Süddeutsche Zeitung, 08.06.2001
Stimmungstest in Sachsen: Ein helfender Engel am Straßenrand
Wie Biedenkopf-müde ist das Land? In Dresden wartet die CDU bang auf die Kommunalwahlen
Wenn Herbert Wagner auf eine große Bühne steigt, zum Beispiel auf einen Lastwagen inmitten der Fußgängerzone Prager Straße in Dresden, scheint er sich selber fremd zu sein. Immer noch, nach elf Jahren als Dresdner Oberbürgermeister. Er wirkt wie ein Musiker, dem kurz vor dem Auftritt ein unbekanntes Instrument in die Hand gegeben wurde. Verhalten spricht der 52 Jahre alte Christdemokrat, als prüfe er selbst noch Klang und Inhalt seiner Worte. „Erfolgreich und ehrlich“ lautet Wagners Slogan.
Wenn er doch einmal dynamisch sein will, fällt das Wollen sehr auf. So wie in dieser Woche. Da schimpfte Wagner im Wahlkampf über die tristen Plakate seiner Gegner und frohlockte dann, dass nun aber „das erfrischende Bildnis eines helfenden Engels“ den Dresdnern am Straßenrand erscheine. Er meinte die vielfach geklebten Poster seiner prominentesten Wahlkampfhelferin, der CDU-Bundesvorsitzenden Angela Merkel. Sie stand bei diesem Auftritt hinter ihm und schenkte ihm ein zitroniges Lächeln, als sie sein Engelsbildnis hörte.
Auch seine Partei macht sich nichts vor. Herbert Wagner sei kein Salon- Löwe und kein Talkmaster, erklärt der Bundestagsabgeordnete Arnold Vaatz für ihn werbend den Wählern. Beide verbindet die gemeinsame Vergangenheit aus den Tagen der friedlichen Revolution 1989. Vaatz zählte zur oppositionellen Dresdner „Gruppe der 20“, deren Sprecher Wagner war. Gemeinsam spielten sie eine zentrale Rolle bei der Besetzung der regionalen Stasi-Zentrale. Als führender Kopf der Opposition wurde Wagner am 23. Mai 1990 zum Dresdner Oberbürgermeister gewählt. Wenn der einstige Elektronikingenieur von den dramatischen Wochen des Umbruchs erzählt, entwickelt er übrigens viel Temperament und offenbart politische Leidenschaft.
Und er hat Erfolge, die sich vorzeigen lassen. Dresden liegt bei Neuansiedlungen der Chip-Industrie durch Infineon und AMD im Osten deutlich vorn. Während in den neuen Ländern über Abwanderung geklagt wird, freut Dresden sich über viele zugewanderte Neubürger und die höchste Geburtenrate unter den ostdeutschen Städten. Die Stadt zieht die meisten Touristen im Osten an, ihre Bürger haben die größte Kaufkraft.
Gute Bilanzen, keine Skandale – da kann es schon verwundern, dass sich gleich alle anderen Parteien gegen Wagner verbündet haben. Sogar eine Bürgerinitiative hat sich gegründet, damit an diesem Sonntag bei der Wahl der von ihr festgestellte Stillstand sein Ende finde. Ihre Suche nach einem Gegenkandidaten gestaltete sich indes als bizarres Ausscheidungsrennen. Die SPD wollte zunächst den Landtagsabgeordneten
Karl Nolle ins Rennen schicken, der sich als Biedenkopf-Jäger nicht nur beliebt gemacht hat. Nolle zog aber schnell zurück, als seine Aussichtslosigkeit offenkundig wurde. Monatelang kokettierte der einstige SED-Oberbürgermeister und verurteilte Wahlfälscher Wolfgang Berghofer mit einer Kandidatur und verzichtete im letzten Moment doch. Den Helden von gestern hätte die PDS gern unterstützt, aber das soll den gewendeten heutigen Unternehmensberater am meisten abgeschreckt haben.
Zitroniges Lächeln
Da hatte die Bürgerinitiative „OB für Dresden“ schon den Freidemokraten Ingolf Roßberg präsentiert. Der 40-Jährige war von 1990 bis 1994 Dezernent für Stadtentwicklung in Dresden, dann Bürgermeister in Radebeul. Seit einem Jahr ist Roßberg Beigeordneter für Stadtentwicklung, Bauen und Verkehr in Wuppertal. Ihn unterstützen eigentlich alle Parteien außer Wagners CDU. Auch die SPD und die PDS leisten es sich, in der Landeshauptstadt keinen eigenen Kandidaten zu stellen. Stattdessen sprechen beide sich für Roßberg aus. Er sei dynamischer als Wagner, lautet das meistgehörte Argument für den FDP- Mann, der mit einem eher diffusen Programm die Bedürfnisse von PDS und Liberalen gleichermaßen abdecken will.
Für die Sozialdemokraten und die PDS geht es vor allem darum, der Biedenkopf-CDU in Sachsen eine deutliche Niederlage zuzufügen. Die Kommunalwahlen – der Dresdner Wahlgang ist nur der wichtigste unter vielen am Sonntag – sind ein erster Stimmungstest für die Sachsen-Union nach zwei Monaten mit täglich neuen Krisenmeldungen aus Partei und Staatskanzlei. Biedenkopf hat stets darauf verwiesen, dass die Sachsen unberührt von seinen eingestandenen und vom Rechnungshof massiv gerügten Privilegien fest zu ihm stünden. Umfragen gab es dazu nicht, und am Sonntag wird es sich wohl zeigen, ob sein Vertrauen in die Landeskinder berechtigt ist.
Der Ministerpräsident – einst das kräftigste Zugpferd der Union – war im Kommunalwahlkampf selten zu sehen. Am heutigen Freitagabend will er aber doch zusammen mit Wagner auftreten. Es fällt auf, dass mit seinem Konterfei selbst in Dresden kaum geworben wird. Auf den Wahlplakaten der CDU prangen andere Köpfe – Angela Merkel und Thüringens Regierungschef Bernhard Vogel.
Von Jens Schneider