DIE WELT, 17.12.2001
Abschied auf Raten
Hat Kurt Biedenkopf gelogen? Der sächsische Ministerpräsident verstrickt sich erneut in Widersprüche
Der Auftritt war denkbar patzig. "Wir vergeuden wertvolle Zeit", herrschte Kurt Biedenkopf (CDU) die erfahrenen ZDF-Männer Klaus Bresser und Thomas Belut an. Die beiden TV-Journalisten hatten es in dem Polittalk "Was nun, Herr Biedenkopf?" gewagt, dem Sachsen-König unangenehme Fragen nach seiner günstigen Unterbringung in einer Dienstvilla zu stellen.
Die Episode flimmerte Mitte Mai über den Bildschirm. Ende Dezember steckt der schwer gebeutelte Ministerpräsident, der nach wie vor glaubt, ein reines Gewissen zu haben, noch immer in heftigen Turbulenzen. Längst wird "König Kurt" respektlos als "Rabatt-König" verspottet. Der im Volk lange fast kultisch verehrte Landesvater ist dabei, sein politisches Lebenswerk zu verspielen. Doch Biedenkopf denkt nicht an Rücktritt. Trotz ständig neuer Enthüllungen über skandalträchtige Verhältnisse an seinem Hofstaat glaubt der Christdemokrat, in einem geordneten Verfahren seinen Nachfolger bestimmen und selbst den Zeitpunkt seines Abtritts festlegen zu können.
Dieses Szenario wird freilich von Tag zu Tag unwahrscheinlicher. Zumal "Biko" in der peinlichen Rabatt-Affäre am Sonntag weiter in Erklärungsnot geraten ist. Dabei verdichtet sich der Eindruck, dass der Ministerpräsident über die im Möbeleinrichtungshaus Ikea gewährten Preisnachlässe nicht die volle Wahrheit gesagt hat. Vor dem Kabinett und vor der CDU-Landtagsfraktion hatte er behauptet, er habe im Vorfeld des umstrittenen Einkaufs mit der Geschäftsführung über den Rabatt gesprochen. Dieser Version tritt nun der Niederlassungsleiter der Dresdner Ikea-Filiale, Dieter Gilsbach, entgegen: "Ich habe nie mit Herrn Biedenkopf über Rabatte gesprochen." Zudem schließt der Manager in der "Bild am Sonntag" ("BamS") kategorisch aus, dass der Nachlass mit der Ikea-Deutschland-Zentrale besprochen worden sein könnte: "Dies ist definitiv nicht der Fall." Vielmehr sei ein "sehr forsches" Auftreten an der Kasse der Grund dafür gewesen, warum der unübliche Abschlag eingeräumt worden sei: "Zwei riesige Bodyguards haben das Personal zusätzlich beeindruckt." Doch an der Kasse will Biedenkopf, der mit Gattin Ingrid auf Shoppingtour war, entgegen der Darstellung des lokalen Ikea-Chefs angeblich überhaupt nicht gefeilscht haben.
Wie hält es Kurt Biedenkopf mit der Ehrlichkeit? Er verbreite nicht willentlich die Unwahrheit, sagen Vertraute von ihm, vielmehr konstruiere er sich die Wirklichkeit und nehme sie dann für bare Münze. Hat Biedenkopf etwa sein Kabinett belogen? Sollte die Antwort Ja lauten, das zeigt der Fall von Wolfgang Schäuble, ist Sachsens Ministerpräsident nicht mehr zu halten. Das tragische Ende eines Mannes, der sich zweifelsohne Meriten erworben hat, rückt näher. Und das wegen einer Lappalie: Gerade mal 132 Mark haben die Biedenkopfs bei ihrem 880-Mark-Einkauf ausgehandelt. Zum Vergleich: Wegen seiner preiswerten Unterbringung in einem Gästehaus des Freistaates muss "Biko" rund 120 000 Mark nachzahlen.
Doch es geht um Glaubwürdigkeit, für die in der Politik besonders strenge Maßstäbe gelten. Der Schwabe Lothar Späth, der Niedersachse Gerhard Glogowski, der Bayer Max Streibl: Sie alle mussten wegen weit nichtigerer Anlässe ihre Ministerpräsidentenposten niederlegen. Der dem allgemeinen öffentlichen Empfinden entrückte Biedenkopf aber bemüht sich, seinen Übervater Helmut Kohl im Aussitzen noch überbieten zu wollen.
Für die schwer erklärbare Selbstdemontage des Regenten, der noch bis vor einem Jahr als unangefochtener Primus inter Pares unter den ostdeutschen Regierungschefs galt, hat der sächsische Bundestagsabgeordnete Arnold Vaatz (CDU) eine plausible Erklärung: Biedenkopf wolle den Rücktritt nur deshalb hinauszögern, um zu verhindern, dass sein Intimfeind, der CDU-Landeschef Georg Milbradt, sein Nachfolger werde. Vaatz zum "Tagesspiegel": "Um dieses Ziel zu erreichen, nimmt er jede Krise der CDU und des Freistaates Sachsen in Kauf."
Gegen Milbradt, der Anfang des Jahres in Unehren als Finanzminister entlassen worden war, hatte Biedenkopf bereits vergeblich den farblosen Agrarminister Steffen Flath ins Rennen geschickt. Doch der CDU-Landesparteitag im Sommer entschied sich gegen Flath und wählte Milbradt zum neuen Parteichef. Eine herbe Niederlage für Biedenkopf. Aus seinem Umfeld wurde daraufhin sogar Angela Merkel als Thronfolgerin und Milbradt-Verhinderungskandidatin ins Gespräch gebracht. Doch die CDU-Frau durchschaute das Spiel und winkte ab. Erhobenen Hauptes, das hatte sich die mit absoluter Mehrheit regierende Sachsen-Union stets erhofft, solle Biedenkopf einmal die Staatskanzlei verlassen können. Es scheint, als ob dieser Wunsch nicht in Erfüllung ginge. Der dritte Akt im sächsisches Drama neigt sich dem Ende zu.
(Von Uwe Müller)