Sächsische Zeitung, 26.06.2001
Fünf Lehren der Bürgermeister-Wahl
SPD-Fraktionschef Jurk: Union hat Personalprobleme / CDU-Vize Eggert empfiehlt vor Wahlen Stimmungstests
DRESDEN. Beredtes Schweigen bei der CDU, Zufriedenheit bei allen anderen Parteien über den Ausgang der Kommunalwahl. Das ist die Lage in Sachsen am Tag danach. Fünf Lehren lassen sich aus dem Ergebnis ziehen:
1. Parteibindung immer unwichtiger
Einzelbewerber (84) und Wählervereinigungen (100) stellen zusammen mehr Posten als die Christdemokraten. Bei den Bürgermeistern zählt zuerst die Persönlichkeit - dann die Parteizugehörigkeit. Tritt ein engagierter Bürger gegen einen Parteisoldaten an, der das Amt mehr verwaltet als gestaltet, so war er häufig erfolgreich. Das Etikett "parteienübergreifend" genügte. Beispiele: Dresden, Radebeul, Zittau, Löbau. Nun müssen die "Bürger"-Bürgermeister zeigen, dass sie mit den Mehrheiten im Stadtrat regieren können.
2. CDU verliert die Städte
Die Christdemokraten stellen zwar mit 166 Bürgermeistern die mit Abstand meisten Posten aller Parteien nach dem zweiten Wahlgang. Doch mit dem schmerzhaften Verlust der Landeshauptstadt setzt sich für die CDU ein Trend fort. 1990 stellte sie noch in sechs kreisfreien Städten den Oberbürgermeister, jetzt bleibt nur noch Zwickau. Und dort konnte Dietmar Vettermann auch nur gewinnen, weil die anderen Parteien sich nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen konnten. Zu Recht analysierte PDS-Chef Peter Porsch: "Bündnisse gegen die CDU waren durchaus erfolgreich." Besonders beeindruckt wird er vom einzigen Kommentar von CDU-Chefin Angela Merkel sein: "Das sind schlimme Bündnisse, die ich in Berlin nicht haben möchte." In den Großstädten hat die CDU keine strukturelle Mehrheit mehr. In Chemnitz kam der CDU-Mann auf neun Prozent. Wirklich interessiert hat die Kandidatenaufstellung die CDU-Führung nicht. Konzepte, wie die Großstädte zurückgewonnen werden, gibt es nicht. Auch die Phalanx der schwarzen Landräte steht nicht mehr. Vier von 22 Landkreisen werden nicht mehr von der CDU regiert. Nutznießer sind Wählervereinigungen und die SPD. Deren Strategie geht auf: sie nominiert parteilose Kompetenz und reklamiert den Sieg für sich. Besonders schmerzhaft für den neuen CDU-Hoffnungsträger Steffen Flath: der Verlust in seinem Heimatkreis Annaberg-Buchholz. Sogar im Erzgebirge reicht es nicht mehr, einfach nur einen schwarzen Besenstiel aufzustellen.
3. Biedenkopf zieht nicht mehr
Offene Kritik an Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) war gestern nicht zu hören. Zu sehr stand die Partei unter Schock. Vielleicht hat die Wahlkampfunterstützung eines affärengebeutelten Ministerpräsidenten keinem Kandidaten ernsthaft geschadet. Mit Sicherheit aber hat sie auch keinem genutzt. Das Handauflegen des Übervaters, der schon bald aufhört, überzeugt keinen Bürger. Der bisherige Dresdner OB Herbert Wagner hat dies gespürt. Auch die Riege der jüngeren Minister fand keinen Zuspruch. In Meißen machten sie geschlossen für den CDU-Mann Stimmung. Doch die Bürger wählten erneut den alten Bürgermeister. SPD-Fraktionschef Thomas Jurk: "Offenbar hat die CDU ein Personalproblem."
4. Amtsbonus zählt nicht
Die Liste abgewählter Bürgermeister ist lang: Herbert Wagner, Dresden (CDU), Volkmar Kunze, Radebeul (FDP) und Jürgen Kloß, Zittau (CDU) können davon ein Lied singen. In Ostdeutschland gibt es bei den Bürgern kein verinnerlichtes Parteienspektrum. Wechselwähler reagieren hier oft anders als im Westen. CDU-Vize Heinz Eggert: "Ich rate jeder Partei, bevor sie einen Kandidaten aufstellt, sorgfältig die Stimmung in der Bevölkerung zu testen. Das gilt auch bei Amtsinhabern." Die Wähler würden sich nicht mehr an Vorentscheidungen kleiner Parteigremien halten.
5. Aufschwung von SPD und FDP
Landespolitische Hoffnung schöpfen SPD und FDP. Der Wahlsieg von Petra Köpping, die im Landkreis Leipziger Land 72,7 Prozent erreichte, war Balsam für die 10,7 Prozent-Partei. Insgesamt stellen die Genossen jetzt immerhin 20 Bürgermeister. Einen mehr hat die FDP, die im Landtag nicht vertreten ist. Doch der Roßberg-Erfolg muss ihr Mut machen. Im Gegensatz zu den Grünen erwachen sie langsam aus ihrer Lethargie.
(Christian Striefler)