Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 18.02.2002

"Die gesamte Strafjustiz beschädigt"

Richterverband wirft Justizminister Kolbe mangelnde Loyalität vor
 
Richter und Staatsanwälte halten sich mit öffentlicher Kritik an Politikern in der Regel sehr zurück. Wenn sich trotzdem jemand einmischt, muss der Ärger schon sehr groß sein. Der Konflikt um Generalstaatsanwalt Jörg Schwalm hat ein Mitglied der "Neuen Richtervereinigung" jetzt veranlasst, von dieser Gepflogenheit abzuweichen. Justizminister Manfred Kolbe (CDU) habe "nicht nur zugelassen, dass sein oberster Staatsanwalt beschädigt wird, sondern damit auch der gesamten Strafjustiz des Freistaates Schaden zugefügt", heißt es in einer Verbandsschrift, die Anfang des Jahres landesweit in Gerichten und Staatsanwaltschaften verteilt worden ist. Anlass ist der juristische Meinungsstreit um die Neonazi-Parole "Ruhm und Ehre der Waffen-SS", die Skinheads auf Demonstrationen grölen. Schwalm, so wird berichtet, teilte den Staatsanwaltschaften vorigen Herbst mit, er halte die Parole nach den geltenden Gesetzen nicht für strafbar.

Dabei berief er sich auf die übrigen Generalstaatsanwaltschaften in Deutschland. Geahndet werden können nur Parolen oder Kennzeichen von verfassungswidrigen Organisationen oder solche, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind. Das Ruhm-und-Ehre-Gegröle wurde daraufhin nicht mehr weiter verfolgt, denn bestraft werden kann nur, was per Gesetz unter Strafe gestellt ist. Irgendjemand brachte Schwalms Brief in die Öffentlichkeit. Die Folge waren öffentliche Empörung und persönliche Angriffe gegen Schwalm. Sie gipfelten darin, ihm vorzuwerfen, auf dem rechten Auge blind zu sein. "Jeder, der nur ein bisschen mit der Strafrechtspflege im Freistaat zu tun hat, weiß, dass dieser Vorwurf absurd ist", schreibt Staatsanwalt Christian Avenarius dazu. Die Landtags-Opposition forderte sogar Schwalms Entlassung.

Denn der "General" stand schon häufiger wegen Ermittlungen in politisch brisanten Verfahren in der Kritik. In der so genannten Paunsdorf-Affäre beispielsweise soll er Ermittlungen unterdrückt haben. Kolbe sah sich ob des öffentlichen Drucks dazu veranlasst, dem Generalstaatsanwalt anzuweisen, die Parole nun doch strafrechtlich zu verfolgen. Zu den Angriffen gegen Schwalm äußerte er sich mit keinem Wort. Das Amtsgericht Leipzig wird in einigen Wochen entscheiden, ob der erste Prozess wegen "Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen" eröffnet wird. Auch Justizminister Manfred Kolbe wisse, dass die Angriffe gegen Schwalm nicht gerechtfertigt seien, schreibt Avenarius. Trotzdem habe sich der Minister lieber in den Medien feiern lassen und "über den ihm zuteil gewordenenen Zuspruch abermals seine Verantwortung gegenüber der Justiz vergessen".

Avenarius steht mit seiner Kritik nicht völlig allein. Hinter vorgehaltener Hand werfen einige seiner Kollegen dem Minister vor, sich mehr um seine Selbstdarstellung in den Medien als um die Justiz zu kümmern. Verärgert äußern sich manche auch darüber, dass Kolbe nach einer rechtswidrigen Razzia in der Redaktion der "Bild"-Zeitung die verantwortliche Staatsanwältin an den Pranger gestellt und öffentlich Sanktionen angekündigt habe. Über Fehler spricht man nur intern, sagt ein Gerichtspräsident. Das Justizministerium schweigt zu der Kritik des Richterverbandes. Zu hören ist über Kolbe, der nach dem Ministerpräsidentenwechsel im April nicht wieder in das Ministerium zurückkehren will, aber auch viel Positives. Geschätzt wird im Justizapparat sein - verglichen mit Vorgänger Steffen Heitmann - lockeres Auftreten und seine Gesprächsbereitschaft. Doch eine Novelle des Richtergesetzes hat auch er in den vergangenen Monaten nicht durchsetzen können.

Die Personalnot in den Staatsanwaltschaften konnte er ebenfalls nicht lindern. Zu Kolbes eindeutigem Lieblingsthema zählt die Bundespolitik. Besonders die Homo-Ehe wollte der ehemalige Bundestagsabgeordnete verhindern - vergebens. Auch die politische Auseinandersetzung mit der rot-grünen Bundesregierung über die Schuldrechts- und über die Zivilprozessreform sowie die Verbesserung der Zahlungsmoral hatten für ihn Priorität. Ab Herbst kann sich Kolbe vielleicht wieder ganz und gar der Bundesebene widmen. Der einstige Notar will in den Bundestag zurück.

Karl Nolle im Webseitentest
der Landtagsabgeordneten: