Süddeutsche Zeitung, 04.05.2001
Munition für den politischen Gegner
Der Bericht über die Verhältnisse in Biedenkopfs Dienstvilla lässt viele Fragen offen
DRESDEN. Im November 1999 fiel im Domizil des sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf und seiner Frau Ingrid sehr kurzfristig eine Hauswirtschafterin aus. Die Frau zählte zum sechsköpfigen Personal, das den Biedenkopfs in ihrer Dienstvilla am Weißen Hirsch in Dresden auf Landeskosten zu Diensten ist. Das Personal wird dort von Ingrid Biedenkopf eingeteilt. Sie fungiert laut Staatskanzlei-Chef Georg Brüggen in diesem staatlichen Gästehaus gewissermaßen „als Feldwebel der Kompanie".
Um die Lücke beim Hauspersonal schnell zu schließen, wurden drei Angebote eingeholt. Schließlich entschied man sich - laut Regierungssprecher wohl unter Beteiligung von Frau Biedenkopf - in der Staatskanzlei für die Dienste eines Dresdner Dienstleistungsunternehmens. Dies alles wäre wohl nicht zu beanstanden, wenn der Geschäftsführer dieses Unternehmens, der das entsprechende Angebot auch unterzeichnet hatte, nicht zugleich der Schwiegersohn der Frau des Ministerpräsidenten wäre.
Das findet nun selbst Kurt Biedenkopfs Staatskanzlei bemerkenswert. „Der so möglicherweise entstehende Eindruck der Bevorzugung dieser Firma wegen des verwandtschaftlichen Verhältnisses des Geschäftsführers zur Familie des Ministerpräsidenten ist unglücklich", kommentiert sie die Entscheidung zugunsten der Firma des Schwiegersohns. Die Firma müsse mit der Kündigung des Vertrags rechnen.
Diese Offenbarung ist auf Seite 75 in dem Bericht nachzulesen, den der Chef der Biedenkopf'schen Staatskanzlei, Georg Brüggen, vorlegte. Den Bericht hatte Brüggen in Abstimmung mit dem Ministerpräsidenten in Auftrag gegeben. Er sollte die unzähligen Fragen rund um die Wohnverhältnisse und das Dienstpersonal der Biedenkopfs klären - und der „Kampagne gegen den Ministerpräsidenten", wie die Staatskanzlei die Affäre wertet, den Wind aus den Segeln nehmen. Nun scheint er vielmehr zum Steinbruch zu werden, aus dem die Opposition Munition für weitere Attacken bricht. Schon sprechen PDS und SPD von einem Untersuchungsausschuss, zumindest solle ein bestehender Ausschuss zu einer anderen Affäre Biedenkopfs seinen Auftrag erweitern.
Anders als Brüggen es angekündigt hatte, lässt der Bericht viele Fragen offen. Das betrifft etwa die Einsätze der Mitarbeiter des Gästehauses – etwa des Kochs oder der Bedienhilfen – im privaten Domizil der Familie des Ministerpräsidenten am Chiemsee. Dem Bericht zufolge wird das Dresdner Personal grundsätzlich nur dann zum Chiemsee gefahren, „wenn dort Gäste des Ministerpräsidenten aus dienstlichen Gründen empfangen werden“. Tatsächlich aber konnte nicht der Nachweis erbracht werden, dass stets alle Einsätze einen offiziellen Anlass hatten. Im Bericht wird sogar von Einsätzen „mit eher privatem Hintergrund“ gesprochen. Unter welchen Umständen es zu solchen eher privaten Einsätzen kommen kann, soll jetzt noch geklärt werden. Angekündigt ist bereits, dass der Ministerpräsident für solche Einsätze des Personals und „Zweifelsfälle“, bei denen der Anlass sich nicht klären lasse, voraussichtlich Nachzahlungen leisten wird.
Die größte Irritation haben die Feststellung des Brüggen-Berichts zu Biedenkopfs Mietkosten ausgelöst. Er zahlt für die Einliegerwohnung im Gästehaus der Landesregierung eine Quadratmeter-Miete von 8,15 Mark. Bei einer Mietfläche von 155 Quadratmetern führte dies bisher zu einer Kaltmiete von knapp 1300 Mark. Laut Bericht dürfen jedoch einige der von den Biedenkopfs genutzten Flächen nicht einberechnet, sondern nur 130 Quadratmeter in Rechnung gestellt werden. Vor allem deshalb heilt es, die Biedenkopfs hätten sogar zu viel Miete gezahlt und Anspruch auf Rückzahlungen. Rein rechtlich sei es dabei nicht zu beanstanden, dass mit den Mietverträgen auch der Service des Personals abgedeckt sei.
Die Opposition betrachtet das als „nicht zu überbietende Dreistigkeit". Der Sozialdemokrat
Karl Nolle spricht bei diesem Preis für das Wohnen samt Personal von einer extrem preiswerten „All-inclusive"-Unterbringung des Ministerpräsidenten im Nobelviertel: „Da möchte wohl jeder gerne wohnen." Sachsens CDU-Vize Heinz Eggert findet die Kritik der Opposition berechtigt. Dem Nachrichtenradio MDR-info sagte Eggert, die Öffentlichkeit frage sich sicher zu Recht, wie der Quadratmeterpreis zustande komme, wenn darin noch die Leistungen des Dienstpersonals enthalten seien.
(Jens Schneider)