Neues Deutschland, 13.12.2001
Rabatt-König im Kreuzfeuer
Der Fall Biedenkopf: Alte Widersprüche, neue Peinlichkeiten
»Der Ministerpräsident und die Wahrheit« heißt eine Aktuelle Stunde morgen im sächsischen Landtag: Wann jedoch das letzte Stündlein Kurt Biedenkopfs als Regierungschef schlägt, bleibt ungewiss.
Fünfzehn Prozent - diese Zahl wird Kurt Biedenkopf noch lange anhaften. Ein Wahlergebnis ist das nicht - da ist Sachsens Ministerpräsident, der die CDU im Freistaat seit 1990 drei Mal zu Mehrheiten führte, besseres gewöhnt. Nein, 15 Prozent betrug der Rabatt, den der Regierungschef dank Amtsbonus und einen eifernden Ehefrau bei der Dresdner Ikea-Filiale durchsetzte. Der erste Nach-lass, den das schwedische Möbelhaus einem deutschen Kunden gewährt.
»König Extrawurst« spöttelte seither die Frankfurter Rundschau über den sich gern monarchisch gerierenden Regenten, vom »Schnorrer-König« spricht der SPD-Abgeordnete und Biedenkopf-Intimfeind
Karl Nolle, und PDS-Fraktionschef Peter Porsch fordert für die sächsischen Steuerzahler einen »Biedenkopf-Rabatt« von ebenfalls 15 Prozent. Das entspräche 60 000 Mark, denn 400 000 Mark beträgt das jährliche Salär des Regierungschefs, der trotzdem um Kerzen und Geschenkpapier feilschen zu müssen meint.
Seit der peinliche Vorfall bekannt wurde, haben politische Nachreden auf Biedenkopf wieder Konjunktur. Aus dem Amt geschrieben wird der Regierungschef seit langem. Schon, als er im Januar seine, rechte Hand, den Finanzminister Georg Milbradt, aus dem Kabinett warf, galten seine Tage in der Staatskanzlei als gezählt. Neue Spekulationen über eine »Amigo-Affäre« im Zusammenhang mit dem Leipzi-ger Paunsdorf-Center befeuerten danach die Götterdämmerungs-Szenarien.
Auch der Skandal um die Billig-Miete im Regierungs-Gästehaus, den eine Zeitung in die Schlagzeile »Villa wohnen, Platte zahlen« fasste, hätte viele andere Politiker in die Wüste getrieben. Eine innerparteiliche Niederlage wie die Wahl Milbradts zum CDU-Landeschef im September hätte andere zum Handtuchwurf veranlasst. Der 71-jährige Biedenkopf aber wird sei-nem einstigen Gegenspieler Helmut Kohl vor allem in einem immer ähnlicher: Er sitzt und sitzt und sitzt...
Dass Biedenkopf vielleicht doch nicht mehr bis zum selbst genannten Rückzugstermin Ende 2002, Anfang 2003 am Chef-sessel klebt, ist mit dem Zusammenhang von Quantität und Qualität zu erklären. Neben den neuen Peinlichkeiten vermag es der Ministerpräsident immer weniger, alte Vorwürfe vom Tisch zu wischen. Beispiel Paunsdorf-Ausschuss: Vergangenen Freitag verhinderten die CDU-Vertreter zwar das Ansinnen der Opposition, Biedenkopfs Gattin vorzuladen, weswegen die PDS eine Klage erwägt. Beschlossen wurde aber, den Regierungschef selbst am 10. Januar erneut zu laden.
Offiziell soll er Gelegenheit erhalten, sich zu Akten über das Immobiliengeschäft zu äußern, die seit kurzem im Internet stehen (www.faktuell.de). Einen ähnlich souveränen Auftritt wie bei seiner ersten Vernehmung im Februar aber traut ihm kaum noch jemand zu. Vor allem die Briefe, die der Kölner Baulöwe und langjährige Biedenkopf-Freund Kurt Barth dem Ausschuss nach langem Drängen übergab; zeigen, wie eilfertig der Politiker sich Wünsche des Unternehmers zu eigen machte und diese an Subalterne durchstellte. Er müsse bitten, »für noch einige andere Dinge Deinen Einfluss geltend zu machen«, schrieb Barth in imperativem Ton schon Tage - nach Biedenkopfs Amtsantritt. Als das Leipziger Immobilienprojekt drei Jahre später gediehen war, diktierte Barth die Mietkonditionen für die dort unterzubringenden sächsischen Behörden. Biedenkopf kopierte die Vorgaben in einen Brief an Finanzminister Milbradt und korrigierte nur sehr geringfügig - zu Lasten des Freistaats.
Es sind diese beiden Briefe, die selbst hartnäckige Zweifler in der SPD-Fraktion wie den langjährigen Fraktionschef Karl-Heinz Kunckel zu Rücktrittsforderungen an Biedenkopfs Adresse bewegen. Als der Landtag im Mai auf PDS-Antrag schon einmal über ein Misstrauensvotum debattiere, hielt sich die SPD noch zurück. Kritisch für Biedenkopf ist, dass selbst in der CDU vielen der Kragen platzt. Ex-Innenminister Heinz Eggert fordert, den Eindruck zu, widerlegen, dass »der Ministerpräsident der Befehlsinhaber eines Investors« gewesen sei. Eine Prognose darüber, ob Biedenkopf ein konstruktives Misstrauensvotum überstehen würde, für das die Opposition beispielsweise CDU-Parteichef Milbradt als Kandidat benennen könnte, gibt derzeit niemand ab. Morgen wird über den »Ministerpräsidenten und die Wahrheit« debattiert. In einer Aktuellen Stunde auf Antrag der SPD - und ohne Rabatt.
(Hendrik Lasch)