Karl Nolle, MdL

Spiegel 3/2001, 15.01.2001

Berghofer: "Das wäre eine Zäsur im Nachwende-Deutschland"

Signal aus Sachsen. Ein Modell auch für Berlin?
 
Dresdens früherer SED-Bürgermeister Wolfgang Berghofer steht vor einem Comeback - als Kandidat von SPD und PDS für die OB-Wahl in der Elbestadt. Ein Modell auch für Berlin?
Das Ambiente war passend gewählt. Kurz vor Weihnachten lud der Dresdner Notar Peter Horn de la Fontaine seine Rotarier-Freunde in seine Stadtvilla am Großen Garten zur Soiree.
Die Attraktion des Abends war Wolfgang Berghofer, letzter SED- Bürgermeister der sächsischen Metropole.
Berghofer,57, als Wirtschaftsberater inzwischen mit den Gepflogenheiten der bürgerlichen Gesellschaft gut vertraut, wollte aus einem bislang unveröffentlichten Buchmanuskript über Dresdner Wendetage vortragen. Doch die Anwesenden, darunter der frühere SPD-Landeschef Karl-Heinz Kunckel, waren an der Lektüre nicht sonderlich interessiert. Sie wollten von dem Stargast nur eines wissen: ob er wieder Dresdner Oberbürgermeister werden wolle.
Der Gefragte erging sich wie schon so oft in den vergangenen Wochen in Andeutungen: Spannend sei diese Frage schon, nachdenken würde er darüber auch, womöglich wäre es gut für die Stadt. Konkretes indes hörte der erlauchte Kreis nicht.
Der Mann ziert sich bis heute. „Ich habe mich noch nicht entschieden", sagt er jedem, der ihn fragt.
Kein Wunder - die Erinnerung an seinen ersten Comeback-Versuch hat den ehemaligen Einheitssozialisten vorsichtig gemacht. 1990 hatte Berghofer bei der SPD angeklopft, ihr als Mitgift eine ganze Schar von SED-Mitgliedern zur freundlichen Übernahme angeboten. Doch obwohl er zum friedlichen Übergang beigetragen hatte, als DDR-Miniaturausgabe von UdSSR Reformer Michail Gorbatschow galt und „Bergatschow" genannt wurde, wiesen ihn die Sozialdemokraten damals ab. Sie fürchteten um ihr Ansehen beim Wähler - und die Unterwanderung durch die SED-Genossen.
Zehn Jahre später kann er es sich leisten abzuwarten. Die SPD-Ost ist keine Volkspartei geworden, populäre Persönlichkeiten sind Mangelware. „Berghofer", meint ein ostdeutsches SPD-Präsidiumsmitglied, „hätten wir längst in die SPD holen müssen. Das ist jetzt die letzte Chance."
Wie elektrisiert sind führende Sozialdemokraten vom Generalsekretär Franz Müntefering bis zu Parteivize Wolfgang Thierse von der Idee, mit Berghofer der CDU die sächsische Landeshauptstadt abzunehmen.
Bei der letzten Oberbürgermeister-Wahl 1994 hatte die Union 55%, die PDS 29% und die SPD 15% erhalten. Nach Umfragen könnte Berghofer - für den Dresden „eine Weltanschauung" ist diesmal Stimmen von SPD- und PDS-Anhängern
binden und sogar der CDU Stammwähler abspenstig machen. Ein Sieg im ersten Wahlgang scheint möglich.
General Müntefering, der die Personalie Berghofer sogar mit PDS-
Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch besprach, hat die Marschrichtung persönlich vorgegeben: Seinen Dresdnern Genossen riet er Anfang Januar, sich mit anderen Oppositionsparteien auf einen „gemeinsamen Kandidaten" für die OB-Wahl im Juni zu einigen. Als Partner dafür kommt nur die PDS in Frage. Der bereits nominierte, aber gegen Amtsinhaber Herbert Wagner (CDU) chancenlose SPD-Mann Karl Nolle hatte seine Bewerbung bereits zuvor zurückgezogen.
Selbst die Gegner der Zusammenarbeit mit der PDS unter den Sozialdemokraten hätten nichts gegen das neue Experiment. Der frühere DDR-Außenminister und jetzige Bundestagsabgeordnete Markus Meckel kann mit Berghofer gut leben: „Er ist definitiv kein PDS-Mann."
Andere Sozialdemokraten bringen das Dresdner Modell gar schon für die Hauptstadt ins Spiel. „Prinzipiell überall", meint die aus Thüringen stammende Vize-Vorsitzende der Bundestagsfraktion Iris Gleicke, halte sie solche Bündnisse für möglich „auch in einer Metropole wie Berlin".
Dort könnte womöglich PDS-Idol Gregor Gysi zum Herausforderer von Amtsinhaber Eberhard Diepgen (CDU) werden. In Ost und West-Berlin, ja selbst unter SPD-Anhängern würde Gysi einer Umfrage zufolge im direkten Vergleich deutlich mehr punkten als der derzeitige SPD-Landeschef Peter Strieder. Berlins PDS-Landeschefin Petra Pau gefällt die Perspektive: „Dresden könnte Schule machen."
Wolfgang Berghofer mag solche Planspiele nicht hören. Parteimitglied war ich schon viel zu lange", wehrt er die Avancen des Willy-Brandt-Hauses ab, in dem einige schon von einer „Blutzufuhr" für die alte Tante SPD schwärmen. „Auf Parteispielchen lasse ich mich nicht mehr ein."
Berghofer glaubt aus ganz anderen Gründen, dass seine Kandidatur „von nationaler Bedeutung" sein könnte: „Das wäre eine Zäsur im Nachwende-Deutschland." Für ihn wäre es zudem eine ganz persönliche Rehabilitierung. Noch vor einigen Jahren rückten Bürgerrechtler, Sozial- und Christdemokraten zusammen, als es in der brandenburgischen Landeshauptstadt Potsdam darum ging, dem von der PDS aufgestellten OB-Kandidaten Rolf Kutzmutz, einem früheren inoffiziellen Mitarbeiter der Stasi, den Chefposten im Rathaus zu versperren.
In Dresden läuft nun alles auf das genaue Gegenteil hinaus: Trotz Berghofers Funktionärskarriere, trotz seiner Stasi Akte, trotz seiner Verurteilung als Wahlfälscher wollen ihn nun Sozialdemokraten, PDS-Genossen und „viele Tausende Bürger", wie er selbst glaubt, ins Rathaus hieven. Und warum soll nicht auch -zehn Jahre nach dem Untergang der DDR - ein geläuterter SED-Funktionär Oberbürgermeister werden, wenn ein einstiger Steinewerfer und Polizistenhasser Deutschland als Außenminister repräsentieren darf?
Sowie sich Joschka Fischer von seiner Vergangenheit als Straßenkämpfer lossagte, hat Berghofer die SED-Ideologie hinter sich gelassen. „Das Grundgesetz", bekennt er, „ist um vieles besser als alles, was wir in der DDR an Gesetzen hatten."
Auch sonst ist er Bundesbürger geworden: Selbstbewusst spricht er über seine Karriere in der Marktwirtschaft und lästert über den „Revolutionsadel", über Bürgerrechtler wie Arnold Vaatz (CDU) oder Wagner, die für sich die politische Führung reklamieren. PR in eigener Sache hat er, der über sich gern in der dritten Person spricht, ebenfalls gelernt. Ganz unbescheiden denkt er laut über seinen Wahlkampfslogan nach: „,Kompetenz für Dresden` wäre doch was."
Zum Beweis präsentiert er das Referenzschreiben der brandenburgischen Kleinstadt Elsterwerda, die er vor dem sicheren Ruin bewahrt haben will. Berghofer ist „Beauftragter der Geschäftsführung" der Kommunal Investition Treuhand und Beratung GmbH. Das Unternehmen der Ergo-Gruppe berät verschuldete Kommunen, entwickelt Sanierungskonzepte und organisiert Kapital - „zu günstigen Konditionen", sagt er.
Der Marktwirtschaftler des zweiten Bildungswegs mit Büro in Berlin hat sich daran gewöhnt, mit Millionen zu jonglieren. Neben seinem Consultant-Job hält er diverse Beteiligungen an ostdeutschen Start-ups und fungierte als Türöffner für westdeutsche Firmen in Russland. „Vom OB-Gehalt", verkündet er stolz, „könnte ich nicht einmal meine Büro-Miete, bezahlen." Das Grundgehalt des Dresdner Oberbürgermeisters beträgt 13.700 Mark brutto.
Um den Posten im Rathaus will sich Berghofer aber nur bewerben, wenn ihn „ein formloses Personenbündnis" parteiübergreifend auf den Schild hebt. Der einstige Parteisoldat träumt davon, eine Art Bürgerpräsident zu werden. Die Pro-Berghofer-Initiative, zu deren Gunsten SPD und PDS auf eigene Kandidaten verzichten wollen, werden wahrscheinlich bundesweit bekannte Politpromis wie Jenoptik-Chef Lothar Späth (CDU) und Hamburgs früherer Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) unterstützen - mit Ehrenerklärungen für den geläuterten Genossen.
Auch Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU), nicht gerade der engste Freund des Dresdner Amtsinhabers Wagner, stimmt in seinen Ende des vergangenen Jahres veröffentlichten Wende-Erinnerungen „Ein deutsches Tagebuch" Elogen auf seinen Duzfreund Berghofer an. Der habe ihm, Biedenkopf, geholfen, die „Lage und Vergangenheit" der Ostdeutschen zu begreifen.
Die Rehabilitierung eines ehemaligen SED Funktionärs ist es auch, die manche in der PDS an dem Experiment reizt. Ihr Kalkül: Ist Berghofer erst einmal Regent von Dresden, könnten auch andere Diener des Regimes auf PDS-Ticket in politische Spitzenämter gelangen.
Dennoch verfolgen Strategen wie Dietmar Bartsch die rot-rote Annäherung in diesem Fall mit Skepsis. Sie beschleicht der Verdacht, die SPD könnte der PDS hier ein Schnippchen schlagen. Denn schließlich würde die PDS, die in Sachsen immerhin rund 23000 Mitglieder hat, der Bonsai-SPD (5000 Mitglieder) zu einem
Triumph verhelfen.
In seinem Berliner Büro, im Hinterhof des Bezirksamts von Friedrichshain, brütet Berghofer derweil über den Wirtschaftsdaten Dresdens. Ein Wirtschaftsgutachten zur Lage der Stadt ist bereits in Arbeit. Denn wenn er sich zur Kandidatur bereit erklärt, will er auskunftsfähig sein und Leitlinien für „eine der bedeutendsten Städte Europas" verkünden.
Still genießt er die Berichte über seine mögliche Kandidatur - und lässt Interviewanfragen en gros abweisen. Vorige Woche entzog er sich dem Trubel und flog nach Washington. In den USA sucht er nach
Käufern für seine diversen Unternehmensbeteiligungen. Die will er
abstoßen, bevor er in den Wahlkampf zieht.
(von STEFAN BERG, ANDREAS WASSERMANN)


BERGHOFERS DRESDNER STATIONEN

• Der Funktionär
Wolfgang Berghofer wurde 1986 SED-Oberbürgermeister Dresdens. Er diente auch der Stasi und war an Wahlfälschungen beteiligt.

• Der Reformer
Im Herbst 1989 nahm er als einer der ersten Funktionäre den Dialog mit der Opposition auf und wurde zum Hoffnungsträger der SED.

• Der Marktwirtschaftler
1990 verließ Berghofer die SED/PDS und zog sich aus der Politik zurück. Seitdem arbeitet er als Berater verschiedener Unternehmen.

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