Süddeutsche Zeitung, 13.11.2001
Zu viel Ehre für die Waffen-SS
Am 1. September versammelten sich wieder mal Hunderte Neonazis in der Leipziger Innenstadt. Polizei und Staatsschutz beobachteten den Zug genau. Schnell griffen die Beamten ein, als die Rechtsextremen eine gespenstische Parole skandierten: „Ruhm und Ehre der Waffen-SS!“ Von fast dreihundert Neonazis wurden die Personalien festgestellt. Gegen sie sollten Verfahren nach Paragraph 86a des Strafgesetzbuches eingeleitet werden, wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.
Im November marschierten wieder Rechtsextreme in Leipzig auf. Eine Gegendemonstration löste die Polizei auf. Teilnehmer dieser Anti-Nazi- Demo fühlten sich brutal behandelt. Wegen des nach ihrer Auffassung unverhältnismäßigen Polizeieinsatzes hat auch die sächsische PDS Anzeige erstattet. Landeschefin Cornelia Ernst klagt, sie sei von der Polizei mit „Pfefferspray“ am Auge verletzt worden. In den nächsten Tagen will sich der Dresdner Landtag in einer Sondersitzung mit den Vorkommnissen befassen.
Dabei ging es auch um den Umgang mit der Parole „Ruhm und Ehre der Waffen-SS“. Auch an jenem Novembertag sollen Neonazis den Slogan skandiert haben. Belegt ist das nicht. In jedem Fall griffen diesmal Polizeibeamte deswegen nicht ein. Als nachgefragt wurde, wiesen Ermittler auf ein Schreiben des Generalstaatsanwalts Jörg Schwalm hin. Der hatte den Staatsanwaltschaften am 29. Oktober mitgeteilt, dass die Parole nicht strafbar sei. Wenn sie dennoch Anklage erheben wollten, sollten sie ihm berichten, ordnete er an. Schwalm berief sich, dem Justizministerium zufolge, auf die Rechtsauffassung seiner Kollegen in den meisten Bundesländern.
Erst nach Protesten intervenierte Justizminister Manfred Kolbe. Er forderte Schwalm auf, die Anweisung zurückzunehmen und sicherzustellen, dass gegen Personen, die diese Parole skandieren, Ermittlungen eingeleitet werden. Doch das Unverständnis ist geblieben. Bei der Weihe der neuen Dresdner Synagoge empörte sich der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel. Er frage sich, warum Schwalm erst vom Justizminister korrigiert werden musste. Die Opposition fordert Konsequenzen.
(Jens Schneider)