Karl Nolle, MdL

Die Welt, 16.01.2002

Zermürbt von zahlreichen Affären

Sachsens Ministerpräsident Biedenkopf verkündet Mittwoch seinen Rücktrittstermin. Nachfolger wird aller Voraussicht nach Georg Milbradt
 
DRESDEN. Ausgerechnet in Sachsen, wo die Christdemokraten seit der Wende mit absoluter Mehrheit regieren, verliert die Partei deutlich an Zuspruch. Nur noch 43 Prozent der Wähler würden sich laut einer Emnid-Umfrage für die Union entscheiden. Damit liegt sie auf gleicher Höhe mit der Opposition - die PDS käme auf 25, die SPD auf 18 Prozent. Ähnlich schlechte Werte für die CDU hatten die Demoskopen zuletzt im November 1998 ermittelt.

Der für dieses Stimmungstief maßgeblich Verantwortliche hat in Dresden vermutlich einen seiner letzten großen Auftritte: Ministerpräsident Kurt Biedenkopf wird an diesem Mittwoch seinen Rücktrittstermin verkünden. Über das Datum der Demission ist oft spekuliert worden. Mittlerweile wollen es Insider kennen. Nach ihren Informationen legt Biedenkopf sein Amt um das Osterfest herum nieder. Das bedeutet: Bereits in knapp drei Monaten wählt der Landtag einen neuen Ministerpräsidenten - und der kann nach gegenwärtigem Stand nur Georg Milbradt heißen.

Die Entwicklung muss Biedenkopf, der vom Sachsenvolk lange nahezu kultisch als "König Kurt" verehrt wurde, zutiefst verbittern. Der Mann der ersten Stunde, unter dessen Regentschaft der Freistaat zum Musterland des Ostens aufstieg, verlässt die Staatskanzlei nicht etwa "erhobenen Hauptes", wie es sich seine Anhänger immer erhofft hatten. Vielmehr tritt Biedenkopf zermürbt von zahlreichen Affären von der politischen Bühne ab. Sogar eigene Parteigänger empfinden ihr prominentestes Mitglied, das seit fast einem Jahr nur noch für Negativschlagzeilen gut ist, zunehmend als Belastung.

Schlimmer für Biedenkopf: Auf seine Nachfolge hat der gelernte Volkswirt, Jurist und Politologe kaum Einfluss. Im letzten Jahr versuchte er vergeblich, Angela Merkel auf den Sachsen-Thron zu hieven. Doch die CDU-Chefin, die damals hoffte, die K-Frage in ihrem Sinne zu entscheiden, lehnte das Angebot ab. Nun, nachdem Stoiber das Rennen gemacht hat, würde Merkels Gang nach Sachsen wie eine Flucht erscheinen.

In jüngster Zeit hat Biedenkopf seinen Posten nach Meldungen, denen nie widersprochen wurde, mindestens drei Kabinettskollegen angedient. Doch sowohl bei Thomas de Maizière (Finanzen), Stanislav Tillich (Europa) als auch bei Steffen Flath (Landwirtschaft) handelte er sich Absagen ein. Keiner der Minister wollte sich gegen den von Biedenkopf ungeliebten Favoriten, den ehemaligen Finanzminister und heutigen Landesparteichef Milbradt, ins Rennen schicken lassen.

Das wenig glücklose Agieren bei der Thronfolge zeigt: Biedenkopf hat zuletzt jedes politische Gespür vermissen lassen. Anders als sein Intimfeind Helmut Kohl, der über exzellente Vorwarnsysteme verfügte, schätzte er die Stimmung in Partei, Fraktion und Kabinett mehrfach falsch ein. Dieser handwerkliche Fehler wird ihm nun zum Verhängnis - und nicht etwa sein umstrittener Rabatteinkauf beim Möbelhaus Ikea, seine Billigunterbringung in einem landeseigenen Gästehaus oder seine fragwürdige Einflussnahme zu Gunsten eines befreundeten Investors beim Bau eines Behördenzentrums in Leipzig-Paunsdorf.

Das wenig glanzvolle Ende seiner Karriere hat sich Biedenkopf selbst zuzuschreiben. Das aber dürfte sich der selbstherrliche Autokrat, der zuletzt beratungsresistent wirkte, kaum eingestehen. Dabei ist die Liste seiner Fehlurteile lang. Schon im Jahr 1999 leitete der Sachsenregent seinen Abstieg ein, indem er die Partei demütigte.

Nur mit Rücktrittsdrohungen konnte Biedenkopf seinerzeit durchsetzen, dass der ungeliebte Fritz Hähle zum CDU-Vorsitzenden gewählt wurde. Obwohl kein Gegenkandidat antrat, erhielt Hähle weniger als 60 Prozent der Stimmen. Spätestens das blamable Resultat hätte Biedenkopf zu denken geben müssen. Doch dieser wurde aus dem Schaden nicht klug: Im Jahr 2000 sorgte er trotz Widerstände dafür, dass Hähle auch Fraktionschef bleiben konnte - wobei die Abstimmung erneut zu einem Debakel geriet.

Im Februar 2001 schließlich unterlief Biedenkopf ein Patzer, der für Politprofis unverzeihlich ist. Auf denkbar rüde Art und ohne sachlichen Grund feuerte er seinen langjährigen Wegbegleiter und Finanzminister Georg Milbradt. Dabei zählt dessen rigide Sparpolitik, die die Verschuldung des Landes auf extrem niedrigem Niveau hielt, nach wie vor zu den Glanzlichtern der sächsischen CDU-Politik.

An dem Rausschmiss des einst Getreuen hat nach Meinung nicht weniger Beobachter Ehefrau Ingrid, eine ausgewiesene Milbradt-Gegnerin, maßgeblich mitgewirkt. Wie auch immer: Plötzlich stand "König Kurt" als Kronprinzenmörder da, der sich wie ein alter böser Mann gebärdete. Seine damalige Trotzprognose erwies sich als fataler Irrtum: "In vier Wochen redet darüber keiner mehr."

Zum Entsetzen Biedenkopfs setzte sich Milbradt im Spätsommer in einer Kampfabstimmung klar als Parteichef durch - und das gegen Steffen Flath, den Wunschkandidaten des Ministerpräsidenten. Seitdem, so scheint es, wird der Landesvater nur noch von einem Motiv getrieben: Zu verhindern, dass sein einstiger Kassenwart sein Erbe antritt. In persönlichen Belangen kann Biedenkopf, der gerne den unbestechlichen Intellektuellen mimt, merkwürdig kleinlich und nachtragend sein - auch das lässt sich an seiner Dauerfeindschaft zu Kohl ablesen.

Georg Milbradt wird Biedenkopf kaum aufhalten können. Dass er seinem Nachfolger aber auch künftig Steine in den Weg legt, halten Kenner der zerrütteten Männerfreunde für ausgemacht. Nicht nur das: Wohl im Zorn wird sich "Biko" in sein Haus am Chiemsee zurückziehen. Von dort aus werden dann, so die Befürchtungen, böse Kommentare zu aktuellen Problemen in Dresden zu vernehmen sein. Mit einem solchen Verhalten aber würde Biedenkopf sein Lebenswerk, das vor allem mit seinen Leistungen in Sachsen verknüpft ist, weiter zerstören. Zuzutrauen ist ihm dies durchaus.
(Uwe Müller)

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: