LVZ, 06.01.2001
Kandidatenkarussell bei Dresdner OB-Wahl
Berghofer ante portas
DRESDEN. Vorgestern der SPD-Mann
Karl Nolle, gestern die PDS-Bundestagsabgeordnete Christine Ostrowski - in Dresden ist das Kandidatensterben ausgebrochen. Was Nolle und Ostrowski eint, ist die Einsicht, bei der Oberbürgermeisterwahl im Juni keine Chance gegen den Amtsinhaber Herbert Wagner (CDU) zu haben.
Spätestens seit gestern ist damit klar: Berghofer ante portas! Der letzte SED-Oberbürgermeister der Elbestadt gilt bei den Oppositionsparteien als der einzige, der Herbert Wagner vom Thron stoßen kann. Dafür spricht leider einiges. Berghofer steht für Tatkraft, Durchsetzungsvermögen und (aus Dresdner Sicht) weltmännisches Format - Attribute, die viele Dresdner beim soliden Herbert Wagner vermissen. Berghofers Vergangenheit scheint viele kalt zu lassen. Seine Wahlfälschung nimmt kaum jemand ernst, weil die Wahlen damals niemand ernst nahm.
Dennoch wäre eine Kandidatur Berghofers ein Treppenwitz. Ein Mann aus dem Dunstkreis Egon Krenz', auserkoren für eine Spitzenfunktion in der Nach-Honecker-Ära, zwar kein orthodoxer, aber ein überzeugter, linientreuer Kommunist, schickt sich an, sein Amt im demokratischen Gewand zurückzuerobern. Der Mann, der im Oktober 1989 Verhandlungsgegner der friedlichen Demonstranten war. Scheinbar alles vergessen.
Noch bleibt abzuwarten, wie Berghofer sich tatsächlich entscheidet. Aber es ist schon grotesk, wie die linken Parteien in Dresden auf einen Mann setzen, von dem sie lediglich wissen, woher er kommt. Wo und wofür er heute politisch steht, weiß niemand. Allein dass er populär genug scheint, eine Wahl zu gewinnen, reicht PDS und Teilen der SPD offenbar aus. Und die Spitzengenossen im Bund schauen unbeteiligt zu. Ein politischer Offenbarungseid.
(Dirk Birgel)