Dokumentation, 21.02.2012
„Sächsische Demokratie“ oder wie der Rechtsstaat in Politik, Polizei und Justiz in Sachsen am 19. Februar 2011 aus dem Ruder gelaufen ist
Beschlüsse des Amtsgerichtes Dresden vom 25.02.2011 zu einer nichtindividualisierten Massen-Funkzellenabfrage von über 1 Million Handydaten durch das Landeskriminalamt für den 18. und 19. Februar 2011 unter einem konstruierten Vorwand.
Vorbemerkung Karl Nolle, MdL:
Über Wortlaut und Begründung der richterlichen Anordnungen zur Massen-Funkzellenabfragen am 19.02.2011 gab es bisher nur Vermutungen und Spekulationen. Der nun bekannte Wortlaut wirft ein bezeichnendes Licht auf die "Sächsische Demokratie."
Auf Basis der im Folgenden dokumentierten Beschlüsse des Amtsgerichtes Dresden vom 25.02.2011, die nach Punkt und Komma (ohne jegliche Änderung, Einschränkung oder Erweiterung) den auf dem Briefbogen des Amtsgerichtes Dresden vorformulierten Anträgen der Staatsanwaltschaft Dresden folgen, die sie kurz nach dem 19.02.2011 stellten. Auf der Grundlage dieser richterlichen Anordnungen zur Erhebung von Verkehrsdaten auf Basis des § 100g Abs. 1 StPO, wurden durch das Landeskriminalamt Sachsen nichtindividualisierte Massen-Funkzellenabfragen für den 18.02.2011 und den 19.02.2011 durchgeführt sondern,wie jetzt bekannt wurde, zusätzlich 152 stille SMS gesimst..
Nicht nur Funkzellenabfragen sondern auch 152 "Stille SMS" versandt!
Gegenüber dem Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuß des sächsischen Landtages. hat Justizminister Dr. Jürgen Martens am 31.12.2012 schriftlich mitgeteilt,
"dass in dem durch die Staatsanwaltschaft Dresden wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung geführten Ermittlungsverfahren im Rahmen der Telefonüberwachung am 19. Februar 2011 152 "Stille SMS" versandt worden sind." (Im Unterschied zur massenhaften Funkzellen Abfrage werden hierbei keine Verkehrsdaten der eingewählten Geräte im nachherein gesammelt sondern in Echtzeit und gezielt Einzelhandys durch Ortungsimpulse (Stille SMS) angesimst, Dadurch werden Kommunikationsvorgänge simuliert, die dem Handy Nutzer/Inhaber verborgen bleiben. Aus mehreren dieser Ortungsimpulse können die Bewegung der Zielgeräte bzw. der Zielpersonen unmittelbar ermittelt werden.)
Die Frage der Verhältnismäßigkeit im Umgang mit geschützten Daten und der für die Massen-Funkzellenabfrage am 19.2.11 konstruierte Vorwand der Ermittlungen zu einer vermeintlichen Straftat aus August 2010.
• Das Ergebis der Funkzellenabfrage waren ca. 900.000 ausgeforschte Handy-Datensätze, ca. 260.000 Rufnummern und ca. 55.000 ermittelte Adressdaten (Name, Vorname, Geburtsdatum, Wohnanschrift), die von den verschiedenen Telefondiensteanbietern erhoben, an das LKA Sachsen zur Speicherung in das „ermittlungsuntersetzende Fallanalysesystem" (eFAS) weitergeleitet wurden, das dazu dient, große Datenmenge zu bearbeiten und länderübergreifend dem polizeilichen Informationsaustausch zur Verfügung zu stehen. eFAS ist zur Rasterfahndung einsetzbar.
• Die am 18. und 19. Februar 2011 erhobenen Daten wurden bis heute nicht gelöscht. Die über 55.000 betroffenen Handynutzer wurden durch die Staatsanwaltschaft Dresden seit 12 Monaten nicht über angeordnete und durchgeführte Maßnahmen benachrichtigt.
• Das von den Anordnungen des Amtsgerichts Dresden z.B. Aktenzeichen: 270 GS 711/11 zur Funkzellenabfrage betroffene räumlich begrenzte, innerstädtische Gebiet ist dicht besiedelt und betrifft eine Fläche von mehreren Quadratkilometern mit Hochhäusern und Mehrfamilienhäusern. Zum Zeitpunkt des Beschlusses am 25.2.11 war voll umfänglich bekannt, daß von der Maßnahme tausende Bürger in Wohnungen, Büros,Geschäften und an ihren Arbeitsplätzen sowie tausende Demonstranten und eine große Zahl Berufsgeheimnisträgern betroffen waren.
• Einen Hinweis des Amtsgerichts zur Ausspähung und Verwertung sensibler und geschützter Daten von Rechtsanwälten, Notaren, Ärzten, Pfarrern, Journalisten sowie Abgeordneten des Bundestages und mehrerer Landtage ist der Anordnung des Amtsgerichtes zur Funkzellenabfrage von 1 Million Handy-Daten nicht zu entnehmen, obwohl zum Zeitpunkt des Beschlusses am 25.2.11 voll umfänglich und öffentlich bekannt war, daß eine große Zahl Abgeordnete, Journalisten und Pfarrer an den Demonstrationen teilgenommen haben.
• Eine gerichtliche Anordnung zur Reduzierung der erhobenen Telekommunikationsdaten im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsbetrachtung sowie Anordnungen zur Speicherdauer der erhobenen Daten lag nicht vor.
• Eine zeitliche Begrenzung bzw. Einschränkung, der für 12 und sogar 48 Stunden angeordneten Funkzellenüberwachung hat das Gericht nicht angeordnet.
• Als Begründung zur gerichtlich angeordneten Massen-Funkzellenabfrage durch das LKA dienen keine am18.2.11 bzw. 19.2.11 während der Antinazidemonstrationen begangenen, etwaigen und dem Amtsgericht gegenüber genauer konkret bezeichneten Straftaten "von erheblicher Bedeutung", sondern ausschließlich ein zu dem Zeitpunkt bereits mehrere Monate bestehendes Ermittlungsverfahren zu mutmaßlichen Straftaten (gefährliche Körperverletzung) einer handvoll, als kriminelle Vereinigung verdächtigte Gruppe von Personen aus nächtlichen „Schlägereien“ vom 17. und 18. August 2010 !!!. Die Erhebung der über 1 Million Handy-Daten sollte also lt. Begründung der Erforschung dieser Straftaten aus August 2010 !!! dienen. Wodurch diese nächtlichen Schlägereien aus August 2010 geeignet sein sollen die Funkzellen Abfrage für den 19.2.2011 zu begründen, ist in dem Beschluss des Amtsgerichtes ebenfalls nicht zu entnehmen.
• Als Begründung zur angeordneten Massen-Funkzellenabfrage durch das LKA dient auch die Behauptung: "Die Erhebung der Verkehrsdaten ist für die Erforschung des Sachverhalts erforderlich (§ 100g Abs. 1, 2. Halbsatz StPO), weil andere Ermittlungsmöglichkeiten nicht bestehen."- eine bloße Schutzbehauptung der ermittelnden Behörden.
• Am 19.2.2011 waren insgesamt 6.642 Polizeibeamte in Dresden im Einsatz. Darunter waren Hundertschaften der Bundespolizei,sowie Hundertschaften aus Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Dazu standen während der ganzen Zeit 38 Einsatzkräfte des Spezialeinsatzkommandos SEK Sachsen, 28 Einsatzkräfte der mobilen Einsatzkommandos MEK Sachsen und 31 Einsatzkräfte des mobilen Einsatzkommandos MEK Berlin zur Verfügung. Innerhalb des vom Amtsgericht umgrenzten Stadtgebietes wurden durch die Dresdner Polizei und den Verfassungsschutz, teilweise mit Video Drohnen, umfangreiche Video und Tonaufnahmen erstellt. Dazu kommen hunderte durch die Polizei durchgeführte Identitätsfeststellungen an Demonstrationsteilnehmern.
• Die Behauptung, die Verkehrsdatenerfassung durch Funkzellenabfrage sei auch deshalb erforderlich, "weil andere Ermittlungsmöglichkeiten nicht bestehen", ist an den Haaren herbei gezogen. Die in Dresden diensthabene Armada von über 6.500 Polizisten, Ermittlern, Mobiler- und Spezialeinsatzkommandos sowie des Verfassungsschutzes am 19.2.2011 hatten bereits in große Mengen Beweismittel gesammelt, als das Amtsgericht am 25.2.2011 6 Tage später, die
Funkzellenabfrage anordnet.
Dokumentation: Texte der Anordnungen des Amtsgerichtes Dresden vom 25.2.2011
Am 25.02.2011, Aktenzeichen: 270 GS 711/11, erließ das Amtsgericht Dresden in dem Ermittlungsverfahren gegen Sebastian D. wegen Bildung krimineller Vereinigungen, Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft Dresden: 204 Js 22971/10, folgenden Beschluss und folgende Anordnung:
„Nach § 100g Abs. 1 StPO wird auf Antrag der Staatsanwaltschaft Dresden gemäß § 33 Abs. 4 StPO ohne vorherige Anhörung angeordnet, dass die Diensteanbieter un¬verzüglich Auskunft über sämtliche Verkehrsdaten die,
• soweit es sich um Funkzellen handelt, Auskunft über die Verkehrsdaten, die über die Basisstation(en) abgewickelt werden, welche d. geographischen Standort(e) funktechnisch versorgen:
• nördliche Begrenzung: Fröbelstraße, 01159 Dresden
• westliche Begrenzung: Tharandter Str./Alplauen, 01159 Dresden
• südliche Begrenzung: Kohlenstr./Südhöhe, 01189 Dresden
• östliche Begrenzung: Wienerstr./Gustav-Adolf-Platz, 01219 Dresden
für Samstag, 19.02.2011 von 07:00 Uhr bis 19:00 Uhr zu erteilen haben.
Es besteht der Verdacht, dass der Beschuldigte eine Katalogtat i.S.d. § 100a Abs. 2 Nr. ld StPO begegangen hat."
Am 25.02.2011, Aktenzeichen: 270 GS 712/11, erließ das Amtsgericht Dresden in dem Ermittlungsverfahren gegen Sebastian D. wegen Bildung krimineller Vereinigungen, Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft Dresden: 204 Js 22971/10, folgenden Beschluss und folgende Anordnung:
„Nach § 100g Abs.1 StPO wird auf Antrag der Staatsanwaltschaft Dresden gemäß § 33 Abs. 4 StPO ohne vorherige Anhörung angeordnet, dass die Diensteanbieter un¬verzüglich Auskunft über sämtliche Verkehrsdaten die,
• soweit es sich um Funkzellen handelt, Auskunft über die Verkehrsdaten, die über die Basisstation(en) abgewickelt werden, welche d. geographischen Standort(e) funktechnisch versorgen:
• Coschützer Straße 8 und 12, 01705 Freital
für Samstag, 19.02.2011 von 14:00 Uhr bis 18:00 Uhr zu erteilen haben.
Es besteht der Verdacht, dass der Beschuldigte eine Katalogtat i.S.d. § 100a Abs. 2 Nr. 1d StPO begangen hat."
Am 25.02.2011, Aktenzeichen: 270 GS 729/11, erließ das Amtsgericht Dresden in dem Ermittlungsverfahren gegen Sebastian D. wegen Bildung krimineller Vereinigungen, Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft Dresden: 204 Js 22971/10, folgenden Beschluss und folgende Anordnung:
„Nach § 100g Abs. 1 StPO wird auf Antrag der Staatsanwaltschaft Dresden gemäß §
33 Abs. 4 StPO ohne vorherige Anhörung angeordnet, dass die Diensteanbieter unverzüglich Auskunft über sämtliche Verkehrsdaten die,
soweit es sich um Funkzellen handelt, Auskunft über die Verkehrsdaten, die über die Basisstation(en abgewickelt werden, welche d. geographischen Standort(e) funktechnisch versorgen: Großenhainer Straße 93, 01127 Dresden
für 18.02.20 0:00 Uhr bis 19.02.2011 24:00 Uhr zu erteilen haben.
Es besteht der Verdacht, dass der Beschuldigte eine Katalogtat i.S.d. § 100a Abs. 2 Nr. 1d StPO begangen hat."
Gerichtliche Begründung der Anordnungen zur Funkzellenabfrage - Mit Bezug auf ein 6 Monate altes Ermittlungsverfahren zu vermeintlichen Straftaten aus August 2010
Die Beschlüsse des Amtsgerichts Dresden mit den Aktenzeichen 270 GS 711/11 und 270 GS 712/11 waren ohne Unterschiede identisch wie im Folgenden begründet (Fehler wie im Originaltext), Der Beschluss des Amtsgerichts Dresden mit dem Aktenzeichen: 270 GS 729/11 hatte eine identische Begründung mit der Ergänzung um einen weiteren Punkt.
„Aufgrund der bisherigen Ermittlungen, insbesondere der Telefonüberwachungen und Observationen besteht der Verdacht, dass der Beschuldigte folgende Katalogtat i.S.d. § 100a Abs. 2 Nr. 1 d StPO begangen hat:
Seit etwa einem Jahr sind in Dresden gewaltsame Übergriffe offensichtlich linksori¬entierter Tätergruppen auf politisch Andersdenkende festzustellen. Folgende Zu¬sammenhänge sind erkennbar:
Das Verhalten der Tätergruppe zeigte während der Tatausführung Professionalität. Die Angriffe erfolgten ansatzlos, gezielt und zum Teil äußerst brutal. Die Täter waren zum Tatzeitpunkt überwiegend maskiert Die Opfer wurden gezielt ausgesucht.
Die einzelnen Körperverletzungen erfolgten unter gegenseitiger Absicherung und
mit einem hohen Maß an körperlicher Fitness und Kampferfahrung. Kommandos oder Absprachen während der Tatausführung sind nicht zu verzeichnen. Ein gegenseitiges Kennverhältnis und eine innere Organisation ist offenbar.
Insbesondere kam es zu folgenden weiteren Straften:
1.) In der Nacht vom 16. zum 17.08.2010 gegen 24 Uhr ging der später Geschädigte Schxxxxxxx mit seinem Bekannten Rxxxxx die Columbusstraße entlang, um seinen verlorenen Hausschlüssel zu suchen. Auf dem Wernerplatz stand eine Gruppe von sieben bis acht Perione ie dem Geschädigten entgegen kamen. Eine Person fragte, ob sie Nazis wären. Obwohl dies verneint wurde, warf ein Tatverdächtiger einen Stein auf de geschädigten. Dieser traf ihn am Kopf und riss einen Teil des rechten Ohres ab. In Anschluss bekam der Geschädigte einen Schlag auf den Hinterkopf, der vermutlich mit einer Baseballkeule ausgeführt wurde. Er wurde einen Tag im Kranhaus stationär aufgenommen.
2.) Am 17.08.2010 gegen gegen 01:20 Uhr wurde eine Gruppe von zehn bis zwölf Ju¬gendlichen in Dresden, Tharandter Straße/ Kesselsdorfer Straße, von einer Gruppe angegriffen, die aus ca. 10 Personen bestand, die allesamt schwarz gekleidet und vermummt waren. Die Jugendlichen wurden als Nazis betitelt und geschlagen, u. a. mit einem Teleskopschlagstock und anderen Schlaggegenständen. Zwei der Geschä¬digten mussten im Krankenhaus behandelt werden.
Dies ist strafbar als gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit Bildung einer kriminellen Vereinigung gemäß §§ 129 Abs. 1, 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 4, Nr. 5, 25 Abs. 2, 52, 53 StGB
Die Tat wiegt auch im vorliegenden Fall schwer, weil weil überfallartige, geplante und gezielt ausgeführte Straftaten verübt werden, die die öffentliche Ordnung erheb¬lich beeinträchtigen (§ 100g Abs. 1 Nr. 1 StPO).
Die Erhebung der Verkehrsdaten ist für die Erforschung des Sachverhalts erforderlich (§ 100g Abs. 1, 2. Halbsatz StPO), weil andere Ermittlungsmöglichkeiten nicht bestehen."
Ende