Tagesspiegel Berlin, 15.01.2002
Stark im Abgang
Bisher durfte hier nur geflüstert werden, nun dringt Lachen aus seinem Büro.
Biedenkopf platzt fast vor guter Laune. Vielleicht weil endlich eine Entscheidung gefallen ist: Morgen wird er bekannt geben, wann er als Ministerpräsident zurücktritt.
Grell scheint die Mittagssonne durch die hohen Fenster auf zwei Männer in dunklen Anzügen; der größere beugt sich respektvoll zu seinem kleinen Gesprächspartner herunter. Dann kneift der dänische Botschafter ein wenig die Augen zu, als er den Blick durch das weiße Zimmer mit den ausgesuchten Antiquitäten schweifen lässt. "Wunderbar." Diese kühle Eleganz! Diese silbernen Lüster! "Wir haben sie extra anfertigen lassen", sagt der Ministerpräsident und lächelt ein bisschen süffisant, "überraschend günstig" übrigens. Beide lachen kurz. "Oh, Sie sind sparsam!" Man versteht sich. Noch ein Foto, die dänische Exzellenz neben dem sächsischen König. Der Botschafter deutet eine Verbeugung an, "sehr anregend", dann schließt sich die holzgetäfelte Doppeltür.
Auf dem Gesicht des Ministerpräsidenten zeichnet sich Heiterkeit ab. Alle paar Minuten ertönt das Glockenspiel einer alten Uhr. Kurt Biedenkopf lehnt sich entspannt zurück. "Ich werde mich meinen Tagebüchern widmen", sagt er, schließlich seien darin 25 Jahre politische Geschichte dokumentiert. Und er werde natürlich Vorlesungen halten in Sachsen, "man sagt mir ja nach, ich halte ständig Vorlesungen". Also warum nicht nach dem Tag X?
"Er platzt fast vor guter Laune", wundert sich der sächsische Umweltminister Steffen Flath schon seit Tagen über seinen Chef.Selbst in seiner engen Umgebung ist man erstaunt. Der "MP", so die saloppe Abkürzung in Regierungskreisen, sei einfach "heiter", erklärt Regierungssprecher Michael Sagurna.
Grund dafür hat Kurt Biedenkopf, seit 1990 Ministerpräsident des Freistaates Sachsen, eigentlich nicht. Über ein Jahr ziehen sich die Querelen um seine Nachfolge nun schon hin; ein Untersuchungsausschuss des sächsischen Landtages will ihm eine Amigo-Affäre nachweisen, und vor Weihnachten stellte ihm die SPD-Opposition eine Ikea-Tüte auf seinen Platz im Landtag. Tags drauf musste er die Schlagzeile lesen: "Der Sachsenkönig als Schnäppchenkönig". Der peinliche Versuch, bei Ikea Rabatt herauszuschlagen, war selbst königstreuen CDU-Abgeordneten zu viel, und sie stellten zum ersten Mal öffentlich die Frage: Wann tritt der Ministerpräsident zurück? An eine "geordnete Übergabe", die Biedenkopf nach seiner letzten Wahl 1999 anstrebte, glaubte niemand mehr. Der einst gefeierte Landesvater war plötzlich ein Getriebener.
Nun kommt der Tag X, oder besser die Ankündigung des Tages X. Morgen wird Kurt Biedenkopf voraussichtlich erklären, wann er abdanken wird. Er selbst kennt den Tag X schon seit drei Wochen. Aber er hat ihn nicht verraten; selbst seine wenigen Vertrauten in der Staatskanzlei sollen im Dunkeln tappen. Die Einzige, die den Tag kennt, ist Ingrid, die Seele des sächsischen Königspaares. "Meine Frau und ich haben entschieden" - das ist ein gängiger Spruch des Ministerpräsidenten.
Die plötzliche Milde
Fast scheint es, als mache der Regierungschef sich einen Spaß aus all den fragenden Blicken, die ihn überall in Dresden begleiten. "Das möchten Sie wohl gerne wissen, was?", sagt er, als ein Reporter ihm das Mikrofon hinhält. Aber seit wann lässt sich der Professor etwas diktieren? Lieber schreitet er beschwingt von Empfang zu Empfang; letzthin hat man ihn sogar lachen gehört in seinem Büro, wo sonst nur geflüstert wird. Es war an dem Tag, als Angela Merkel auf die Kanzlerkandidatur verzichtete. "Die haben doch Angst vor ihr", spottete er und überhörte die Gerüchte, wonach die CDU-Chefin ihn beerben soll.
Der Gedanke, Angela Merkel throne über der Elbe, "ist keiner, den ich mir mache". Wohlgefällig blickt Kurt Biedenkopf auf die kostbaren Möbel. Wieder schlägt eine Uhr. Nichts ist mehr wie früher, selbst in den oftmals arrogant näselnden Tonfall mischt sich plötzlich Milde. Der Professor hat das Heft des Handelns wieder in der Hand. Jetzt gibt es einen "Fahrplan" mit Terminen, und es gibt eine Übergabe.
Kurt Biedenkopf erzählt es, als hätte er damit nichts mehr zutun. Die Wintersonne fällt auf seinen großen aufgeräumten Schreibtisch. Wenn er dahinter sitzt, wirken die gekreuzten Holzstangen mit den Fahnen des Freistaates und der Bundesrepublik wie ein großer Theatervorhang. Er legt Wert auf die Insignien der Macht, auch in den verbleibenden Wochen, "schließlich habe ich noch einiges zu erledigen". Das wiederum klingt wie eine kleine Drohung.
Georg Milbradt wird sie verstanden haben. Wenn alles glatt läuft, wird der amtierende CDU-Chef der neue Ministerpräsident. Aber was lief schon glatt in den letzten Monaten? Die (Selbst-)Demontage des Sachsenkönigs ist ohne das Ende einer zehnjährigen Männerfreundschaft nicht zu verstehen. Milbradt, ehemals Stadtkämmerer in Münster, saß schon als Finanzminister im ersten Kabinett Biedenkopfs. Er gilt als der Vollstrecker der großen Ideen des "klugen Weltprofessors". Biedenkopfs Politik der "Leuchttürme" trägt auch Milbradts Unterschrift: Über 50 Prozent der Autoindustrie in den ostdeutschen Bundesländern sind in Sachsen beheimatet, BMW baut gerade ein neues Werk in Leipzig. Ebenso führt der Freistaat mit der Ansiedlung von AMD und Infineon im Bereich der Mikroelektronik.
Natürlich sind es die "Menschen in Sachsen, die den Aufbau geschafft haben". Kurt Biedenkopf schiebt die Meißener Porzellantasse energisch beiseite, aber wer hatte denn die Kontakte, das Wissen, wenn nicht er, der ehemalige Henkel-Manager und profilierte Wirtschaftsjurist? "Aktiviert eure Kräfte, und ich sage euch, wie es geht, in welcher Ordnung ihr lebt, auf was ihr achten müsst." So war das, und so ist es eigentlich heute noch. Den Namen Milbradt erwähnt er nicht.
Fällt er doch, röten sich die berühmten Apfelbäckchen des Ministerpräsidenten. Er redet dann notgedrungen von "Herrn Milbradt" nicht von "Georg". "Das ist wie bei Kohl und Schäuble", vermutet ein Kabinettsmitglied. Aber diesen Vergleich sollte man besser nie laut anstellen, schon wegen Helmut Kohl nicht, des Erzfeinds, der ihn, den zu Ruhm gekommenen "Querdenker", 1977 als Generalsekretär schasste. Aber wie sein Lieblingsfeind hat auch Biedenkopf den Zeitpunkt des ehrenvollen Abtritts eigentlich verpasst. Das darf man in seiner Gegenwart natürlich nicht sagen, aber "Georg" hat es wohl gesagt. Er muss es sogar so laut gesagt haben, dass "Kurt" nicht mehr weghören konnte. Schließlich feuerte der Regierungschef seinen Finanzminister.
Das war der Anfang vom Ende. Des Ministerpräsidenten. Da halfen auch die Rücktrittsdrohungen nicht mehr, ein über die Jahre gepflegtes Druckmittel, um die Fraktion zu domestizieren. Der Verstoßene wehrte sich, sammelte seine Truppen und ließ sich letztes Jahr zum Parteichef wählen, entgegen der ausdrücklichen Anweisung des Chefs. Eine bizarre Situation: Der Parteivorsitzende und der Regierungschef eines Landes reden nur noch das Nötigste miteinander. Warum, weiß bis heute keiner genau.
Kurt Biedenkopf redet auch heute nicht darüber. Oder nur in Floskeln. Sein Gesicht wird spitz, und er blickt aus dem Fenster über die weiß gepuderten Elbauen. Demütigung? Wut? Seine Worte verraten eine tiefe Verletzung. "Herr Milbradt hat die Vertrauensbasis zerstört." Weil der designierte Nachfolger endlich Nachfolger werden wollte? Musste der lange unangefochtene Landesvater nicht sehen, dass seine Zeit gekommen war, dass die feudalen Allüren um zu wenig gezahlte Miete, Traumreisen und Rabatte selbst die harmoniesüchtigste Partei zermürbten?
"Wir werden endlich erwachsen"
Er hat es nicht gesehen, er sieht es heute noch nicht. "Er lebt in seiner eigenen Wahrheit", resümiert Stanislaw Tillich, Europaminister und als Nachfolger auch schon mal im Gespräch. Tillich gehört zu der jungen Garde, die sich jetzt schon mal kritische Töne erlaubt. "Er weiß nicht mehr, was unten los ist", glaubt Tillich. Ist das noch der alte Biedenkopf, zu dem man aufschauen konnte, der brillierte mit seinem Wissen, der jede Kabinettssitzung zu einem Seminar machte?
Hermann Winkler, der CDU-Generalsekretär, sieht diese Entwicklung als Chance: "Wir werden endlich erwachsen." Kurt Biedenkopf war die Partei, danach kam lange nichts. "Die Menschen haben ihn gewählt, zum König der Sachsen", sagt sein langjähriger Widersacher, der ehemalige SPD-Fraktionschef Karl-Heinz Kunckel. "Und er hat diesen höfischen Regierungsstil auch gepflegt." Zusammen mit Landesmutter Ingrid. "Seit wir Ministerpräsident sind", war einer ihrer schönsten Versprecher. Aber wahrscheinlich war es gar kein Versprecher.
Vielleicht kommt Sachsen jetzt in der republikanischen Realität an, auf die Gefahr, so Winkler, "dass wir ohne Biedenkopf-Bonus die absolute Mehrheit verlieren". Bislang weiß keiner, ob der Ministerpräsident "einfach so geht" und ob er "überhaupt den Wahlkampf unterstützt". Ängstlich blickt die Partei auf ihr Denkmal: Was macht er bloß? Er kann doch nicht nur gut gelaunt sein?
Er kann. Der Ministerpräsident hat seinen letzten Neujahrsempfang in Bautzen sehr genossen. Er hat Hof gehalten, allerdings anders als in den Jahren zuvor, weitaus weniger distanziert. Früher war Ingrid das Bindeglied zum Volk, heute stürzt er sich in die Menschenmenge, schüttelt Hunderte Hände und trifft auch noch den richtigen Ton als Landesvater. "Na, Sie in Bautzen geben ja immer Ihren Senf dazu." Das kam gut an, die Schützenhalle bebte vor Applaus. Hier spielt es keine Rolle, dass nur noch 48 Prozent aller Sachsen Biedenkopf weiter im Amt des Ministerpräsidenten sehen wollen. Früher waren es 80 Prozent. "So ein Quatsch, in zehn Jahren spricht keiner mehr von Rabatt, da heißt eine Hauptstraße in Dresden nach Biedenkopf."
Noch thront er über der Elbe, in der Staatskanzlei mit der goldenen Krone. In diesem weißen Eckzimmer mit den ständig schlagenden Uhren, den silbernen Lüstern, den Antiquitäten und den Fahnen. Er ist in seiner sicheren Welt, in der kein Platz ist für die Erkenntnis, dass er zwar die großen Entwürfe kann, aber nicht das politische Alltagsgeschäft. Aber war das nicht 1987 auch schon so, als er den Landesvorsitz der CDU in Nordrhein-Westfalen an Norbert Blüm abgeben musste? Einen kurzen Moment wird seine Stimme dünn: "Ich hab' das schon mal erlebt", aus dem Land getrieben von den eigenen Leuten, "ich bin Intrigen gegenüber ziemlich hilflos."
(Nana Brink)