Junge Welt Feuilleton, 26.05.2001
Die Sache mit dem Honigpinsel *
Wolfgang Berghofer schreibt über sich, die Wende und die Stadt Dresden. Aber warum bloß?
* Wolfgang Berghofer: Meine Dresdner Jahre. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2001, 271 Seiten, DM 34,-
Wolfgang Berghofer hat - zwölf Jahre nach den »Wende«tagen - ein Buch geschrieben. Es heißt »Meine Dresdner Jahre«, ist eine Mischung aus Erinnerungen, Bewertungen und irgendwie auch eine Wahlkampfschrift, ein Bekenntnis zur Stadt, ihren Bewohnern und ihrer Geschichte. Nur leider macht es keinen Sinn. Wenige Tage, bevor das Buch erschien, verabschiedete sich der ehemalige Oberbürgermeister und derzeitige Unternehmer Berghofer sang- und klanglos aus dem Kandidatenrennen um die Wahl zum Stadtoberhaupt. Er habe als unabhängiger Kandidat antreten wollen, ließ er verlauten. Nicht aber als Figur der Dresdner PDS. Unter diesen Umständen gebe es keine Unabhängigkeit. Abgang, Spiel, Satz und Sieg für seinen Nachfolger Herbert Wagner (CDU), der seit Ewigkeiten im Dresdner Rathaus sitzt, eine unscheinbare Figur im Schatten von »König Kurt« und seiner Satrapen.
Diese Nummer war kein echter Berghofer. Auch und gerade weil dieses Hinschmeißen an seinen Abgang aus der SED/PDS-Führung 1990 erinnert. Damals, als er die Sozialismus-Reformer, die Utopiegläubigen und die gerade ihre anerzogenen Beschränkungen und Zwänge abwerfenden Parteimitglieder mit Gregor Gysi und den sauertöpfischen Brie-Brüdern allein zurückließ.
Berghofer hat sie am eigenen Leib gespürt, jene Dialektik von gesellschaftlichen Veränderungen und der Rolle von Personen. Der richtige Mensch am zufällig richtigen Platz kann den Fluß der Zeit in eine andere Richtung leiten, gelegentlich.
Lange bevor er der Dresdner »Bergatschow« wurde, jene herausragende und auch ein wenig tragische Figur der »Wende«, saß ich Berghofer in einem dunklen Büroraum an der Berliner Chausseestraße gegenüber. Er war frisch berufener Leiter der Abteilung »Palast« im Organisationsbüro zum X. Parlament der FDJ im Frühjahr 1976 und ich seine Abteilung. Er schien nicht recht zu wissen, was das eigentlich darstellen sollte, dieser Titel, dieses muffige Bürohaus und schon gar nicht, was mit einem jungen und naiven Versager anzustellen sei, den man ihm als Mitarbeiter zugeordnet hatte. Nur eines ließ er durchblicken: Bald werde der Palast der Republik eröffnet, jenes prestigeträchtige Gebäude in der Mitte Berlins. Und dort dürfe dann der Jugendverband - unmittelbar nach der Partei - sein Abrechnungs- und Wahlspektakel abhalten. Alles was mit der Veranstaltung und den Haus zusammenhing, werde er, Berghofer, irgendwie koordinieren müssen. Eine große Chance.
Auch wenn er im Buch nur wenig auf diese Zeit eingeht: Er nutzte diese Gelegenheit. Den ihn umgebenden Funktionären an Cleverness, Improvisationstalent und strategischem Denken überlegen, machte er sich unentbehrlich. Er wußte, wie man mit Leuten umgeht, die nicht aus dem Funktionärskader waren, fand Zugang zu Architekten, Wissenschaftlern, Künstlern und bürgerlich geprägten Staatsdienern. Wo andere den bolschewistischen Natschalnik heraushängten, packte Berghofer sie bei ihrem Ego. Wenn der Großteil des FDJ- und Parteikaders vor höchsten Funktionären buckelte, widersprach er. Und spielte dann diesen Leuten den Ball zu, so daß sie ihr Gesicht wahren und die besseren Ideen als ihre eigenen ausgeben konnten. So verfuhr er mit seinen direkten Vorgesetzten und vor allen mit Egon Krenz, dem aufstrebenden FDJ-Chef und späteren Honecker-Nachfolger. Dabei, so bekennt er in seinem Buch, habe er Napoleon bewundert, seine Art, die Dinge zu packen und die Geschichte zu formen. Aber als Bonaparte hätte Berghofer in der DDR keine Chance gehabt. Eher als Macchiavelli. »Weißt du«, fragte er mich einmal, »wie man hier etwas werden kann?« Ich hatte keine Ahnung und keine Ambitionen. »Entweder du bist ein Genie, aber wer ist das schon? Oder du nimmst den dicken Honigpinsel. Den schmierst du den Leuten ums Maul, je dicker der Honig, desto besser.«
Freilich vergaß er zu erwähnen, daß ohne Kompetenz und taktisches Geschick der Honigpinsel auch nur ausreichte, dem Peter-Prinzip Genüge zu tun. Das allerdings galt für Berghofer nie.
Es ist schon heilsam für einen gebliebenen Utopisten, sich die Kapitel zur real existierenden Kommunalpolitik im Berghofer-Dresden vor 1989 durchzulesen. Fürwahr, das war ein trauriges, an Bürokratie, Ineffizienz und materieller Not sterbendes System. Berghofers Schluß: Soziale, ökologische Marktwirtschaft. Aber, zur Hölle, wo gibt es die? Genau hier scheint mir das ganze Dilemma wieder offenbar. Warum bleibt stets nur die Wahl zwischen Pest und Cholera? So naiv kann auch ein Berghofer nicht sein, der Historiker und Politiker, zu glauben, es wären keine anderen Möglichkeiten vorhanden. »Dilettanten öffnen die Mauer« überschreibt er ein Kapitel und formuliert einige Sätze, die für die konkrete Situation den möglichen Königsweg ahnen lassen: »Als die Mauer fiel - nach diesem läppischen Fernsehauftritt von Günter Schabowski - habe ich mir an den Kopf gefaßt. (...) Sie haben alles verschenkt, was wir als Verhandlungsmasse in der Tasche hätten haben können. Die DDR hatte ja unendlich viel mehr zu bieten, als die Treuhand dann erlöste. Wieviel hätte man herausholen können für die Bürger der DDR, wenn einer in Bonn angerufen und Bundeskanzler Kohl zu Verhandlungen über eine Wiedervereinigung eingeladen hätte!«
Jetzt ist der Hoffnungsträger zum Krämer mutiert. So schreibt er von zahllosen Begegnungen mit Leuten, die an den Fleischtöpfen - und den Hebeln der Macht - sitzen. Seltsamerweise haben die im Buch nur lautere Motive. Dabei, so scheint es, fällt für ihn genug ab, um angenehm und in materiellem Wohlstand leben zu können. Das sei jedem gegönnt, aber Berghofer muß sich gefallen lassen, mit anderen Maßstäben gemessen zu werden. Er ist ihr Diener geworden, vielleicht ein Danton, kein Robespierre und schon gar nicht Bonaparte. Und statt zu triumphieren, wie es ihm vielleicht möglich gewesen wäre, oder wenigsten grandios zu scheitern, hat er kläglich versagt. Jedenfalls bis jetzt.
(Von Klaus Fischer)