BILD-Zeitung, 09.01.2001
Wolfgang Berghofer
Darf dieser Mann noch einmal OB werden?
DRESDEN. In einer flammenden Rede setzte er sich auf dem letzten SED-Parteitag Ende 1989 für die Marktwirtschaft ein. Noch sieben Monate zuvor hatte er das Ergebnis der Dresdner Kommunalwahl zu Gunsten der SED um runde fünf Prozent nach oben „korrigiert“.
Wolfgang Berghofer (57 und heute parteilos), bis zur Wende Oberbürgermeister von Dresden. Der weltgewandte, mitreißende Politiker – bürgernah, väterlich, sympathisch. Zugleich aber auch der Partei-Karrierist und Wendehals, der Stasi-Mann und Wahlbetrüger. Darf so einer noch mal Oberbürgermeister werden?
Noch 1999 hatte Berghofer öffentlich kundgetan: „Ich werde nie wider ein politisches Amt annehmen!“ Später sagte er unverholen: „Was schert mich mein Geschwätz von gestern?“ In den nächsten zwei Woche will er sich entscheiden, ob er als parteiloser Kandidat zur Dresdner Oberbürgermeister-Wahl am 10. Juni antritt. Als gemeinsamer Kandidat von SPD und PDS wäre er ein ernstzunehmender Gegner von Amtsinhaber Dr. Herbert Wagner (52, CDU).
Ein cleverer Schachzug der Links-Parteien: Die PDS wollte zunächst ihre Bundestagsabgeordnete Christine Ostrowski (55) aufstellen, ist aber bereit, sie zugunsten eines Kandidaten Berghofer aus dem Rennen zu nehmen. SPD-Kandidat
Karl Nolle (55) warf bereits das Handtuch. Allerdings hält sich die Begeisterung der SPD für Berghofer noch in Grenzen. „Er kann sich noch so oft die Hände waschen und Kreide fressen“, sagt Nolle. „Die Vergangenheit streift er nicht ab.“
Berghofer – eine SED-Karriere: 1964 Eintritt in die Partei, Sekretär der FDJ-Kreisleitung in Bautzen, bald Abteilungsleiter in FDJ-Zentralrat. Bei der Stasi als „IM Falk“ geführt, ab 1981 Mitglied der SED-Bezirksleitung Dresden, 1986 Oberbürgermeister. 1987 führt in die Stasi als „Gesellschaftlichen Mitarbeiter Sicherheit“ (GSM).
1989 zunächst noch einer der Stellvertreter in der SED/PDS-Spitze, dann fürchtete er wohl um seine Zukunft, trat aus. Begründung: Die SED-Nachfolger seien nicht reformierbar. Fortan arbeitete er als Generalbevollmächtigter der Stuttgarter Häussler Bürosysteme GmbH – Kundenkreis geheim.
1990 Ermittlungen wegen Wahlfälschung und Anstiftung zum Wahlbetrug. Berghofer soll im Mai 1989 das Ergebnis der Dresdner Kommunalwahl um rund fünf Prozentpunkte auf das in Ost-Berlin erwartete Ergebnis von rund 98 Prozent aufgerundet haben.
1992 verurteilt ihn das Dresdner Bezirksgericht zu einem Jahr Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe von 36 000 Mark. Berghofer geht in Revision, aber der Bundesgerichtshof bestätigt das Urteil. Aber Berghofer gibt nicht auf. Er reicht Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein – und wird entgültig abgeschmettert.
In Dresden nannten sie ihn früher Bergatschow. In Anlehnung an den Reformer Gorbatschow. Dresdens Bürger glaubten ihm den Willen zur Veränderung.
Er selbst sagt, dass er seit einem Westbesuch 1986 erkannt habe, dass die DDR ein Fehler wäre. Aber kann ein SED-Juwel wie Berghofer sich so rein waschen, dass er die 470 000-Einwohner-Stadt Dresden regiert, ohne ihr Ansehen zu beschädigen? Berghofer denkst darüber noch nach: „Sollte ich persönlich zu dem Ergebnis gelangen, dass meine Kandidatur zum Wohle Dresdens uns seiner Bürger geschieht, dann werde ich dies rechtzeitig und eindeutig zur Kenntnis bringen.“
Die Dresdner sind gespalten: Auf der einen Seite Berghofers Vergangenheit. Auf der anderen Seite seine Polit-Erfahrung und die Untätigkeit des jetzigen OB. Viele denken so wie BILD-Leser Günter Lungwitz: „Die Ablösung von Dr. Wagner ist dringend erforderlich. Mir kommt er wie eine Marionette der CDU vor. Ob es nun gerade der Herr Berghofer sein muss... Nur: Wenn kein anderer sich bewirbt?"
(Hendrik Broxtermann)