DNN, 06.01.2001
PDS-Abgeordnete: "Verzicht auf Kandidatur aus Realismus"
Christine Ostrowski im Interview
Die OB-Wahl am 10. Juni bleibt spannend. Im Interview mit unserem Berlin-Korrespondenten Reinhard Zweigler erklärte die PDS-Politikerin Christine Ostrowski ihren Verzicht auf eine Kandidatur.
Frage: Warum wollen Sie nicht Dresdens Oberbürgermeisterin werden?
Christine Ostrowski: Ich würde es durchaus werden wollen. Das Amt reizt mich. Aber meine Kandidatur hätte nur eine reale Chance, wenn mich SPD und Grüne unterstützen würden. Deshalb bin ich bereit, auf meine Kandidatur zu verzichten.
Ist das nicht Angst vor Berghofer?
Ich bin kein Angsthase! Nicht etwa Furcht vor irgendjemandem, sondern Realismus beeinflusst meine Entscheidung. Wenn nach Umfragen 50 bis 60 Prozent der Dresdner sich einen OB Berghofer vorstellen könnten, dann wäre es töricht, dagegen anzugehen. Die Stadt, aber auch das Land brauchen jetzt das politische Signal, dass die übermächtige CDU geschlagen werden kann. Herr Wagner muss abgewählt werden. Dafür tritt die PDS ein und darin ist sie sich mit SPD und Grünen einig.
Auf einen gemeinsamen Kandidaten Berghofer können Sie sich aber nicht einigen?
Ich bedauere, dass die Gespräche mit den anderen Parteien nicht zu einem Ergebnis kamen. Als die SPD
Karl Nolle designierte, hat sie Fakten geschaffen. Wir haben immer gesagt, mit Nolle hat die Abwahl Wagners keine Chance. Nun ist mit Nolles Rückzug von der Kandidatur eine neue Situation entstanden. Die SPD ist am Zuge, sich zu erklären.
Welches Verhältnis haben Sie zu Berghofer, der nicht Kandidat der PDS sein will?
Auch für die PDS ist Berghofer nicht der Wunschkandidat Nummer 1. Aber wenn er antreten will, wird und kann ihn die PDS nicht daran hindern. Nun wäre wichtig zu wissen, ob aus dem virtuellen Kandidaten überhaupt ein realer Anwärter wird.
Und ob ihn die PDS dann unterstützt?
Unter der Voraussetzung, dass die SPD keinen eigenen neuen OB-Kandidaten aufbietet, sind auch wir bereit einen solchen Schritt zu gehen. Damit ergeben sich neue Möglichkeiten. Berghofer ist eine davon, doch wir liegen nicht vor ihm auf den Knien.
Wenn die PDS ihn nicht unterstützte, wäre das ohnehin wenig glaubhaft?
Das muss die Partei, das müssen letztlich die Wähler entscheiden. Mir jedenfalls ist es sympathisch, dass Berghofer keiner Partei angehört.
Kommentar
Die SPD-Landesvorsitzende hat am 4.1.01, ohne sich mit der Dresdner SPD ins Benehmen zu setzen, die Wählbarkeit von Berghofer ins Spiel gebracht.
Eine Meinungsbildung zu Berghofer kann aber in der Dresdenr SPD solange nicht stattfinden, als von ihm keinerlei Aussagen über Inhalte und Politikstil vorliegen und ebenfalls keine Antwort auf eine Kandidatur gegeben wurde. Sollte der Versuch gemacht werden, von wem auch immer, ohne Prüfung, Würdigung und Bewertung aller bekannten und noch abzufordernden Fakten eine Berghoferunterstützung der Dresdner SPD mehrheitlich aufzuzwingen, so ist das die Zerreissprobe der Partei, abgesehen davon, dass zahlreiche Mitglieder mit zusammen einigen zehn Jahren Bautzen nach der Wende ihre politische Heimat in der SPD gefunden haben.
Mit den Altlasten von Berghofer wird kein Amtsbote, Referent oder Referatsleiter bei der Stadt oder sonstwo im öffentlichen Dienst eingestellt.
Um nicht mißverstanden zu werden, es geht hier um die Spitze der Stadt, an die besondere Maßstäbe angelegt werden müssen. Berghofer als OB, das wäre ein Schlag ins Gesicht der tausenden Kleinen, die man "hängte" um die Großen laufen zu lassen.
Wäre das nicht gerade das falsche Signal 10 Jahre nach dem Ende der SED-Diktatur? Ich bin gespannt auf die demokratischen Verrenkungen, die uns in den nächsten Monaten noch zugemutet werden und auf die überzeugenden Erklärungen, warum mit Berghofer alles gut werden wird. Einige U-Boote, auch in der SPD, haben ihre Sehrohre zum Auftauchen schon ausgefahren. Da wird es seltsame Koalitionen geben.
KARL NOLLE