Dresdner Morgenpost, 04.09.2001
Gewissen in Not
Müntefering zwischen Baum und Borke
Franz Müntefering sitzt zwischen Baum und Borke. Als SPD- General muss er seine Truppe auf Vordermann und Linie bringen. Abweichler in der Mazedonien-Debatte in den eigenen Reihen sind für ihn wie Deserteure. Über allem steht die Parteidisziplin, nicht das Gewissen.
Wo käme die Sozialdemokratie denn auch hin, wenn jeder mit Herz und eigenem Kopf entscheidet. Wehret den Anfängen. Für denkend Menschen mit einem SPD-Mitgliedsbuch in der Tasche ist das starker Tobak. Die Marschrichtungszahl aus den Zentralen von Partei und Fraktion als bedingungslose Pflicht zum Ja und Amen zu allen Abstimmungen. Dieser Einheitsbrei bleibt so manchem im Halse stecken.
Eine Art rechnerischer Verfolgungswahn scheint sich in der Führungsspitze nun breit zu machen. Man fürchtet um Parlaments-Mehrheiten in der Zukunft. Diese Angst treibt Müntefering und Struck um. Nur sehr mangelhaft verschleiert wird den Abtrünnigen Bestrafung angedroht.
Auch nach langer Diskussion konnten sich 19 Genossen nicht zum Ja für einen Balkan-Einsatz deutscher Soldaten durchringen. Sie dafür auf den sozialdemokratischen Lügendetektor zu schnallen, weil man einigen die Begründung nicht abnimmt, ist lächerlich. Leute, die das wollen, sollten ein schlechtes Gewissen haben.
(Thomas Schrecker)