Agenturen, dpa, 05:30 Uhr, 12.01.2002
Parteienforscher: Biedenkopf hat jetzt keine Wahl mehr
(dpa-Gespräch)
Berlin/Dresden (dpa/sn) - Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) hat nach Ansicht des Parteien- und Wahlforschers Manfred Güllner jetzt keine Wahl mehr. «Wer seinen Rücktritt öffentlich ankündigt, muss die Konsequenzen ziehen, möglichst schnell oder zumindest in einem überschaubaren Zeitraum», sagte der Geschäftsführer des forsa-Instituts (Berlin) der Deutschen Presse- Agentur (dpa).
Biedenkopf hatte Anfang der Woche angekündigt, seine Amtszeit wesentlich zu verkürzen. Zum konkreten Zeitpunkt des Rücktritts will er sich in der kommenden Woche äußern. Ursprünglich wollte er sein Amt Ende 2002/Anfang 2003 aufgeben. «Man macht sich unglaubwürdig und sitzt dann in einem Amt auf Abruf, hat nicht mehr die Machtfülle und arrangiert sich schon mit der Zeit danach», beschrieb Güllner die Situation.
Biedenkopf habe lange Zeit gebraucht, bis er so weit einsichtig gewesen sei, freiwillig zurückzutreten. «Da ist schon eine gewisse Lähmung eingetreten.» Es hänge von seinem Nachfolger ab, ob das Verhalten des Regierungschefs der CDU in Sachsen langfristig schade. «Er war eine Ausnahmeerscheinung, die der Partei hohe Wahlanteile gebracht hat.» Allerdings habe Biedenkopf das hohe Vertrauen, das er bei den Bürgern genieße, teilweise beschädigt.
«Es gibt noch schlimmere Fälle in der deutschen Politik», sagte Güllner. Für die nach wie vor große Beliebtheit der Biedenkopfs im Lande gebe es eine einfache Erklärung: «Ich glaube, dass es für die Menschen nicht so ganz einen triftigen Grund gibt zu sagen, jetzt muss er weg. Dafür war sein Vertrauensbonus zu hoch.»
Auswirkungen auf das Wahlverhalten der Sachsen bei der Bundestagswahl 2002 sieht Güllner nicht. «Die Menschen unterscheiden sehr stark zwischen den politischen Ebenen Land und Bund.» Sie hielten das deutlich auseinander.
Im Hinblick auf die Landtagswahl 2004 in Sachsen hänge es vom neuen Ministerpräsidenten ab, ob die CDU das Vertrauen der Wähler wieder gewinnen könne. «Auf jeden Fall wird es in Sachsen eine Normalisierung dieser hohen Pendelausschläge geben, die die CDU auf Landesebene gehabt hat», schätzte der Wahlforscher.
Sicher werde ein «Abschleifen der CDU-Hochburg» Sachsen eintreten. Seit der Wende sei die Entscheidung der Wähler im Freistaat stark Personen bezogen gewesen. «Sachsen war ja in der Weimarer Republik eher ein rotes Land, und wir haben ja häufig gesehen, dass sich tradierte Wahlverhalten wieder niederschlagen», sagte Güllner. dpa/sn sb yysn hg
120530 Jan 02