DNN, 07.11.2000
Gemetzel hüben, Gelassenheit drüben
Die CDU kann in Ruhe zusehen, wie die PDS Nolle demontiert und von Berghofer träumt
DRESDEN: Manchmal ist es sogar über`s Telefon zu hören, wenn sich jemand entspannt zurück lehnt. Das passiert in diesen Tagen, wenn man mit CDU-Politikern spricht. "Gelassene Genugtuung" nennt es etwa Michael Grötsch, der Chef ihrer Stadtratsfraktion: In der ersten Reihe sitzen und erleben können, wie sich in der (politischen) Arena des OB-Vorwahlkampfs die Konkurrenz zerfleischt.
Karl Nolle, dem vermeintlichen Spitzenmann eines linken Bündnisses, auch in der CDU als Unternehmer geschätzt und nun von der PDS als "ungeeignet und chancenlos" hingemetzelt, ist das Schlimmste passiert, was einem Politiker widerfahren kann: Herbert Wagner, CDU-Kandidat und Oberbürgermeister, hat ihn als Gegner völlig ignoriert.
Nolle demonstrierte mit den Jusos am Rathaus, war Anlaufstelle für gefrustete Hauseigentümer in der Äußeren Neustadt, macht mit einer PDS-Landtagskollegin den Schirmherr für die Bürgerinitiative Gesichterkette, holt bei jeder Gelegenheit gegen Wagner aus. Und der? Tut nichts - und damit das Beste, was er machen kann, sagen Parteifreunde. Wagner brauche gar nicht zu glänzen: Wenn er nichts falsch mache, könne er nicht verlieren - zu eingefahren seien die politischen Strukturen.
Nolle und SPD-Chefin Volkmer haben inzwischen ihre Zweifel, ob PDS und Grüne tatsächlich ein Wahlbündnis wollen. In der SPD-Spitze mag man nicht ausschließen, dass die PDS nur zum Schein verhandeln will, eigentlich aber auf Wolfgang Berghofer hofft. Tatsächlich streichen Spitzengenossen immer wieder hervor, dass sie den für einen fähigen Mann halten. Der letzte OB mit SED-Parteibuch, ein verurteilter Wahlfälscher, wieder als Kandidat für die Stadtspitze? CDU-Mann Grötsch mag da trotz der gegenwärtigen "gelassenen Genugtuung" nicht schmunzeln: "Eine unerträgliche Vorstellung."
CDU-Mann Wagner profitiert vom Wahlsystem: Wenn am 10. Juni kein Kandidat mehr als 50 Prozent der Stimmen erhält, gibt es zwar zwei Wochen später einen zweiten Wahlgang, aber keine zwingende Stichwahl der beiden bestplatzierten Kandidaten. Über alle Parteigrenzen hinweg ist man sich weitgehend einig: Wenn auch im zweiten Durchgang, bei dem die einfache Mehrheit reicht, zwei Kandidaten aus dem linken Spektrum auf dem Wahlzettel stehen, hat Wagner gewonnen, bevor auch nur eine Stimme in der Urne ist. Denn im bürgerlichen Lager ist kein anderer Kandidat zu erkennen, der ihm Stimmen nehmen könnte. Nolle hat schon klar gemacht: Für Berghofer werde er nicht zurückziehen.
Von Berghofer mag selbst die PDS nicht sagen, wofür er politisch zehn Jahre nach seinem Parteiaustritt steht. Ein Abendessen mit Ex-Parteichefin Christine Ostrowski soll es gegeben haben, mehr an Gesprächen über Inhalte nicht. Zwei Bröckchen reicht Ostrowski weiter: Eine Privatisierung der Krankenhäuser würde es mit ihm nicht geben, auch die derzeitige Politik in der Jugendhilfe nicht.
Und Berghofer selbst? Scheint sich in der Rolle des Kandidaten in Wartestellung zu gefallen, blieb auch gestern in der Möchte-Kandidatur-nicht-ausschließen-Haltung. "Manches Ding muss reifen", hat er den DNN vor einem Monat gesagt. Erntezeit sieht die PDS bis Jahresende.
(von Stefan Alberti)