Karl Nolle, MdL

FREITAG, Ost West Wochenzeitung, 19.01.2001

Eine Diva namens Bergatschow

Mit Berghofer würde nur ein weiteres " Wahrzeichen der Stadt" wieder aufgebaut werden
 
DRESDEN. Gefallene "Helden" genießen in der Elbstadt besondere Gunst. Darunter Wolfgang Berghofer. Doch er ziert sich, seine Kandidatur zum Oberbürgermeister zu erklären.

In ihrer Stadt des Wiederaufbaus haben die Dresdner zu gestürzten Wahrzeichen seit jeher ein ganz besonderes Verhältnis. Kaum ein zerstörtes Gebäude, das nicht wieder aufgebaut wird, kaum eine Straße, die nicht ihr historisches Bild zurückerhalten soll. Doch nicht nur Frauenkirche, Zwinger oder Semperoper stehen in dieser Gunst - auch gefallene Persönlichkeiten können in der Elbstadt auf Wiederauferstehung hoffen, etwa jemand wie Wolfgang Berghofer. Der war von 1986 bis 1989 SED-Oberbürgermeister und darf sich gute Chancen ausrechnen, das Amt auch ab Juni diesen Jahres wieder zu bekleiden.

Allein die Spekulationen um eine Kandidatur des 57-Jährigen in den vergangenen Wochen hat ausgereicht, die politische Landschaft der Stadt gehörig durcheinander zu wirbeln. In allen Umfragen erreichte Berghofer zwischen 25 und 34 Prozent - mal knapp hinter Amtsinhaber Herbert Wagner (CDU), mal knapp vor ihm. Und das, obwohl Berghofer bisher eine Kandidatur noch gar nicht offiziell bekannt gegeben hat. "Sollte ich persönlich zu dem Ergebnis gelangen, dass meine Kandidatur zum Wohle Dresdens und seiner Bürger geschieht, dann werde ich dies rechtzeitig und eindeutig zur Kenntnis bringen." Und auch auf ein Partei-Ticket scheint der Mann verzichten zu können: "Da ich meine politische Unabhängigkeit bewahren möchte, werde ich meine Entscheidung unabhängig von jedwedem taktischen Kalkül Dritter treffen."

Doch wer ist Wolfgang Berghofer? Das wissen in Dresden nur wenige. Und das, was die Leute über Berghofer wissen, ist kaum schmeichelhaft und spielt vor der Wende. Mit dem Eintritt in die SED begann für den Ex-OB 1964 eine steile Partei-Karriere. Erst Sekretär der FDJ-Kreisleitung Bautzen, dann Abteilungsleiter des FDJ-Zentralrates, wurde Berghofer 1981 Mitglied der SED-Bezirksleitung Dresden und fünf Jahre später Oberbürgermeister von Dresden. Er gilt bald als Reformer in der SED. In Anlehnung an den sowjetischen Präsidenten Gorbatschow nennen die Dresdner ihn Bergatschow. "Aber ich war kein Held", betont er selbst. Nach der Wende folgt dann schnell der zumindest politische Absturz. Berghofer wird vorgehalten, bei der Dresdner Kommunalwahl im Mai 1989 das Ergebnis für die SED auf Wunsch aus Ost-Berlin um fünf Prozent auf 98 Prozent nach oben korrigiert zu haben. Viele Dresdner sind von ihrem Bergatschow schwer enttäuscht. Schon bei den Demonstrationen im November 1989 sind die "Wahlfälscher raus!"-Sprechchöre zu hören.

Noch 1989 muss Berghofer sein Amt an Herbert Wagner abtreten. Er verlässt im Februar 1990 überraschend die SED/PDS, bei der er immerhin das Amt des stellvertretenden Parteivorsitzenden inne hatte. In einem gerichtlichen Nachspiel wird er 1992 wegen Wahlfälschung zu einem Jahr auf Bewährung und 36.000 Mark Geldstrafe verurteilt. Berghofer kämpfte in allen Instanzen gegen dieses Urteil. Vergebens. Letztendlich fand er auch beim Bundesverfassungsgericht kein Gehör. Der Prozess war Berghofers letzter großer Auftritt in Dresden, danach verschwindet er im politischen Leben Dresdens von der Bildfläche.

Trotz seiner DDR-Vergangenheit schafft Berghofer aber das, was ihm heute viele Dresdner hoch anrechnen: den Sprung in die Marktwirtschaft. Er arbeitet seit zehn Jahren erfolgreich als Unternehmensberater. Erst mit Partnern, dann mit seiner eigenen Gesellschaft in Berlin. "Ich berate vor allem Kommunen", sagt Berghofer. Auch Dresden hat er in dieser Funktion schon geholfen. Bei der Ansiedlung der Gläsernen Manufaktur von VW im Herzen der Stadt ließ Berghofer seine guten Kontakte zu VW-Chef Ferdinand Piëch spielen. Mehr weiß man nicht über seine Arbeit nach der Wende, mehr erzählt er auch nicht.

Und trotz seiner Geschichte, vielleicht sogar wegen ihr, könnte Berghofer sich die Bürgermeisterkette bald wieder umhängen. Denn was sich zur Zeit innerhalb der Dresdner Parteien abspielt, wirkt geradezu wie der aufgeregte Prolog für die Rückkehr des ehemaligen OB auf das Parkett des Rathaussaals - allen fehlt ein zündender Kandidat.

In der CDU ist vielen Amtsinhaber Herbert Wagner zu blass, für die Landeshauptstadt nicht repräsentativ und nach zwei Amtsperioden wohl auch etwas zu verbraucht. Doch trotz aller internen Kritik stellten die Christdemokraten den unscheinbaren Wagner schon im Juni vergangenen Jahres mit großer Mehrheit zur Wiederwahl auf. Bei SPD, PDS und Grünen wird zwar verzweifelt nach einer passenden Lichtgestalt gesucht, doch bisher ohne Glück. Jetzt werden die Stimmen immer lauter, die Berghofer unterstützen würden. Allein um des Erfolges willen.

Doch der Kandidat Berghofer bringt das linke Lager in ein scheinbar unlösbares Dilemma. Die Spitze der Dresdner Sozialdemokraten lehnt ihn ab - bisher zumindest. "Berghofer ist für uns keine Alternative", betont die SPD-Unterbezirksvorsitzende Marlies Volkmer immer wieder. "Niemand weiß, wofür Berghofer eigentlich steht und welche politischen Ziele er verfolgt." Volkmer ist sich sicher, dass die Basis der Partei dies genauso sieht. Aber eigene Alternativen hat sie nicht. Auch der Dresdner SPD fehlen populäre und herausragende Persönlichkeiten. Der bisherige Wunschkandidat der SPD-Stadtspitze, der Landtagsabgeordnete Karl Nolle, machte in der ersten Januarwoche einen Rückzieher. Dabei hatte sich der schwergewichtige Druckhaus-Besitzer und Duz-Freund von Kanzler Gerhard Schröder - beide hatten 1973 in Hannover eine gemeinsame Firma - viel vorgenommen. Seine oft herbe und wenig feinfühlige Art aber sorgte bei den Genossen immer wieder für Kopfschütteln. Als Nolle dann auch noch im Zusammenhang mit Sebnitz und dem "Fall Joseph" Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) eine nationalsozialistische Familientradition vorwarf, rückten auch enge Parteifreunde von ihm ab. Siegchancen hatten dem Wessi mit der amerikanischen Art, Wahlkampf zu machen, ohnehin nur die wenigsten in der SPD zugetraut.

Die Dresdner Sozialdemokraten sind angeschlagen. Gerade mal 13 Prozent konnten sie bei der Kommunalwahl 1999 verbuchen. Verlieren sie auch bei der OB-Wahl so deutlich, droht für die nächsten Jahre die Versenkung. Dabei sind die Großstädte die einzigen Hochburgen der SPD in Sachsen. Sie stellt die Oberbürgermeister von Chemnitz und Leipzig. Ausgerechnet in der prestigeträchtigen Landeshauptstadt sind die Sozialdemokraten seit elf Jahren abgemeldet. Doch für die 2004 anstehenden Landtagswahlen wäre ein Erfolg in Dresden von unschätzbarem Wert, zumal die CDU ohne Biedenkopf als Kandidat vor einer ungewissen Zukunft in Sachsen steht. Das weiß auch die Landesvorsitzende Constanze Krehl. "Wir müssen über einen Kandidaten Berghofer nachdenken", sagte sie nach Nolles Absage und löste damit in der Dresdner SPD der Entrüstung aus.

"Dieses Bekenntnis kam zur Unzeit", ärgert sich der Vorsitzende des Stadtausschusses, René Vitz. Vor allem von vielen Bürgerrechtlern und Kritikern des DDR-Regimes innerhalb der Partei wird heftiger Widerstand gegen einen Kandidaten Berghofer erwartet. Auch befürchten die Sozialdemokraten, die sich ohnehin schwer tun, ein eigenes Profil zu entwickeln, endgültig neben der PDS zu verblassen. Schon deshalb scheint der ehemalige SED-Politiker für die Basis nicht vermittelbar.

Auch die PDS ist in Sachen Berghofer gespalten. Die Parteispitze würde ihn zwar ohne Zögern aufstellen, offiziell hält man sich aber noch zurück. Um den Schein zu wahren, wird immer wieder vom parteiübergreifenden Bündnis mit der SPD und den Grünen geredet. Doch alle Gespräche scheiterten bisher. Alleingänge der SPD, wie die Nominierung Karl Nolles, verärgerten PDS und Grüne, die Sozialdemokraten dagegen fühlten sich durch die offene Haltung der PDS gegenüber Berghofer brüskiert. Kandidaten für das Dreier-Bündnis waren bisher in Dresden ohnehin nicht zu finden.

Wie in der SPD droht auch der PDS-Parteispitze das Ungemach von der Basis. Dass Berghofer 1990 die SED/PDS verlassen hat, nehmen ihm vor allem die älteren Parteigänger immer noch übel. "Mit Berghofer könnten wir nach zehn Jahren Wagner endlich wieder etwas bewegen", kommt die PDS-Bundestagsabgeordnete Christine Ostrowski trotz allem ins Schwärmen. Nach elf Jahren in der Opposition will die Partei endlich mehr Einfluss. Im sächsischen Landtag und im Dresdner Stadtrat spielt die Partei inzwischen die zweite Geige hinter der CDU. Die Genossen möchten endlich die sächsische Politik mitgestalten, vor allem der immer stärker werdende Partei-Nachwuchs ist die Oppositionsrolle leid. "Wann, wenn nicht jetzt?" fragt Ostrowski denn auch. Dass Berghofer sich bisher nicht zu seinen Zielen geäußert hat, stört die PDS nicht. "Ein OB-Kandidat braucht kein Programm", sagt der Dresdner Landtagsabgeordnete Ronald Weckesser pragmatisch. Die Parteispitze nimmt dabei auch in Kauf, dass Berghofer sich auf keinen Fall von der PDS nominieren lassen will. Mehr als eine Unterstützerrolle bleibt der PDS am Ende nicht übrig.

Unterstützer hat Berghofer in der Stadt ohnehin schon viele - zumindest nach seinen eigenen Aussagen. Erstmals schaltete die Initiative "Pro Berghofer" am vergangenen Wochenende Anzeigen in Dresdner Lokalzeitungen. "Ich will Berghofer als Oberbürgermeister! Sie auch?" Wer hinter der Aktion steht, wird dem Leser allerdings nicht verraten. Angeblich sollen hier so prominente Namen zu finden sein, wie Jenoptik-Chef Lothar Späth (CDU) und Hamburgs ehemaliger Bürgermeister Henning Voscherau (SPD), beide pikanterweise noch im Sommer Wunschkandidaten der Dresdner Parteien für den OB-Posten. Überraschen würde eine solche Verbindung nicht. Berghofer und Voscherau haben gemeinsam an der Städtepartnerschaft zwischen den Elbstädten gearbeitet und sind miteinander befreundet. Ähnliches gilt für Späth, zu seiner Regierungszeit als Ministerpräsident in Stuttgart hatte Baden-Württemberg eine Partnerschaft mit dem Bezirk Dresden. Nur einer hat sich ganz offen als Verfechter von Wolfgang Berghofers Kandidatur zu erkennen gegeben - und sich damit viel Ärger eingehandelt. Der ehemalige FDP-Bildungsminister Rainer Ortleb, heute Vorsitzender des Ortsverbandes Dresden-Mitte, verkündete lautstark: "Ich will ihn nach Dresden holen". Seine Partei, Koalitionspartner der CDU im Dresdner Stadtrat, drohte ihm für diese Aussagen mit Parteiausschluss.

Was jetzt nur noch fehlt, ist ein klares Bekenntnis von Berghofer. Bisher geistert er nur als "virtueller Kandidat" durch Öffentlichkeit und Medien. "Die zickige Diva" wird er deshalb schon von der PDS genannt. Doch jeder Versuch, Berghofer aus der Reserve zu locken, scheiterte bisher. Darf man den Gerüchten glauben, will er sich Anfang Februar offen zu seiner Kandidatur bekennen. Dass er zur Bürgermeisterwahl antritt, daran zweifelt eigentlich niemand mehr. Einen Wahlkampfberater hat er schon. Aber auch über Ronald Poser ist, bis auf eine kurze Beratertätigkeit beim Fußballverein VfB Leipzig, bisher wenig bekannt.

Es ist wahrscheinlich egal, wann sich Berghofer äußert und wie heftig sich die Parteien um und über ihn streiten. Viele Dresdner sehen in ihm einen Hoffnungsträger. Mit Berghofer würde nur ein weiteres Wahrzeichen der Stadt wieder aufgebaut werden - egal ob Wahlfälscher oder Wendehals. Ein anderes gestürztes Wahrzeichen durfte erst im Dezember erleben, wie begabt die Dresdner im Wiederaufbau sind. Vor der Baustelle der Frauenkirche jubelten 14.000 Menschen begeistert Helmut Kohl zu.
(Kai Schulz)

Karl Nolle im Webseitentest
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