SZ-Online, 12.12.2001
"Bieko fällt über Ingrid"
sz-online besuchte den als erfolgreichen Biedenkopf-Jäger bekannt gewordenen Politiker und Unternehmer Karl Nolle
Das Denkmal wackelt. Und das ist ein Sieg für die Demokratie in Sachsen - und ein bisschen auch für
Karl Nolle. Seit zwei Jahren ist er SPD-Landtagsabgeordneter. Als Obmann im Paunsdorf-Untersuchungsausschuss arbeitet er an der Demontage des einstmals großen "Königs" Kurt Biedenkopf. Ängstlichkeit wie von Parteifreunden oder mitleidiges Lächeln sind dem gewichtigen Sozialdemokraten auf dem Weg bis zur Strafanzeige gegen den Ministerpräsidenten wegen des Verdachts der Untreue nicht selten begegnet. Aber Nolle hat sie nicht gelten lassen. "Ich bin ein ruhiger und gutmütiger Mensch, der aber sensibel ist, was Unrecht angeht, egal von wem verübt", sagt Nolle über sich selbst. Dem Kampf dagegen ordnet er selbst sein unternehmerisches und sein privates Leben unter, denn "Bieko" ist für ihn ein Hort des Unrechts - und nebenbei Hauptgrund seiner heutigen Bekanntheit.
Er will den sächsischen Regierungschef nicht mehr loslassen und Biedenkopf lässt ihn nicht mehr los. Was löst der Name heute bei ihm aus? Nolle lehnt sich genüßlich an seinem von Papieren überquellenden Schreibtisch zurück und trommelt mit den Fingern auf die Platte: "Zweierlei: Respekt davor, dass er mit seiner Aura - mehr als mit Können -Zeichen gesetzt hat für den Aufbau Sachsens. Auf der anderen Seite ist er zum Ritter von der traurigen Gestalt geworden, jemand, der sich in seine persönlichen Unzulänglichkeiten und kleinkarierten Geiz so verrannt hat, dass er nicht mehr heraus findet. Zusätzlich unterliegt er noch dem großbürgerlichen Gehabe seiner Ehefrau. Wenn Bieko je fällt, dann über Ingrid." Wie zur Bestätigung lässt Nolle die neueste Affäre des Paars Revue passieren: den Rabatt bei Ikea. "Der Mann sollte nicht mehr regieren. Aber das tut er ja eigentlich nicht mehr. Er schwebt nur noch über den Wolken." Real ist Bieko aber dennoch an der Macht. Und das drückt auf den Gerechtigkeits- und den politischen Sinn des SPD-Manns und treibt ihn vorwärts, immer tiefer in die Verstrickungen des Landesvaters einzutauchen. "Manche sagen, der Nolle ist verbissen." Dabei mache er doch nur seine Arbeit konsequent, fügt er hinzu. Es bleibt unklar, ob ihn mißliebige Äußerungen verletzen oder stolz machen.
Undemokratische Monarchie in Sachsen beenden
Eigennutz stecke jedenfalls nicht hinter seiner oft belächelten und am Ende doch erfolgreichen Demontage "des harten Denkmals Biedenkopf", sagt Nolle. Der Sinn für Gerechtigkeit sei ihm anerzogen, von seinen gegen die jeweilige Obrigkeit kämpfenden sozialdemokratischen Großeltern und Eltern. Die "undemokratische konstitutionelle Monarchie", die sich in Sachsen breit gemacht habe, bis hin zu einer "königlich sächsischen Opposition", will er beenden helfen. Das ist aber nicht sein einziges politisches Ziel. Nolle setzt sich gerade hin und rückt sein Jackett mit dem angesteckten sächsischen Wappen zurecht. Was ihm wirklich sauer aufstößt ist, dass seine Arbeit als Wirtschaftsexperte und -sprecher der SPD übersehen wird. Neben der Jagd auf Bieko hat er an einem Buch über die "ernste aber nicht hoffnungslose" wirtschaftliche Situation Ostdeutschlands mitgeschrieben (Ostdeutschland - eine abgehängte Region?).
Die Hälfte seines "15-Stunden-Arbeitstages" steckt Nolle in die Politik, die andere in seinen Betrieb. Der Wirtschaftsexperte ist Unternehmer und führt zusammen mit seiner Frau Christa das Druckhaus Dresden in Striesen, dass sie 1991 von der Treuhand gekauft haben. Der gebürtige Niedersachse lebt seit dem 9. November 1989 in Dresden und fühlt sich als Sachse "mit dem Makel der westlichen Geburt". Eigentlich wollte er, der vor und nach der Mauer oft Verwandte und Freunde in der DDR besuchte, nur die Montagsdemos erleben, die er in Hannover im Fernsehen sah. Das Visum kam Anfang November. Als er am Abend der Grenzöffnung ankam und mit seinen Freunden "lange diskutiert, gesponnen und geträumt" hatte, wollte er nicht wieder zurück. "Es läuft mir jetzt noch kalt den Rücken herunter, wenn ich an diese heißeste Nacht überhaupt denke." Als Mitbegründer des Stadtmagazins "SAX" bekam er Kontakte zur Künstlerszene und Aufträge für seine Druckerei in Hannover. Damals kam auch die Idee auf, hier ähnliches aufzubauen. Seine Überzeugungen wollte er im neuen Betrieb umsetzen und keinen der 30 Angestellten entlassen. "Es ist besser, vielleicht unproduktive aber doch Arbeit zu finanzieren als Arbeitslosigkeit", sagt Nolle und kann die "Vernichtung von Humankapital im großen Stil beim Zerschlagen eines Teils der DDR-Industrie" nicht verstehen. Die viel höheren Kosten als Einnahmen am Anfang konnte er sich leisten, weil der Betrieb im Westen gut lief. Der Betrieb ist lange verkauft und jetzt läuft das Druckhaus Dresden auch gut.
Wenig Zeit für Rückzug ins Private
In der Dachgeschoßwohnung hört man die Druckmaschinen zwei Etagen tiefer leise brummen. Das private Domizil gleich über dem Geschäft und dem SPD-Bürgerbüro hat Karl Nolle selbst entworfen. Für den Rückzug bleibt dennoch wenig Zeit. "Die Trennung von Privat und Öffentlich ist bei uns schon seit 30 Jahren fließend." Seine Frau akzeptiere das, "weil sie auch Geschäftsführerin ist" und ihn unterstützt. Nolle öffnet die Tür zum großen Balkon und atmet tief die kalte Luft ein. "Das ist unser Lebensprojekt, Politik und Betrieb. Ohne kokettieren zu wollen: Wir leben wie Bildhauer, der einen Stein bearbeiten, ein Kunstwerk schaffen wollen, sie hämmern bis sie müde sind, essen etwas und gehen schlafen, und am nächsten Tag machen sie weiter, solange, bis es fertig ist. Da gibt es kein Ostern und Weihnachten. Ein anstrengendes aber auch wahnsinnig interessantes Leben." Nolle wendet sich zur Glasvitrine mit Weihnachtsfiguren. "Weihnachten werde ich am Computer sitzen und mein Archiv bearbeiten." Eine Woche auf Rügen sei der einzige Urlaub für ihn und seine Frau in fünf Jahren gewesen. Ab und an mal ein verlängertes Wochenende scheint ihnen zu genügen, um sich "aufs Private zu konzentrieren". Dann gehen die beiden mit ihrem Hund an die Elbe, in die Heide oder Sächsische Schweiz. Auch für Konzerte, Opern und Kabarett ("die Herkuleskeule ist das einzig wirklich politische in ganz Deutschland") nehmen sie sich Zeit. Die Tochter ist diplomierte Rechtspflegerin und schon lange aus dem Haus. Faszinierend an Dresden finden die Nolles die "Mischung aus kulturellen und landschaftlichen Highlights". Dabei versteht Karl Nolle nicht nur die Oper als Kultur-Highlight, sondern auch die Dresdner Symphoniker, die "Truppe von jungen Chaoten aus ganz Europa", die er fördert. Im Flur hängen dicht an dicht moderne Grafiken.
Der 56-Jährige setzt sich wieder an den Schreibtisch eine Etage tiefer. Die Wand aus Dutzenden Ablagekästen holt ihn wieder in sein hauptsächliches Leben zurück. Die Beidenkopf-Affären nehmen eine ganze Reihe von Kästen ein. Einige sind aber auch den Bürgern vorbehalten. Die Sachsen schicken ihm mehr und mehr Post. "Die Leute merken, dass da jemand mit breitem Kreuz ist, der den Mut hat, sich wie Robin Hood einzusetzen, auf dem sie rumhacken und der trotzdem nicht unter geht." Viele Hinweise für seine Arbeit kamen von Bürgern, die sich betrogen fühlten, aber auch aus der CDU oder Ministerien, offen oder anonym. "Meine Popularität ist durch die konsequente Arbeit enorm gewachsen", sagt Nolle. Was man an ihm mag, doziert er, ist seine Polarisierung: "Man kann bei mir nur dafür oder dagegen sein, kein Wischi-Waschi." An Selbstbewußtsein mangelt es dem Politiker Nolle jedenfalls nicht.
Hoffnung auf neuen CDU-Mann
Mit seiner Art hat er sich aber auch zusätzliche Feinde geschaffen, gibt er zu, ohne die Stimme zu senken. Angst habe er keine - außer manchmal um die Druckerei. "Die 58-prozentige CDU-Mehrheit hat sich überall durchgesetzt", was sich bei Aufträgen immer mal negativ auswirke. Gleich läßt er wieder seinem Frust über das "undemokratische" Sachsen freien Lauf: "Bayern ist dagegen ein Hort des Liberalismus." Mit den fleischigen Fingern zählt er die oppositionellen Kritiker dort auf, die er in Sachsen vermisst - noch. Was nach Bieko kommt, weiß er nicht. Hoffnungen setzt der Sozialdemokrat in den CDU-Mann und Ex-Finanzminister Georg Milbradt, den Biedenkopf im Januar abgesetzt hatte und der seit September Landesvorsitzender des sächsischen Union ist. "Es muss sich aber zeigen, ob er sich freischwimmen kann." Nolle wird Biedenkopf und das Gefühl nicht los, dass der Ministerpräsident nach wie vor viele Fäden im Griff hat. Aber Nolle hat auch Hoffnung, dass Milbradt aus all dem gelernt hat, was er über Biekos verstecktes Gebaren aufdecken konnte und noch ans Licht bringen will. Unter dem bröckelnden Denkmal soll eine kritische Demokratie neu erstehen, hofft Nolle. Nach Bieko will sich Karl Nolle nicht zur Ruhe setzen: "Ich werde mich wieder wirtschaftlichen Themen zuwenden." Denn nicht nur die Politik liegt hierzulande noch im Argen.
(Jens Pabst)
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