DNN/LVZ/Sächsische Zeitung/Frankfurter Rundschau, 11.07.2009
Leserbriefe zu Tillich: "Entscheidungshoheit angemaßt "
Reaktionen auf DDR-Vita und Personal-Fragebogen von Regierungschef Tillich
Leserbrief an die Frankfurter Rundschau:
Ist es so schwer, sachlich und nüchtern die Fakten zu schildern?
Am 1.7. druckte die FR auf Seite 6 den Text von Bernhard Honnigfort aus Sachsen ab. Die Zwischenüberschrift fällt auf den Autor selbst zurück. Ich empfinde den Artikel als eine "Schande". Der MP war früher im Rat des Kreises Kamens mitnichten ein "Funktionär in der dritten oder vierten Reihe". Als Stellvertreter des Rates war er für Handel und Versorgung zuständig. Ein Stellvertreter sitzt nicht in der dritten oder vierten Reihe! Zudem: Der Korrespondent vermischt die Berichterstattung mit wertenden Urteilen, was eigentlich unterbleiben sollte,.Er hat die Möglichkeit, im Kommentar seine Meinung abzugeben. Begriffe wie "wütendes Buch" fallen darunter. Wie kann ein Buch, ein Gegenstand Wut empfinden? Den Autor als "Wüterich" zu bezeichnen finde ich deplaziert. Ob MdL Karl Nolle "nie den richtigen Ton (trifft)", bezweifel ich. Immerhin sitzt er seit einigen Legislaturperioden im Landtag. Wenn der Herr MP über eine bestimmte Antwort in seinem Fragebogen zur Vergangenheit den Mantel des Schweigens deckt, seine Vita mehrfach und anders beschreibt, so ist das für mich mehr als nur eine "ungeschickte Manipulation".
Ist es so schwer, sachlich und nüchtern die Fakten zu schildern?
Folkard Bremer, Dresden
aus DNN/LVZ:
Zum Interview „Ich halte Herrn Nolle für einen Hassprediger“ mit Landtagsvizepräsident Gunther Hatzsch (SPD) von Dirk Birgel (Ausgabe 8. Juli) und allgemein zur Fragebogendebatte um Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU).
Entscheidungshoheit über die Relevanz der Frage angemaßt
Ministerpräsident Tillich hatte in seiner Erklärung von 1999 zu Stasi-Kontakten die Frage nach dienstlichen Kontakten verneint, obwohl es – ihm kaum vorwerfbar – solche gab. Herr Hatzsch (SPD) ist ebenso wie Arnold Vaatz (CDU) der Ansicht, nach der Intention des Fragebogens sei es nur darum gegangen, herauszufinden, ob sich jemand „der Stasi angedient“ habe. Diese Interpretation ist, mit Verlaub, nicht vertretbar und wurde anlässlich der Überprüfung der öffentlich Bediensteten auch nicht akzeptiert. Der Fragebogen enthielt insgesamt vier Fragen zu Stasi-Kontakten, welche differenzierter nach Intensität und Veranlassung der Kontakte unterschieden. Mit der Frage Nummer vier sollte zunächst Aufschluss über das Bestehen dienstlicher Kontakte gegeben werden. Erst in einer Unterfrage hätten auch Art und Weise dieser Kontakte benannt werden müssen. Eine unrichtige Antwort auf diese Frage musste nicht automatisch zur Entlassung aus dem Dienst führen. Immerhin musste sich der Betroffene aber vorhalten lassen, er maße sich eine eigene Entscheidungshoheit über die Relevanz der Frage an und behindere eine, vom Einigungsvertrag vorgeschriebene, sachgerechte Überprüfung seiner Kontakte zur Stasi.
Wolfgang Howald, Dresden,
Vizepräsident des Sächsischen
Landesarbeitsgerichts a.D.
Das Argument, einer Mitgliedschaft der SED entgehen zu wollen, empfinde ich als unglaubwürdige Heuchelei.
Herrn Tillichs Engagement für den Aufbau des Kommunismus ist durch die Übernahme von verantwortlichen Positionen in der DDR gekennzeichnet. Dies ist ein eindeutiges Zeichen für die Bereitschaft, unter Führung der SED den Machtapparat zu stabilisieren. Das Argument, einer Mitgliedschaft der SED entgehen zu wollen, empfinde ich als unglaubwürdige Heuchelei. Das Argument mag vielleicht für ein Block-CDU-Mitglied gelten, das nach Eintritt in die gleichgeschaltete Partei keine Funktionen übernahm und auf Übernahme von Positionen im Machtapparat – dazu gehörten die Spitzenpositionen der Räte der Kreise – verzichtete. Jeder, der sich noch 1989 an die Schalthebel der Macht gesetzt hat, sollte nicht noch Glauben machen wollen, es sei Absicht gewesen den Kommunismus zu korrigieren. Für mich ist erstaunlich, dass der Intellekt nicht ausreichte um zu erfassen, dass das in schwere Seenot geratene Schiff „DDR“ tausende Menschen verließen, aber angesichts dieses Achtungszeichens die Führungsebenen den Kurs in Richtung Abgrund beibehielten.
Günter Hofmann, Dresden
aus Sächsische Zeitung:
Geht Stanislaw Tillich richtig mit der Vergangenheit um?
Viele haben sich nichts vorzuwerfen
Wenn Sachsens Regierungs- chef Tillich behauptet, er habe sich aus der DDR-Vergangenheit nichts vorzuwerfen, mag das zutreffen. Aber Gleiches gilt auch für viele andere, die Mitarbeiter - ob Köchin, Kraftfahrer oder Verwaltungsmitarbeiter - in einem dringend notwendigen Verwaltungsgebiet waren und dafür ganz besonders von der CDU verurteilt wurden und noch werden. Jeder aufbauwillige Bürger wurde beim Aufbau des neuen Staates DDR gebraucht. Nachdem jahrelang und noch heute die früheren politisch Aktiven beschimpft wurden und noch werden, muss sich Herr Tillich gefallen lassen, mit gleicher Münze verglichen zu werden.
Hermann Thomas, Wilsdruff
Etwas mehr Rückgrat wäre angemessen
Nicht Herr Tillich ist auf die Sta- si zugegangen, sondern es war umgekehrt. Ihm wurde Verschwiegenheit zugesichert. Es ist verblüffend, dass diejenigen, die von Herrn Tillich in besseren Zeiten Vorteile genossen bzw. im Staatsdienst untergekommen sind, sich jetzt nicht zu Wort melden. Für Herrn Tillich ist es keine Hilfe, wenn diese Personen jetzt beiseite- oder leisetreten. Etwas mehr Rückgrat wäre angemessen, sich jetzt öffentlich zu äußern.
Wally Faselow, Elstra
Gleiche Maßstäbe sind erforderlich
Den einen, Ingo Steuer, gewinnt die Stasi noch im jugendlichen Alter als Informant, für den anderen, Stanislaw Tillich, gibt sie die Zustimmung, ihn als Mitglied einer Blockpartei in die Reihe der Nomenklaturkader des politischen Regimes der DDR aufzunehmen. Dass beide Personen nach 1989 daraus für sich ihre Konsequenzen gezogen haben und im neuen Deutschland erfolgreich tätig sind, ist unbestritten. Herr Tillich möchte 20 Jahre nach der Wende Absolution für seine Vergangenheit in der DDR erteilt haben. Gleichzeitig lässt er zu, dass sein parteitreuer Richter Wagner in Chemnitz Herrn Ingo Steuer erneut an den Pranger stellt. Die Bewertung der DDR-Vergangenheit der Herren Tillich und Steuer erfordert gleiche Maßstäbe. 20 Jahre nach der Wende sollte vor allem das Engagement für das neue Deutschland zählen.
Familie Reinhard, Dresden
Ehrliche Politiker fehlen in unserem Land
Man muss vermuten, dass ihn seine „Berater" ins offene Messer laufen lassen. Wie sonst ist das selbstgefällige, arrogante Verhalten seiner Staatskanzlei zu verstehen. Offene, ehrliche Politiker fehlen in unserem Land. Die „Scharfmacher" der CDU haben ihrem Ministerpräsidenten gute Dienste erwiesen, indem sie, warum auch immer, über die Biografie von Herrn Tillich entschieden.
Frank Scholz, Dresden
Die Debatte ist entsetzlich oberflächlich
Die Debatte um Herrn Tillich ist nur exemplarisch, sie spricht aber Bände, in welcher inneren Verfassung wir uns rund 20 Jahre nach der Wende befinden. Die Debatte wird kampagnenmäßig geführt und ist entsetzlich oberflächlich. Was für einen Grund hat aber jemand, seine Biografie zu beschönigen? Eigentlich ist doch alles ganz einfach. „Nur" zwei Bekenntnisse müssen her: Erstens: Ja, es war für mich - subjektiv und objektiv - möglich, im DDR-System mitzuwirken. Ich habe es für mich als erstrebenswert empfunden, und es wurde mir nicht verwehrt. Zweitens: Entweder schäme ich mich dafür, oder ich fürchte die gnadenlosen Anfeindungen derer, denen es nicht so wie mir ergangen ist. Wir alle müssen an unserem Geschichtsbild beharrlich weiterarbeiten.
Henning von Wolffersdorff,per E-Mail
Hier wird mit zweierlei Maß gemessen
Das Beispiel des Herrn Tillich zeigt wieder einmal, dass indiesem Staat mit zweierlei Maß gemessen wird. Falsche Angaben in den Fragebögen zur Stasivergangenheit haben im Osten Deutschlands zu massenhaftem Entfernen Bediensteter aus dem öffentlichen Dienst der BRD geführt. Winzige Ungenauigkeiten in den Fragebögen waren oftmals Entlassungsgrund. So wurden auch Leute geschasst, die eigentlich laut Antworten auf Fragen der ersten Bögen nicht hätten entlassen werden dürfen. Damit meine ich Mitarbeiter im Wachdienst, in den rückwärtigen Diensten oder Studierende. Aber ein Herr Tillich erklärt, er hätte Fehler gemacht. Das ist die gleiche CDU, die für die Entlassungen hauptverantwortlich ist. Selbst wenn er zurücktreten würde wegen dieser Vorwürfe, er landet sehr weich dank seiner Partei. Das können die vielen anderen nicht von sich behaupten.
Holger Bauer, Gotha
Andere mussten ihren Hut nehmen und gehen
Herr Tillich hofft auf „Verständiss, denn schließlich will er wieder als Ministerpiäsident gewählt werden, und seine Partei versucht krampfhaft, alles zu verschleiern. Jeder andere „Normale" musste seinen Hut nehmen. Doch Herr Tillich als Ministerpräsident ist da eine Ausnahme.
W. Matte und U. Hartmann, Görlitz