Sächsische Zeitung, 13.06.2001
Wie Berghofer Dresden über ein Jahr hinhält
Von der Weltanschauung zur Kandidatur
DRESDEN. Kein Kommentar. Ich bin im Urlaub. Ich habe mich noch nicht entschieden. Ich stehe nicht zur Verfügung . . . Noch nie hat jemand Dresden so lange hin- und in Atem gehalten wie Wolfgang Berghofer. Die Geschichte einer Kandidatur.
"Ja, es würde mich reizen", sagt Wolfgang Berghofer Anfang Mai 2000, als ihn die SZ zu einer möglichen OB-Kandidatur befragt. Kommunalpolitik unter den neuen Bedingungen biete ungeheuere Gestaltungsmöglichkeiten. Und die habe er nicht gehabt. Seitdem geht in Dresden ein Phantom um, das Parteien und Bevölkerung spaltet.
Zunächst gerät die SPD in Verdacht, den letzten SED-OB rufen zu wollen. Doch führende Genossen Sachsens dementieren. Ex-Partei-Chef Karl-Heinz Kunckel: "Die Zeit von Berghofer war vor 1989."
Ende Mai erklärt sich dann die PDS bereit, den in Berlin ansässigen Unternehmensberater zu unterstützen. Der Betroffene schweigt dazu. Die CDU macht im Juli Nägel mit Köpfen, nominiert Herbert Wagner. "Mag sein, dass ich blass bin", erklärt der kess. Aber anders als ein Herr Berghofer habe er keine Zeit, sich ins Sonnenstudio zu legen.
Die Opposition sucht verzweifelt nach einem aussichtsreichen Gegenkandidaten, bis die SPD schließlich mit
Karl Nolle kommt. Als der nach Weihnachten abspringt, wagt SPD-Landeschefin Constanze Krehl einen in der eigenen Partei umstrittenen Vorstoß: "Ich halte einen parteiübergreifenden Kandidaten Berghofer durchaus für vorstellbar", sagt sie der SZ. Nach Nolle zieht auch PDS-Favoritin Christine Ostrowski zurück und macht damit den Weg für Berghofer frei. "Die Dresdner PDS sollte die Option Berghofer in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellen", sagt Landeschef Peter Porsch. Doch der Wunschkandidat erklärt nur, er treffe seine Entscheidung zu gegebener Zeit unabhängig jedwedem taktischen Kalküls Dritter. Allein das sorgt für Wirbel. Die einen verdammen Berghofer als Wahlfälscher, die anderen loben ihn als verhinderten Reformer und Mann mit Charisma. Selbst Kurt Biedenkopf schaltet sich in den Schlagabtausch ein.
Die PDS verschiebt Anfang Februar 2001 vorsorglich ihre Entscheidung und verweist auf ihre Umfrage, nach der Berghofer vor Wagner und Roßberg liegt. Tage darauf gibt es ein Treffen mit dem 57-Jährigen im Hilton, aber auch das bringt keine Klarheit. Wenig später taucht Berghofers Stasi-Akte wieder auf, nach der er 1971 bis 1981 IM "Falk" war. Auch dazu: "Kein Kommentar!" Er sei im Urlaub. Doch es dauert nicht lange, da hängen im April Berghofer-Plakate mit dem Hinweis "Dresden ist eine Weltanschauung". Das Ganze entpuppt sich als Werbegag für das neue Buch des Ex-OB. "Es gibt noch keine Entscheidung", sagt sein Sprecher Thomas Krafczyk.
Die PDS sitzt damit in der Klemme. Da Berghofer nicht von alleine kommt, beschließt sie Ende April, ihn zu rufen. Daraufhin bläst der ehemalige Dresdner alle angeblichen Vorbereitungen ab und erklärt kurz vor Toresschluss: "Ich hätte es gerne gemacht. Aber nicht mit er PDS." Schon vor der Wahl am Sonntag jedoch kursieren neue Gerüchte, dass Berghofer im zweiten Wahlgang antritt. Gestern bestätigt er per Fax. Stunden später rennen die ersten Dresdner ins Rathaus. Sie wollen unterschreiben - damit aus dem virtuellen doch noch ein echter OB-Kandidat wird.
(Katrin Saft)