Sächsische Zeitung, 03.05.2001
Missmanagement und Chaos in der Schevenstraße
Biedenkopf-Affäre
03.05.2001
Sächsische Zeitung
Missmanagement und Chaos in der Schevenstraße
Die Bezahlung der Telefonkosten ist einer der wenigen Bereiche, wo festgestellt wurde, dass alles in Ordnung ist". Der Chef der Staatskanzlei, Georg Brüggen (CDU), hat gestern bei einer Pressekonferenz mit diesen Worten indirekt eingestanden, dass bei der Verwaltung des Gästehauses in der Schevenstraße Missmanagement der Normalfall gewesen ist. Verwaltet wird das Gebäude von der Staatskanzlei und dem Finanzministerium.
Auf Sachsens Ministerpräsident kommen jetzt Nachzahlungen von über 20 000 Mark zu. Er erklärte, dass im Zweifelsfall zu seinen Lasten entschieden werden soll.
Drei Beamte hatten mit Hilfe mehrerer Gutachten einen fast 100-seitigen Bericht erstellt, der gestern dem Landtag übergeben wurde. Die Mängelliste im Brüggen-Bericht ist lang: keine Gästeliste, eine Bedienstete verwaltete das Hausgeld auf einem privaten Konto, Mietverträge fehlen, es gibt keine Inventarlisten. Mit einem Erlass will Brüggen die Misswirtschaft in seinem Ressort sofort abstellen.
Biedenkopf bedauerte, dass nicht bereits 1994 entsprechenden Hinweisen des Rechnungshofes nachgegangen worden sei. Die Verantwortung für dieses Versäumnis soll bei dem früheren Staatskanzlei-Chef Günter Meyer liegen. Der allerdings kann sich heute nicht mehr an den Vorgang erinnern. Meyer ist seit zwei Jahren im Ruhestand.
Die Themenkomplexe:
Miete
Ein Rechts-Gutachten der TU Dresden kommt zum Ergebnis, dass für die Wohnung in bester Wohnlage in Dresden keine Preisbindung besteht. Es gibt allerdings keine Auskunft, ob die Höhe von 8,15 Mark pro Quadratmeter marktüblich ist. Zu beanstanden sei der Mietvertrag nicht, da er wirksam zwischen beiden Seiten geschlossen sei. Der Freistaat habe lediglich die Miete weiter gegeben, die er an den Eigentümer zahlen muss. Im Gesamtkomplex gibt es unterschiedliche Mieten. Ein Mieter zahlt sogar 21 Mark. Ein anderes Gutachten kam zu dem Schluss, die Biedenkopfs hätten zuviel Miete gezahlt. Auch der geldwerte Vorteil von 90 000 Mark, der 1997 nachversteuert wurde, sei zu hoch gewesen. Brüggen räumte ein, dass dies schwer zu vermitteln sei. Die Größe der Wohnung hat sich durch "neue Zuschreibungen" der Nutzflächen von bisher 155 auf 130 Quadratmeter reduziert. Deshalb habe Biedenkopf 13 802,97 Mark zuviel gezahlt. In allen Mietverträgen ist festgelegt, dass Biedenkopf über die Belegung der anderen Zimmer mitentscheiden konnte. In der Praxis machte dies seine Frau.
Koch und Putzfrau
Laut Gutachten ist die Nutzung der sechs Hausangestellten durch die Biedenkopfs der Liegenschaftsverwaltung bekannt gewesen. Dies sei jedoch weder bei der "Kaltmiete noch bei den Betriebskosten berücksichtigt worden". Die Nutzer mussten jedoch davon ausgehen, dass die Serviceleistungen in den Betriebskosten (normalerweise Strom, Gas) von 3,80 pro Quadratmeter inbegriffen seien. Die Hausangestellten helfen Ingrid Biedenkopf auch bei vielen, rein privaten Verrichtungen wie Kochen oder Einkaufen. Faktisch unterstehen sie der Ehefrau des Ministerpräsidenten. Der Bericht sieht durch den Nutzungsvertrag keinen geldwerten Vorteil für die Biedenkopfs. Die Personalkosten belaufen sich auf über 300 000 Mark jährlich. Unklar ist noch, ob dies nicht durch private Anbieter billiger gemacht werden kann. Dazu soll ein Gutachten von Wirtschaftsprüfern Aufschluss geben.
Chiemsee
Mehrfach wurden Mitarbeiter des Gästehauses auch im Ferienhaus am Chiemsee eingesetzt. Meistens sei dies geschehen, wenn dort Gäste des Ministerpräsidenten aus dienstlichen Gründen empfangen wurden. Brüggen konnte jedoch nicht ausschließen, dass die Bediensteten dort auch privat den Biedenkopfs halfen. Weder Biedenkopf noch die Angestellten sind dazu befragt worden. Der geldwerte Vorteil für die private Nutzung der Hausangestellten am Chiemsee liegt bei 31 600 DM. Für Biedenkopf eine Zahlungsverpflichtung von 15 800 DM.
Familienangehörige
Das Gästehaus dient eindeutig nur zur Beherbergung von Gästen der Staatskanzlei. Es wohnten dort allerdings häufig auch Familienangehörige. Am Anfang war sogar vertraglich festgelegt, dass Biedenkopf persönlich über die Belegung entschied. Im Falle von Rita Ries sei das nicht zu beanstanden, weil die Mutter von Ingrid Biedenkopf in deren Gästewohnung lebte. Anders verhält es sich mit der Tochter und deren Ehemann Andreas Waldow. Das junge Ehepaar wollte wohl Miete zahlen, berichtete Brüggen. Allerdings habe das Frau Biedenkopf mit der Bemerkung abgewehrt, sie werde das übernehmen. In der Hauptkasse ist laut Brüggen aber kein Geld eingegangen, so dass nachgezahlt werden müsse. Auch wenn Verwandte bei Festen und Familienfeiern im Gästehaus wohnten, wurde kein Geld gezahlt.
Pikant: Als 1999 eine Hauswirtschafterin wegen Krankheit ausfiel, wurde der Vertrag freihändig an die Wisser Dienstleistungs-GmbH vergeben. Deren Geschäftsführer ist Schwiegersohn Andreas Waldow.
Privatfahrten und -flüge
Kurt Biedenkopf darf seine gepanzerte Dienstlimousine samt Fahrer uneingeschränkt privat nutzen und versteuert dafür jährlich einen geldwerten Vorteil von rund 22 000 Mark. Unterschiedliche Meinungen gibt es zur Frage, ob Familienangehörige damit Privatfahrten auch ohne den Ministerpräsidenten unternehmen können. Nach Auffassung der Staatskanzlei dürfen sie das; anderswo ist das nicht erlaubt. Darüber hinaus kann Ingrid Biedenkopf die Fahrbereitschaft des Innenministeriums nutzen, wenn dies "im öffentlichen Interesse" liegt. Laut Brüggen-Bericht konnte nicht mehr für jede Fahrt der Anlass geklärt werden. Deshalb habe man eine pauschale Berechnung aller Privat- und Zweifelsfahrten vorgenommen. Ergebnis: Pro Jahr müsste Biedenkopf etwa 700 Mark nachzahlen.
Privatflüge von Frau Biedenkopf mit einem Polizeihubschrauber habe es nicht gegeben, betonte Brüggen. Er räumte allerdings ein, dass sie allein nach Hof geflogen sei, um von dort mit Ehemann Kurt zu einem Termin nach Leipzig zu reisen.
(Steffen Klameth und Christian Striefler)