Süddeutsche Zeitung Interview, 26.06.2001
"Wir können nicht länger vom Gründungsmythos leben"
Der stellvertretende CDU-Landesvorsitzende Georg Milbradt zu den Wahlchancen seiner Partei in Sachsen
SZ: Dresden verloren, vier Landräte verloren – wie werten Sie das Ergebnis für die CDU?
Milbradt: Der Trend weist in unterschiedliche Richtungen. Wir sind auf dem flachen Land sehr stark. In den großen Städten haben wir Probleme. Wir haben jetzt Dresden verloren, in Chemnitz gab es für uns nur neun Prozent, Leipzig hatten wir noch nie. Zwickau haben wir nur gewonnen, weil es dort keine rot-rote Zusammenarbeit gab. Wir müssen uns Gedanken machen.
SZ: Hat das Ergebnis mit der schwierigen Situation der CDU zu tun?
Milbradt: Wir hatten hier unmittelbar nach der Wende eine Ausnahmesituation. Das Wahlverhalten war durch die Orientierung an Personen bestimmt. Das normalisiert sich. Es ist jetzt eben nicht mehr überall selbstverständlich, dass die CDU Mehrheiten zusammenbekommt. Wir können nicht länger allein von dem Gründungsmythos hier in Sachsen leben.
SZ: Damit sind Sie von bayerischen Verhältnissen im Sinne einer CDU-Vorherrschaft jetzt weit entfernt?
Milbradt: Wir sind nach wie vor sehr stark kommunalpolitisch verankert. Wir haben eine andere Bevölkerungsstruktur als in Bayern. Bei uns leben mehr Menschen in Großstädten. Die Verankerung der CDU in der Gesellschaft ist nicht so stark. Wir würden noch lange Zeit brauchen, bis wir in der Politik bayerische Verhältnisse haben. Denken Sie daran, dass wir bei den letzen Bundestagswahlen nur 32 Prozent bekommen haben. Das wäre in Bayern undenkbar gewesen.
SZ: Wie viel hat das Wahlergebnis mit den Querelen um Biedenkopf zu tun?
Milbradt: Der Trend ist unabhängig von diesen Geschehnissen in Dresden. Er zeichnet sich schon länger ab.
SZ: Wann äußern Sie sich zur Frage einer Kandidatur für den Parteivorsitz?
Milbradt: Bis zum 10.August sollen die Kandidaturen erklärt werden, bis dahin werde ich mich äußern.
SZ: Seit Ihrer Entlassung gibt es in der CDU starke Konflikte...
Milbradt: ...das sind keine starken Konflikte. Es fällt nur deshalb so auf, weil es vorher überhaupt keine Auseinandersetzungen gegeben hat, was in Westdeutschland völlig unüblich wäre. Da gibt es oft Meinungsverschiedenheiten über Personen, Programm und Richtung. In Sachsen muss in der Partei erst geübt werden, mit unterschiedlichen Positionen klar zu kommen, ohne dass man sofort von Spaltung redet. Dieser Prozess hat jetzt begonnen, und das ist normal.
SZ: Aber es gibt doch auf der einen Seite die Milbradtianer, die Sie wollen, obwohl der Ministerpräsident Biedenkopf das nicht will – und es gibt jene, die einen Biedenkopf-Getreuen wollen.
Milbradt: Man sollte das immer unter dem Aspekt sehen: Mit welchem Programm und mit welchem Kandidaten können wir 2004 die Landtagswahlen gewinnen? Es geht dann nicht um die Bewertung der Leistung von Ministerpräsident Biedenkopf, die unbestritten ist. Vieles wäre einfacher, wenn er 2004 noch einmal kandidieren würde – nur das ist nicht der Fall. Vor diesem Hintergrund wird sich jeder Kandidat selbstständig darstellen müssen.
SZ: Wie ist denn heute Ihr Verhältnis zum Ministerpräsidenten?
Milbradt: Ich habe keine sachlichen Differenzen zu ihm. Über die Bewertung von Erfolgschancen einzelner Personen mag es Unterschiede geben. Aber auch das ist im Leben etwas ganz normales.
(Interview: Jens Schneider)