Süddeutsche Zeitung, 17.01.2002
Biedenkopf gibt im Streit mit seiner Partei auf
Sachsens Regierungschef kündigt Rücktritt bereits für April an / Abrechnung mit dem möglichen Nachfolger Milbradt
DRESDEN. Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf tritt nach einer
Reihe von Affären vorzeitig und im Streit mit der Landes-CDU zurück. Er werde das Amt des Regierungschefs mit Wirkung vom 18. April niederlegen, kündigte Biedenkopf am Mittwoch in einer Erklärung in Dresden an, die er zu einer Abrechnung mit seinem möglichen Nachfolger, Landesparteichef Georg Milbradt, nutzte. Am 17. April will Biedenkopf dem Landtag eine Bilanz seiner fast zwölfjährigen Regierungszeit vorlegen. Milbradt bekräftigte trotz der Angriffe seine Bereitschaft, sich um das Amt des Ministerpräsidenten zu bewerben.
Der neue Ministerpräsident soll zunächst auf einem Sonderparteitag der CDU durch die Mitglieder bestimmt werden. Die Fraktion der CDU müsste dann im April Biedenkopfs Nachfolger wählen: Parteichef Milbradt ging am Mittwoch vor der Presse davon aus, dass die Fraktion sicher einer Empfehlung der Partei folgen werde. Er könne sich nicht vorstellen, dass Partei und Fraktion in dieser Frage auseinander fallen. „Das wäre das Ende der CDU-Herrschaft in Sachsen", sagte Milbradt. Er war erst im September gegen die Empfehlung von Ministerpräsident Biedenkopf zum Parteichef gewählt worden und wird offenbar von einer Mehrheit der Partei unterstützt. Ob auch die CDU-Fraktion mit einer für ihn ausreichenden Mehrheit hinter Milbradt als Kandidat steht, wollte er am Mittwoch noch nicht einschätzen. Auch Fraktionschef Fritz Hähle wollte dazu nicht Stellung nehmen. Hähle selbst zählt aber zu den parteiinternen Kritikern Milbradts und ist ein erklärter Gegner von dessen Kandidatur.
Engagement gewürdigt
Der frühere Finanzminister ist bisher der einzige Kandidat für den Posten des sächsischen Ministerpräsidenten. Milbradt wollte die Angriffe, die Biedenkopf in seiner Erklärung vorgetragen hatte, nicht kommentieren. Biedenkopf erhebt in seiner Erklärung schwere Vorwürfe gegen die Parteispitze. Auch gegenüber der Landespartei zeigte sich der scheidende Ministerpräsident äußerst kritisch. Ihr könne er für das letzte Jahr „nicht in gleicher Weise danken" wie etwa dem Fraktionsvorsitzenden und früheren Parteivorsitzenden Hähle. Die neue Führung der Partei und ein Teil ihrer Funktionsträger habe ihn nicht im erforderlichen Ausmaß unterstützt. „Die Parteiführung suchte nicht die Gemeinsamkeit", meinte Biedenkopf. Vor allem dem neuen Vorsitzenden warf er vor, „parallel zur Opposition" seinen Rücktritt betrieben zu haben. „Beide zerstörten damit dauerhaft die Voraussetzungen für eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit", sagte Biedenkopf mit Bezug auf Milbradt und dem von Milbradt berufenen Generalsekretär Hermann Winkler.
Die verschiedenen Affären des vorigen Jahres sind nach Biedenkopfs Darstellung nicht die Ursache für seinen vorzeitigen Rücktritt. Er hatte ursprünglich frühestens im Herbst dieses Jahres sein Amt aufgeben wollen. Biedenkopf war unter anderem wegen der Affären um seine Dienstvilla und eine Immobilien-Investition eines mit ihm befreundeten Bauunternehmers in die Kritik geraten. In dieser Angelegenheit wird ihm von der Opposition vorgeworfen, einen Untersuchungssausschuss belogen zu haben. Im Dezember brachte dann noch ein Sonderrabatt der Biedenkopfs bei der Möbelkette Ikea den Ministerpräsidenten und dessen Frau Ingrid in die Schlagzeilen. Seinen vorzeitigen Abgang erklärte er nun vor allem mit „innerparteilichen Gegebenheiten" und den Erfordernissen des Bundestagswahlkampfs.
Milbradt ging auf Biedenkopfs drastische Kritik nicht ein. Milbradt beschränkte sich darauf, Biedenkopf für dessen Engagement für Sachsen zu danken. Biedenkopf habe während seiner Amtszeit die Grundlagen für eine erfolgreiche Entwicklung des Landes gelegt. „Es ist ihm gelungen, ein politisches, wirtschaftliches und kulturelles Fundament zu schaffen, das unseren Freistaat zu einem weit über Deutschland hinaus anerkannten Standort macht", sagte Milbradt. An einem Tag wie diesem wolle er die kritische Diskussion nicht fortführen, sagte Milbradt zu den Attacken auf seine Person.
Der Rücktritt Biedenkopfs wird zu einer umfassenden Kabinettsumbildung führen. Wirtschaftsminister Kajo Schommer hat bereits angekündigt, er werde sein Amt aufgeben. Auch Gesundheitsminister Hans Geisler steht nicht mehr zur Verfügung.
(Jens Schneider)
