Dresdner Morgenpost, 05.01.2001
SPD kneift bei OB-Wahl
Landeschefin Krehl findet: Berghofer bester Kandidat
DRESDEN. Nach dem Rückzieher von Kandidat
Karl Nolle kneift die SPD bei der OB-Wahl. Warum Landeschefin Constanze Krehl Wolfgang Berghofer für geeignet hält. (weiter Seite 4)
Nolles Rückzieher, Nominierungs-Parteitag abgesagt und jetzt auch noch das: Sachsens SPD-Chefin Constanze Krehl (44) hält den verurteilten Wahlfälscher Wolfgang Berghofer für den besten Kandidaten, um Dresdens Oberbürgermeister Herbert Wagner (52, CDU) abzulösen.
„Ich könnte mir vorstellen, dass Berghofer 35 Prozent erreicht“, so SPD-Politikerin Krehl zur Morgenpost. Damit hätte er gute Chancen, in die Stichwahl zu kommen. „Berghofer kennt Dresden sehr gut und ist der Stadt sehr verbunden“, ist Frau Krehl sicher.
Der bislang von der SPD favorisierte OB-Kandidat Karl Nolle (55) macht am Mittwochabend völlig überraschend einen Rückzieher. Grund: Nolle will nach eigenen Angaben einem linken Wahlbündnis nicht länger im Weg stehen. Ein Insider: „Er wurde von seinen Parteifreunden rausgemobbt.“ Immerhin war bei Nolles Rücktritt auch der SPD-Generalsekretär Franz Münterfering (60) anwesend.
Andreas Jahnel (36), Geschäftsführer der bündnisgrünen Ratsfraktion: „Berghofer ist doch nur der bessere CDU-Kandidat. Er treibt ein undurchsichtiges Spiel und sollte jetzt endlich Farbe bekennen, wenn er kandidieren will.“ Doch Berghofer hüllte sich auch gestern in Schweigen.
Stattdessen redete PDS-Stadträtin Christine Ostrowski (55): „Ich kandidiere. Schließlich ist das linke Parteibündnis schon vor Wochen gescheitert. Einen neuen gemeinsamen Kandidaten sehe ich nicht.“
Ob die SPD überhaupt noch einen eigenen OB-Kandidaten aufstellt, ist derzeit eher unwahrscheinlich. Selbst aus der Parteizentrale in Berlin hieß es gestern nur: „Das ist alleine Sache der SPD vor Ort“, sagte Parteisprecher Michael Donnermeier (40).
(Christian Adler)
Kommentar
Die SPD-Landesvorsitzende hat am 4.1.01, ohne sich mit der Dresdner SPD ins Benehmen zu setzen, die Wählbarkeit von Berghofer ins Spiel gebracht.
Eine Meinungsbildung zu Berghofer kann aber in der Dresdenr SPD solange nicht stattfinden, als von ihm keinerlei Aussagen über Inhalte und Politikstil vorliegen und ebenfalls keine Antwort auf eine Kandidatur gegeben wurde. Sollte der Versuch gemacht werden, von wem auch immer, ohne Prüfung, Würdigung und Bewertung aller bekannten und noch abzufordernden Fakten eine Berghoferunterstützung der Dresdner SPD mehrheitlich aufzuzwingen, so ist das die Zerreissprobe der Partei, abgesehen davon dass zahlreiche Mitglieder mit zusammen einigen zehn Jahren Bautzen nach der Wende ihre politische Heimat in der SPD gefunden haben.
Mit den Altlasten von Berghofer wird kein Amtsbote, Referent oder Referatsleiter bei der Stadt oder sonstwo im öffentlichen Dienst eingestellt.
Um nicht mißverstanden zu werden, es geht um die Spitze der Stadt, an die andere Maßstäbe angelegt werden müssen. Berghofer als OB, das wäre ein Schlag ins Gesicht der tausenden Kleinen, die man "hängte" um die Großen laufen zu lassen.
Wäre das nicht gerade das falsche Signal 10 Jahre nach dem Ende der SED-Diktatur? Ich bin gespannt auf die demokratischen Verrenkungen, die uns in den nächsten Monaten noch zugemutet werden und auf die überzeugenden Erklärungen, warum mit Berghofer alles gut werden wird. Einige U-Boote, auch in der SPD, haben ihre Sehrohre zum Auftauchen schon ausgefahren. Da wird es seltsame Koalitionen geben.
KARL NOLLE