Sächsische Zeitung Online, 23.05.2001
"Dresdens Chancen stehen gut"
Herbert Wagner und Ingolf Roßberg diskutieren mit Mittelständlern
DRESDEN. Zwei Männer wollen Dresden nach vorne bringen. Ingolf Roßberg, FDP-Mitglied, kandidiert für eine Bürgerinitiative und wird von fast allen Parteien unterstützt, von der FDP allerdings nicht ganz eindeutig. Und Oberbürgermeister Herbert Wagner, Mitglied der CDU. In einer Podiumsdiskussion mit der Sächsischen Zeitung und Dresdner Mittelständlern trafen die beiden aussichtsreichsten Bewerber der Oberbürgermeisterwahl zum ersten Mal vor gößerem Publikum aufeinander.
"Wirtschaft ist nicht alles, aber ohne Wirtschaft ist alles nichts," war das Motto des Abends. Das sagte einst Walter Rathenau, AEG-Gründer und später Reichsminister. Um es vorweg zu sagen: Die Diskussion verlief sachlich. Die Kandidaten präsentierten sich staatsmännisch, Roßberg locker und eloquent, Wagner ruhig und selbstsicher. "Es ist der Wunsch vieler Dresdner Bürger, dass ich zurückkomme", antwortete Roßberg auf die Frage, warum er aus Wuppertal wegwolle, wo er erst seit September 2000 Dezernent ist. Und als der Frager wissen wollte, warum OB Wagner nach 11 Jahren Dienstzeit noch immer keinen Amtsbonus habe, sagte Wagner nüchtern: "Im Osten gelten härtere Regeln. Hier wird Politik ständig neu hinterfragt."
Der Amstinhaber will Dresden bis 2006 unter die ersten zehn der deutschen Großstädte führen. Wie soll das gehen? "1939 war Dresden die viertstärkste deutsche Stadt", sagt Wagner. "Dann wurde es durch Bomben und Sozialismus auf das Maß einer Mittelstadt zurückgeworfen." In den vergangenen zehn Jahren aber habe sich Dresden den Spitzenplatz im Osten erarbeitet. Die Stadt habe mit der Mikroelektronik eine Schlüsselbranche anlegen können, mit 500 Betrieben und 22 000 Beschäftigten. "Die Chancen als Biotechnologiezentrum und Tourismusstandort stehen gut."
"Durchaus realistisch", sagte Roßberg zu der Zukunftseinschätzung des Oberbürgermeisters. "Aber wir müssen auch bedenken, wo wir stehen." In großen Magazinen wie "Focus" lande Dresden bei Vergleichen unter ferner liefen.
Wagner konterte ungewohnt scharf. "Danach soll sich Dresden wohl wie Münchhausen an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen. Wenn wir 1990 nur alle gegenseitig unsere Häuser renoviert hätten, wären wir nicht weit gekommen." Dresden brauchte auch Kapital von außen, wie Siemens und AMD, um die auch für den Mittelstand Arbeitsplätze entstanden.
Das tägliche Stauproblem, unter dem vor allem Handwerk und Handel leiden, räumte Wagner ein. "Wir haben zu lange auf rot-grüne Verkehrsplaner gehört, aber Waldschlößchenbrücke und Autobahn 17 schaffen Abhilfe." Seit 100 Jahren werde diese Brücke geplant und sei immer noch nicht fertig. "Das nervt mich auch, aber 1994 bis 1999 hatte ich in der SPD keinen Partner, die wollte eine Brücke, wo wir schon eine haben, die dritte Marienbrücke." Damals hatte Wagner noch keine Mehrheit im Stadtrat.
Auch Roßberg stellte die Brücke nicht offen in Frage, obwohl er von PDS und Grünen unterstützt wird, die beide die Waldschlößchenbrücke ablehnten. Doch er fordert eine neue Planung. "Die jetzige wird wieder nicht genehmigungsfähig sein", warnt er, "im August stehen wir wieder mit leeren Händen da." Und die Brücke sei zu teuer, koste fast doppelt soviel, wie die ursprünglich geplanten 145 Millionen Mark.
Wie bekommt Dresden Geld in seine Kassen, um Investitionen zu finanzieren, von denen auch der Mittelstand etwas hat? Wie stehen die Kandidaten da zu Privatisierungen, also Verkäufen städtischer Betriebe? "Sie sind nur ein Element", sagt Roßberg vorsichtig. Ob er das mit PDS, Grünen und SPD hinbekommt, die bisher nicht als privatisierungsfreundlich aufgefallen sind? "Selbstverständlich", glaubt er, "Dieses Thema ist nicht zu umgehen." Wagner zeigt sich offener. "Damit wandert ruhendes Kapital dahin, wo der Bürger es sieht, in sanierte Straßen, Schulen und Schuldentilgung." Konkret nannte er die Wohnbaugesellschaften. "Wir brauchen keine 20 Prozent des Wohnraums in städtischer Hand. Die Hälfte genügt."
Beide Kandidaten beteuern, sie wollen auch in Zukunft in Konsens mit dem Stadtrat arbeiten. Da hat Wagner es freilich leichter als Roßberg: Er hat eine Mehrheit hinter sich.
(Markus Lesch)