Frankfurter Rundschau, 19.12.2001
König und Kompaniefeldwebel
Wie Kurt und Ingrid Biedenkopf in Sachsen herrschen
DRESDEN. Es gibt unendlich viele Anekdoten wie diese hier über Ingrid Biedenkopf. Ein paar Jahre ist es her, in Leipzig stand die Oberbürgermeisterwahl an. Die Biedenkopfs waren kurz angereist, um den CDU-Herausforderer zu unterstützen. Sie treffen ihn umringt von Journalisten. Das erste, was Ingrid Biedenkopf den CDU-Kandidaten lauthals fragt? Wieso er gegen den SPD-Oberbürgermeister antrete, das sei doch so ein netter Mann. Alle lachen, nur zwei nicht: Kurt Biedenkopf und der CDU-Kandidat, der später mit Pauken und Trompeten durchfallen wird.
Eine andere: Landtagswahlkampf. Kurt Biedenkopf zieht über Land, an der Seite seine Ingrid. Sie ist fast überall dabei. Hält Gemahl Kurt eine Rede, sitzt sie vorne im Publikum in der ersten Reihe, den Hut tief in die Stirn gezogen. Am Ende springt sie als Erste auf und applaudiert wild in die Zuhörerschaft: "Isser nicht toll? Isser nicht toll?" So ist sie, die heute 70-Jährige. Und so hat sie sich immer an der Seite Kurt Biedenkopfs aufgeführt und mitregiert in Sachsen: burschikos, manchmal komisch, zuweilen peinlich. Sie hat überall ihre Nase reingesteckt, hat sich vorgedrängelt, dazwischengeredet.
Anders als andere Ministerpräsidenten-Gattinnen mischte sich Ingrid B. ein ins Politikgeschäft. Als Biedenkopf 1990 die erste Landtagswahl gewann, soll sie gesagt haben: "Jetzt sind wir Ministerpräsident." Sie ist Schirmherrin von zahllosen karitativen Veranstaltungen wie andere Politikerfrauen auch. Aber sie sammelt nicht nur Spenden für soziale Zwecke. Sie schreibt nicht nur Kochbücher. Als Kummerkastentante der Sachsen, vom Landtag ausgestattet mit einem Bürgerbüro und Personal, war sie über Jahre der Schrecken aller Regierungsmitarbeiter, die ein Blitz durchfuhr, wenn die leibhaftige Landesmutter plötzlich an der Strippe hing und etwas wollte. Ingrid war Teil des Regierungsapparates.
Kurt und Ingrid Biedenkopf sind ein seltsames Gespann. Viele in Dresden haben sich schon den Kopf darüber zerbrochen, was die beiden eigentlich zusammenhält. Vielleicht der Gegensatz, denn größer könnte er eigentlich nicht sein: Kurt, der Weltdenker, Querdenker, Thesenaufsteller, Strukturenaufbrecher und Besserwisser. Und Ingrid, die ihn für den besten Politiker der Welt hält, die ihn anhimmelt. Die ihn schon mit Leonardo da Vinci verglich und ihn manchmal anlächelt wie einst Nancy Reagan ihren Ronald. "Das muss Liebe sein. Anders geht es nicht", sagte einmal ein Dresdner CDU-Mann und erinnerte an die rührende (und natürlich vom Fernsehen übertragene) Szene bei der 70-Jahr-Feier Kurt Biedenkopfs in der Semperoper: Wie sich plötzlich ihre Hände fanden wie einst im Mai.
"Kurts Achillesferse heißt Ingrid", hat im Sommer der SPD-Landtagsabgeordnete
Karl Nolle festgestellt und seitdem wahrscheinlich keinen Tag ausgelassen, sich dieser Schwachstelle zu widmen. Ingrid himmelt nicht nur ihren Kurt an. Auch er muss sie vergöttern: Gerät sie in die Schusslinie von Politikern oder Journalisten, hebt Ehemann Kurt jedes Mal ab wie ein HB-Männchen. Karl Nolle ist der Politiker in Sachsen, der mit der Gewalt einer Dampfwalze in die Biedenkopfsche Idylle hineingefahren ist und sie Stück für Stück und brutalstmöglich auseinander genommen hat. Sein Vorgehen ist so fies wie effektiv: Er schlägt Ingrid, um Kurt zu treffen. Und er trifft.
Die Biedenkopfs sind durchdrungen von der Auffassung, unglaubliche Anstrengungen für das Wohl Sachsens auf sich genommen zu haben. Im Gegenzug hätten alle anderen dankbar zu sein. Sie glauben, ihnen stehe all das zu, was seit Monaten für Aufregung sorgt: Ingrids Regiment in der Schevenstraße, dem früheren Gästehaus der Landesregierung, in dem die Biedenkopfs so günstig wohnten. Ihre Nutzung von Personal, von Dienstfahrzeugen, um damit die Enkel vom Kindergarten abholen zu lassen. Ihr Umgang mit Sicherheitsleuten. Ingrid Biedenkopf ist die einzige Gemahlin eines Ministerpräsidenten in Deutschland, die ständig bewacht wird. Was auch sehr praktisch ist. Polizisten helfen ihr beim Einkauf im Supermarkt, kümmern sich auch schon mal um Enkelkinder oder schleppen ihr den Schminkkoffer ins Flugzeug.
Georg Brüggen, der Chef der Staatskanzlei, hat ihr Treiben in der Schevenstraße einmal mit dem eines Kompaniefeldwebels verglichen. Das trifft die Sache ganz gut, wenn auch beschönigend. Ingrid Biedenkopf macht einfach, was sie will. Auch heute, nach einem Sommer voller Anschuldigungen, wie die erfolgsverwöhnten Biedenkopfs noch keinen erlebten. "Es geht genauso weiter wie bisher", beschreibt ein Regierungsmitarbeiter ihr Treiben. "Kein Einsehen erkennbar." Die Propagandisten der Staatskanzlei haben es geschafft, für die sächsische Öffentlichkeit das Bild der gütigen Landesmutter zu malen: das der Herzdame an der Seite von Professor Schlau. Dass es zuweilen schrullig zuging, wusste jeder. Dass sich die beiden Industriellenkinder durch Standesdünkel auszeichneten, auch.
Es war auch nie ein Geheimnis, über welch ausgeprägten Sinn fürs Finanzielle die Biedenkopfs verfügten. Doch jetzt, da sich das Ende ihrer Regentschaft abzeichnet, kommen die hässlichen Details ans Licht. Die Ikea-Schnorrereien, die Karstadt-Karte, all die vergeblichen Ausflüchte, der Peinlichkeit zu entkommen. Die Biedenkopfs machen sich lächerlich, und Lächerlichkeit tötet mehr als jeder noch so massive Vorwurf, erhoben in einem Untersuchungsausschuss, dessen Treiben nur noch von Politikern und Journalisten verfolgt wird.
Die goldenen Zeiten der Biedenkopfs, in denen auch die Landtagsopposition fast alles durchgehen ließ, sie sind vorbei. Auch in Sachsen werden sie mit ganz anderen Augen betrachtet. Eine letzte Anekdote: 1992 besuchte Königin Elizabeth von England Sachsen. Auf dem Balkon des Leipziger Alten Rathauses will sie sich dem jubelnden Volk zeigen. Doch sie schafft es nicht als Erste: Ingrid Biedenkopf kommt ihr zuvor. Erst Ingrid die Erste, dann Elizabeth die Zweite. Damals haben viele darüber gelacht, wenige gesagt "oh, wie peinlich". Heute wäre es genau umgekehrt.
(Von Bernhard Honnigfort)