Sächsische Zeitung, 11.02.2002
Personalstreit: Noch hat Milbradt leichtes Spiel
Sturm auf Bundestagstickets ausgestanden, doch nun zofft die CDU in Westsachsen
Was in anderen Parteien wochenlange Machtkämpfe auslöst, war für die Sachsen-Union schnell abgehakt. Der Parteivorstand um Landeschef Georg Milbradt entschied am Sonnabend über die Landesliste für die Kandidaten zur Bundestagswahl. Angeführt wird die vom Bundestagsabgeordneten Michael Luther. Es folgen Noch-Justizminister Manfred Kolbe sowie Luthers Bundestagskollegen Christa Reichardt, Gerhard Schulz und Klaus Brähmig. Vor Brähmig auf Platz fünf rangiert die Bautzner Kreischefin Maria Michalk.
Landesliste ist im Herbst vermutlich nur Makulatur
Liste und Platzierungen haben allerdings einen Haken. Erreicht die Sachsen-CDU im Herbst ihr gewohntes Stimmenpotenzial bei Bundestagswahlen, werden wohl erneut nur CDU-Direktkandidaten, die sich in einem der siebzehn Wahlkreise durchsetzen, die Reise nach Berlin antreten. Bewerber auf der Landesliste bleiben dagegen wahrscheinlich außen vor.
Die leicht gelöste Personalfrage vom Wochenende dürfte Parteichef Milbradt freuen. Immerhin ist dem CDU-Vorsitzenden, der vermutlich im April als neuer Ministerpräsident eine Kabinettsliste vorlegen muss, erneut das Kunststück gelungen, ohne große Mühe Streit in den eigenen Reihen zu verhindern. Im Gegensatz zur unspektakulären Landesliste hatte sich bei der Auswahl der Direktkandidaten viel Unmut an der CDU-Basis aufgebaut. Der Grund war die Häufung einer besonderen Bewerber-Spezi: Juristen aus den alten Ländern, die sich meist erst kurz in sächsischen Kreisverbänden engagieren, schickten sich an, der langansässigen Klientel die Berliner Tickets abzujagen. In der Hälfte der Wahlkreise kam es zu entsprechenden Bewerberduellen. Viele ostdeutsche Christdemokraten glaubten sich bereits um "ihre" Mandate betrogen. Doch außer einem Bewerber im Vogtland sowie Justizminister Kolbe konnte sich kein ambitionierter "West-Jurist" durchsetzen. Die drohende Schieflage war verhindert, Milbradt konnte Entwarnung geben.
Doch nun droht wieder Ärger. Im Mittelpunkt steht dabei Milbradts Stellvertreterin Christine Weber. Die CDU-Vize und Sachsens Gleichstellungsministerin musste jetzt gegen ihren Willen das Amt als CDU-Kreischefin im Mittleren Erzgebirge aufgeben. Anlass bot eines der erwähnten Bewerberduelle, bei dem sich Weber statt für den vom eigenen Kreisverband aufgestellten Juristen Günther Schneider für die Landtagsabgeordnete Veronika Bellmann stark machte. Bellmann gewann, und Weber sieht sich seitdem Vorwürfen ausgesetzt, die von Ämterüberlastung bis zur Trickserei reichen. Kolportiert wird, Weber habe sogar eine neue Referentin in ihrem Ministerium eingestellt, weil diese sonst Bellmann Konkurrenz gemacht hätte. Weil sich die nervöse Ministerin nicht an den Rat von Freunden hält ("Nur keine Panik!"), eskaliert die Situation. Am Freitag griff sie in der CDU-Landtagsfraktion offen den Chemnitzer Abgeordneten Hans-Jörg Kannegiesser an. Der würde Gerüchte streuen, so klagte Weber per Wortmeldung und eigens verteilten Briefen, wonach sie nun in seinem Kreisverband den Vorsitz anstrebe, um ihre Karriere zu sichern.
Neue Diskussion um Biedenkopf-Nachfolge
Tatsächlich dürften die jüngsten Ereignisse nicht ohne Auswirkungen auf das Duell bleiben, das sich Weber mit der CDU-Abgeordneten Kerstin Nikolaus um das Amt der künftigen Sozialministerin liefert. Doch der nunmehr offen geführte Streit könnte nicht nur ihr schaden. Angesichts der neue Querelen schlug der CDU-Abgeordnete Kurt Stempell prompt eine neue Diskussion um den künftigen Biedenkopf-Nachfolger vor. Auch Milbradt habe möglicherweise Schwachstellen, die die Partei nicht zur Ruhe kommen lassen könnten, während Politiker wie Europaminister Stanislaw Tillich (CDU) mehr "Ausstrahlung und höhere Sympathiewerte" hätten. Große Chancen räumt Stempell, der sich mit einem Brief an alle CDU-Fraktionäre sowie die Kreischefs wenden will, dem Aufruf zwar nicht ein. "Wer aber jetzt schweigt, macht sich mitschuldig, wenn es am Ende mit Milbradt nicht klappt."
(Von Gunnar Saft)