellt. Das gleiche Schicksal ereilte einen zweiten Versuch zwei Jahre später.
Die Opposition lässt das nicht ruhen. Heute steht das Thema wieder auf der Tagesordnung. So will die PDS den Untersuchungsausschuss zu Paunsdorf um den Komplex Grimma erweitern - volle Akteneinsicht inklusive. Die CDU lehnt das aus rechtlichen Gründen ab. Für
Karl Nolle ist das ein Unding. Nur wer das Material kenne, meint der SPD-Abgeordnete, könne die Investorenmodelle als das durchschauen, was sie seien:"eine Mischung aus Betrug, Bestechung und Amigo-Wirtschaft".
(Jürgen Kochinke)