DNN, Glosse "Von Woche zu Woche", 30.12.2000
Kommentar zum Jahr 2000 von Dirk Birgel
"Es war auch nicht alles nur gut in der DDR"
Uwe Steimle alias Günter Zieschong würde sagen: „Es war auch nicht alles nur gut in der DDR." Der letzte SED-Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer, zumindest gehört für viele Dresdner, ganz offen bar zu den positiven Erinnerungen an die DDR. Und deshalb ist der Parteilose als Herausforderer des amtierenden OB, Herbert Wagner(CDU), gefragter denn je. Zweifellos war dies das Comeback des Jahres 2000, wenn bislang auch nur ein virtuelles. Falls Berghofer antritt, wird er endlich Farbe bekennen und sagen müssen, wofür er steht. Das weiß nämlich niemand so genau. Auch nicht ExBundesbildungsminister Rainer Ortleb(FDP), der sich für Berghofer einsetzte und so nicht nur in seiner Partei zum politischen Geisterfahrer des Jahres wurde.
Der Schweiger des Jahres läßt das Geschehen um die OB-Wahl scheinbar gelassen kommentarlos an sich vorbeiziehen. Für Herbert Wagner war 2000 kein schlechtes Jahr. Seine innerparteilichen Kritiker verstummten kurzfristig, als es um die Nominierung ging. Sein Widersacher Hans-Jürgen Behr mutierte vom Brüllbären zum Schmuse-Bärchen des Jahres und trat nicht an.
Als Adler gestartet, als Suppenhuhn gelandet. So könnte es auch dem designierten SPD-Herausforderer
Karl Nolle ergehen. In seinem Ringen um Aufmerksamkeit und Popularität avancierte er sogar zur Dreckschleuder des Jahres, als er Ministerpräsident Kurt Biedenkopf in Sippenhaft nahm und dessen Familie Nazinähe unterstellte.
Peinlich wären auch andere Vorstellungen. Die Csárdásfürstin zum Beispiel. Wir wollen jetzt nicht über mit oder ohne Kopf philosophieren. Aber einer schien kopflos zu sein. Intendant Christoph Albrecht Erst segnete er die Konwitschny Fassung ab, dann setzte er sie ab und zum Schluß der Kompromiß: Wir spielen beides. Ganz klar: der Umfaller des Jahres. Da ist MDR Intendant Udo Reiter aus anderem Holz geschnitzt. Zuschauerproteste ließen, ihn kalt. Das Riverboat kam an die Pleiße. Der Ableger des Jahres war gleichzeitig der Anleger des Jahres. Der MDR machte reichlich Geld an der Börse, auch wenn die Sache mit der ecuadorianischen Währungsspekulation schief ging (2,6 Millionen Mark Verlust). Aber davon wußte Reiter angeblich nichts: Verwaltungsdirektor, gefeuert, eigene Haut gerettet. So wird's gemacht.
Beispiele, wie es nicht geht gab es auch zu Hauf. Wir erinnern uns an den Heeresbäckerei-Investor Hans Hartl den Pleitier des Jahres, an das Hundertwasserhaus, das Luftschloß des Jahrhunderts, und in dieser Rubrik dicht gefolgt, von der Staatsoperette mit den Plänen, ins Kraftwerk Mitte zu ziehen. Wir erinnern uns an den Flopp des Jahres, das war die Dresdner Fußball-WM-Bewerbung, und die neue Messe im Ostragehege, die zwar toll aussieht, aber (noch) nicht richtig boomt. Aber immerhin ist Messechefin Beatrice Hanstein Märchentante des Jahres Die trägt sie in einer Szene-Kneipe in der Neustadt vor.
Es gibt aber ebenso viele positive Beispiele. Stellvertretend seien nur die Gläserne VW-Manufaktur und das Bio-Innovationszentrum im Lingnerschloß als Hoffnungsträger des Jahres genannt. Besonders gefreut haben wir uns über das Geschenk: des Jahres, das goldene Kuppelkreuz aus Coventry für die Frauenkirche, ein glänzendes Zeichen für. Versöhnung und lebendige Städtepartnerschaft Und nicht zuletzt sei Nobelpreisträger Günter Blobel erwähnt, der sich über die Frauenkirche hinaus als Mäzen des Jahres verdient gemacht hat. Ein Mann, der Herz und Verstand sprechen läßt wenn es um die Zukunft Dresdens geht. Das zeigte sich auch bei der Kontroverse des Jahres, dem Streit um den Aufbau des Neumarktes. Hier scheint man Bausünden wie den Anbau ans Coselpalais nicht wiederholen zu wollen.
Mit einer Träne im Knopfloch gilt und galt es Abschied zu nehmen von drei Männern, die ebenfalls viel für Dresden geleistet haben: Kulturbürgermeister Jörg Stüdemann ging als Umsteiger des Jahres ins Ruhrgebiet zurück.. Justizminister Steffen Heitmann fühlte sich nicht ganz zu Unrecht als Opfer des Jahres und warf frustriert das Handtuch.. Und Regierungspräsident Helmut Weidelener bekam von Innenminister Klaus Hardraht den Stuhl vor die Tür gesetzt. Der A:.. tritt des Jahres.
Gar nicht traurig sind wir hingegen, dass Dynamo-Präsident Endrik Wilhelm nicht mehr in Amt und Würden und damit Absteiger des Jahres ist. Auch sein Aufsichtsratschef Manfred Müntjes trat zurück, nachdem er Monate lang vergeblich einen neuen Präsidenten' gesucht hatte hat er überhaupt gesucht? Und so, geht der ambitionierte Sozialdemokrat, der trotz zahlreicher Versuche noch nie etwas Zählbares zu Wege gebracht hat, als Nullnummer des Jahres in die Analen ein.
Viel zu schreiben gäbe es auch über den Notar Christoph Hollenders und sein wenig segensreiches Wirken an Dinglingers Weinberg. Aber die Meinung über den Wider-äh-part des Jahres muss ich für mich behalten. Sonst hätte er noch Aussicht, Schmerzensgeldkönig des Jahres zu werden. Also lassen wir es. Schließlich soll so ein Jahreswechsel versöhnlich sein.
In diesem Sinne ein gesundes und erfolgreiches neues Jahr,
Ihr Dirk Birgel (Chefredakteur)
Kommentar: Leider hält sich auch bei Dirk Birgel die schlimme Zeitungsente, ich hätte aus heiterem Himmel Majestätsbeleidigung begangen. (Ist das nicht Journalismus vom Hörensagen, wenn nicht seriös recherchiert wird?)
Wer sich mit meinem Originalinterview-Text vom 24.11.00 befaßt (hier unter Presseartikel "MDR-aktuell am 24.11.00" dokumentiert) und wer weiter die seit Jahren öffentlich in Büchern und Zeitungsartikeln verfügbaren Vorhaltungen* über den fleißigen Vater Dipl. Ing. Wilhelm Biedenkopf und erfolgreichen Schwiegervater Unternehmer Dr. Fritz Ries (hier sind es überwiegend sogar gerichtlich sanktionierte Tatsachenbehauptungen), bereit ist zur Kenntnis zu nehmen, wird die besondere Verpflichtung verstehen, die ich beim Thema Rechtsextremismus und NS-Zwangsarbeiter vom Ministerpräsidenten eingefordere. Von dieser besonderen und andauernden Verpflichtung eines Demokraten muß gesprochen werden, nicht von Sippenhaft von Kindern für die Verfehlungen ihrer Eltern, die ich nie behauptet habe und die ich auch nicht denke.
Unzweifelhaft haben sich meine Sätze als so nicht, und im Zusammengang mit dem im Schwimmbad zu Tode gekommenen 6-jährigen Joseph Kantelberg-Abdulla erst recht nicht, vermittelbar herausgestellt. Obwohl sie sich auf die Entwicklung des Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus in Sachsen im Allgemeinen und auf den Umgang der dafür politisch Zuständigen im Besonderen bezogen.
Es ist eben ein Unterschied ob man ein angstbesetztes Thema (schließlich geht es um eine Ikone) nur kennt oder in der Öffentlichkeit Fragen dazu stellt.
Das habe ich wieder einmal gelernt. Ich kann es auch mit Chaime Herzog sagen:
„Es ist nicht genug, die Gerechtigkeit auf deiner Seite zu haben, es ist entscheidend, stark genug zu sein, um sie zu verteidigen“.
KARL NOLLE, MdL
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* Quellen: Bert Engelmann, "Wie alles begann", Steidl Verlag Göttingen 1994/2000 und vom gleichen Autor, "GROSSES Bundesverdienstkreuz", Steidl 1974/2000, weitere Quelle Berliner Zeitung, 8.11.1999, Seite 5, "Gesundes, gutes Material" Kinder als Zwangsarbeiter für die Buna-Werke, Kurt Biedenkopfs Vater war technischer Leiter, sowie SPIEGEL und Spiegel TV.