Karl Nolle, MdL

Frankfurter Rundschau, 05.05.2001

Die drahtigen jungen Herren mit den Einkaufstüten

Frau Biedenkopf weiß ihren Personenschutz zu nutzen
 
DRESDEN. Rentner Helmut Diehl staunte nicht schlecht. Auf dem Parkplatz vor dem Haus stand ein anthrazitfarbener Mercedes der S-Klasse, gepanzert und mit Gardinchen, Dresdner Kennzeichen. Im August vergangenen Jahres war das. Der 71 jährige Diehl machte gerade Urlaub in Zinnowitz, einem feinen Badeort auf der Ostseeinsel Usedom. Der Rentner aus dem hessischen Kelkheim hatte prominente Sommerfrischler als Nachbarn bekommen - drei ältere Damen, eine jüngere Frau mit zwei Kindern, zwei drahtige junge Herren: „Die Biedenkopfsche", erinnert sich Rentner Diehl. Die Gemahlin des sächsischen Ministerpräsidenten war mit ihrer Mutter Rita Ries und Familienmitgliedern zur Erholung angerückt. Gatte Kurt blieb allein zu Haus.

Vor allem die jungen Männer seien ihm aufgefallen, berichtet Rentner Diehl der FR: Sie siezten alle anderen, gingen für die Urlauberschar einkaufen, trugen deren Taschen, räumten auf, schoben Ingrid Biedenkopfs im Rollstuhl sitzende Mutter und begleiteten die Kinder an den Strand. „Das waren Personenschützer", sagt Sachsens Regierungssprecher Michael Sagurna. Und der gepanzerte Benz sei der Sicherheitswagen gewesen, der immer hinter der Dienstlimousine des Ministerpräsidenten herfahre.

Was in anderen Bundesländern undenkbar ist, gilt in Sachsen als völlig normal: Ingrid Biedenkopf hat seit vielen Jahren Personenschutz. Verlässt sie das Haus, dann in Begleitung. Ob beim Einkauf oder am Ostseestrand - immer ist jemand dabei. In anderen Bundesländern ist so etwas seit dem Ende der RAF-Jahre abgeschafft.

Die Gemahlin des saarländischen Ministerpräsidenten, Astrid Müller, verstehe sich als normale Frau, „nicht als Regentin", heißt es in der Saarbrücker Staatskanzlei. Fragt man in Mainz oder anderswo nach Dauerpersonenschutz für Gemahlinnen, erntet man Gelächter. „Nee, Strunzereien sind denen fremd." Warum Ingrid Biedenkopf ständig bewacht werden muss, ist „Verschlusssache", sagt das Dresdner Innenministerium. Das Landeskriminalamt mache regelmäßig Gefahrenanalysen. Gelte jemand als bedroht, gebe es Personenschutz. Wieso Landesmutter Ingrid in höherer Gefahr schweben soll als andere MP-Gattinnen oder alle sächsischen Minister, kann keiner so recht beantworten. „Sie steht sehr in der Öffentlichkeit." Außerdem solle es Drohungen gegeben haben, sagt Regierungssprecher Sagurna. Aber Genaues wisse auch er nicht.

Die Wahrheit dürfte weniger mit Lebensgefahr als mit Komfort zu tun haben. Biedenkopf hat öfters gesagt, er könne nicht in Ruhe arbeiten, wenn er sich Sorgen um Ingrid machen müsse. Seitdem dackeln gut erzogene Polizeimeister hinter seiner Ehefrau durch Dresdner Kaufhäuser und packen in Einkaufswagen, worauf der Zeigefinger der Landesmutter deutet. Dass Polizisten beim Einkaufen helfen, mag nicht einmal der Regierungssprecher bestreiten.

So sind über Jahre aus sächsischen Sicherheitsbeamten bewaffnete Tütenträger geworden. Welcher Polizist mag denn auch schon nein sagen, wenn eine ältere Dame mit schweren Taschen um Hilfe bittet? Auf der Strecke blieb die Sicherheit. Wie denn ein Polizist bei Gefahr die Pistole ziehen solle, fragte sich kürzlich Ex-Innenminister Heinz Eggert, wenn er in beiden Händen Einkaufsbeutel trage?
(Bernhard Honnigfort)

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