taz - tageszeitung, 17.05.2001
King Lear von Sachsen
Mitleid muss man nicht haben
DRESDEN. Er ist zwar der König, aber er hat seine Macht schon verloren. Er darf seine Krone noch tragen, doch wird er nirgends mehr geduldet. Der alte Herrscher hat den Intrigen gegen sich nichts mehr entgegenzusetzen und verzweifelt zusehends an der Welt. Das Ende ist natürlich tödlich für "King Lear" - da hat Shakespeare in seiner Tragödie nicht an Theaterblut gespart.
Ganz so spektakulär geht es heute nicht mehr zu in der Politik, aber "König Kurt" Biedenkopfs Niedergang in Sachsen bietet immerhin schon genügend Stoff für die ersten vier Akte einer Tragikomödie.
Akt 1: Die Dresdner Morgenpost wirft Biedenkopf vor, er habe sich Bedienstete vom Freistaat Sachsen bezahlen lassen und zu wenig Miete gezahlt. Der König lässt dementieren, der Landtag diskutiert, die SPD diffamiert, die CDU retourniert.
Akt 2: Der Rechnungshof addiert, die Staatskanzlei auch, ein Anwalt klagt den König wegen Steuerhinterziehung an, der SPD-Landtagsnarr
Nolle ruft gleich die sächsischen Verfassungsrichter an.
Akt 3: Die Kanzlei stellt fest: Der König hat zu viel Miete gezahlt - und zu wenig für die Diener. Summa summarum muss er 6.000 Mark (!) nachzahlen.
Akt 4: Der König ließ sich von seinem besten Freund, einem Bauunternehmer, auf eine Luxusjacht einladen. Die SPD fordert einen Untersuchungsausschuss, die PDS eine Sondersitzung. Alle Genossen verlangen seinen Rücktritt - erste CDU-Abtrünnige wie die Edelmänner Eggert und Vaatz schließen sich an. Der König ist konsterniert, beleidigt, gekränkt.
Was wird nun der fünfte Akt bringen? Eine Steigerung des Konflikts - weitere kleine Vergehen des Königs werden enthüllt? Danach ein retardierendes Moment - eine Solidaritätsadresse von Angela Merkel? Und schließlich die Katastrophe - der Rücktritt? Die klassische Dramaturgie von theatralen und politischen Konflikten würde es so verlangen. Wer Recht hat und wer Unrecht, spielt keine Rolle mehr. Denn der eigentliche Konflikt ist dem Drama vorgelagert: Wie bei Shakespeare ist es ein Kampf um die Macht.
Biedenkopf hat so viele Gefolgsleute an den Rand gedrängt, dass sie sich nun rächen. Hätten sie bald Erfolg, es wäre gut so. Gut für sein Lebenswerk als CDU-Reformer und Aufbauhelfer in Sachsen, das sonst bald vergessen würde; gut für das Land, damit wieder regiert und nicht nur reagiert wird. Und gut für die Demokratie, zu der eben auch das Ende einer Regentschaft gehört. Elf Jahre Macht waren zu lang. Mitleid mit "König Kurt" muss man nicht haben. DANIEL HAUFLER