tageszeitung - taz, 16.11.2012
Vom Überleben in der Krise - Staat ist keine schwäbische Hausfrau
Generalstreik! Millionen Südeuropäer gingen in dieser Woche gegen den Sparkurs ihrer Regierungen auf die Straße. In Deutschland wurden die Proteste häufig mit Kopfschütteln quittiert. Wer nicht spart, so die simple Logik, bleibt verschuldet. Für eine Volkswirtschaft muss das jedoch nicht gelten. Im Gegenteil. Wenn der Staat mitten in einer Wirtschaftskrise die Ausgaben kürzt, kann dies verheerende Folgen haben – und den Staatshaushalt auf lange Sicht sogar vollends ruinieren.
„Sparen“ ist in der deutschen Sprache positiv besetzt. Wer Geld spart, verbessert seine finanzielle Lage. Was für den einzelnen Haushalt gilt, lässt sich jedoch nicht auf die Gesamtwirtschaft übertragen. Wenn ein Haushalt spart, legt er in der Regel Geld bei einer Bank an, die ihm nur deshalb Zinsen gutschreiben kann, weil andere Haushalte, Firmen oder eben der Staat sich verschulden. Wenn niemand Schulden macht, kann also auch niemand sparen.
In einer Wirtschaftskrise geben die privaten Haushalte in der Regel als Folge steigender Arbeitslosigkeit und sinkender Löhne weniger Geld aus. Wenn die Nachfrage wegbricht, bröckelt auch der Investitionshunger der Konzerne.
Im Gegenteil: Anstatt neue Jobs zu schaffen, werden vorhandene vernichtet. Wenn sowohl Privatiers als auch Unternehmer nicht mehr Geld ausgeben können oder wollen, beginnt ein Teufelskreis aus rückläufiger Nachfrage und steigender Arbeitslosigkeit. Jetzt kann nur noch der Staat eingreifen – meist mit Geld, das er nicht hat: Schulden. Wenn der Staat in der Krise weniger Geld ausgibt, verstärkt er den Teufelskreis, statt ihn zu stoppen.
Es wird immer weniger
Wenn die Arbeitslosigkeit steigt, die Nachfrage zurückgeht und die Unternehmen Verluste machen, nimmt der Staat auch in allen Bereichen weniger Steuern ein. Dafür steigen auf der anderen Seite Ausgaben wie die Kosten für die Sozialsysteme. Wenn ein Staat in der Krise Ausgaben kürzt, hat er im Folgejahr also nicht mehr, sondern weniger Geld zur Verfügung. Genau in diesem Punkt unterscheidet sich der Staat dann doch fundamental von der schwäbischen Hausfrau.
Südeuropa befindet sich mitten im Teufelskreis aus rückläufiger Nachfrage und steigender Arbeitslosigkeit. Dies ist vor allem eine Folge der Sparpolitik der letzten Jahre. Wenn die südeuropäischen Staaten an dieser Politik festhalten, ist auch kein Ende der Krise in Sicht.
Erstaunlich, dass dieser simple Zusammenhang in Deutschland nicht verstanden wird. Stattdessen wundert man sich hierzulande, dass die südeuropäischen Länder „trotz größter Sparanstrengungen“ ihre Etatziele regelmäßig verfehlen. Dass diese Ziele nicht trotz, sondern wegen des Sparens verfehlt werden, gerät im öffentlichen Diskurs oft völlig in den Hintergrund.
Enthaltsamkeit statt Sparpolitik
Einiges wäre erreicht, wenn wir uns wenigstens vom Begriff „Sparpolitik“ verabschieden würden. Im Englischen spricht man von „Austerity“ (lateinisch austeritas – strenge Enthaltsamkeit). Dieser Begriff wird als „Austerität“ auch in der deutschen Fachliteratur verwendet.
Die Franzosen sprechen gar von einer „Politique de rigueur“ (Politik der Härte/Strenge/Unerbittlichkeit). Sprachlich ein großer Unterschied zum positiv besetzten deutschen Begriff „Sparpolitik“. Unsere Sprache bestimmt unser Denken. Wahrscheinlich würden die Deutschen anders über ihre Mitmenschen in Südeuropa denken, wenn diese nicht gegen „Sparpolitik“, sondern gegen eine „Politik der Härte“ protestieren würden?
Und wenn man schon nicht auf das Wort „Sparen“ verzichten mag: Passender ist in diesem Zusammenhang wohl „Totsparen“.
Kolumne von Jens Berger
Jens Berger
ist freier Journalist, Wirtschaftsexperte und politischer Blogger der ersten Stunde. Als Redakteur der „NachDenkSeiten“ und Herausgeber des Blogs „Spiegelfechter“ schreibt er regelmäßig zu sozial-, wirtschafts- und finanzpolitischen Themen. Im Westend-Verlag veröffentlichte er im Februar das Buch „Stresstest Deutschland: Wie gut sind wir wirklich?“